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Neues Deep Purple-Album "Whoosh"
Die Space Cowboys des Hardrock

50 Jahre nachdem die Band mit „In Rock“ eine der stilprägendsten Platten des Hardrock veröffentlichte, erscheint im August 2020 tatsächlich noch einmal ein neues Deep Purple-Album: „Whoosh“ reiht sich ein ins heterogene Spätwerk. Es könnte ein tröstliches Karriere-Fazit sein.

Von Fabian Elsäßer | 02.08.2020
    Zwei Männer sitzen auf einem Podium und lachen.
    Ian Paice (l) und Roger Glover von der Rockband Deep Purple geben am 21.02.2017 in Berlin ein Interview. (picture alliance / Jens Kalaene)
    Es gab schon schlechtere Deep Purple-Albumcover als das von "Whoosh!" – es zeigt einen Astronauten auf einem fernen Planeten, dessen Anzug sich in Sternenstaub auflöst. Ein passendes Bild. Denn wie lange diese Hardrock-Institution noch weitermachen wird, steht in den Sternen, aber 53 Jahre nach der Gründung rückt das Ende zwingend näher.
    Zeigen was Hardrock sein kann
    Zugleich wirkt die Band auf ihrem 21. Studioalbum ein bisschen so wie Clint Eastwood und Kollegen im Film "Space Cowboys": ergraute Ex-Astronauten, die allen Widrigkeiten zum Trotz noch einmal ins All fliegen müssen, um einen dringenden Job zu erledigen. In diesem Fall: zeigen, was Hardrock alles sein kann, wenn diese Band ihn spielt. Eine Mischung aus schneidenden Riffs und einschmeichelnden Refrains, von verwobenen Melodien und Stilzitaten von Country bis Klassik. Ähnlich wie die Helden in Space Cowboys sind auch die Musiker von Deep Purple vom Leben und ihrer Arbeit gezeichnet.
    Captain Flitzefinger hat Pause
    Sie können den Kampf gegens Altern nicht gewinnen, aber sie machen was draus, indem sie vielleicht noch stärker als früher auf die Fähigkeiten der anderen vertrauen. Und natürlich auf ihr geballtes Wissen. Gitarrist Steve Morse etwa klagte in der Dokumentation zum 2017er Album "Infinite" über chronische Handgelenkschmerzen. Jetzt lässt er das Flitzefingern öfter mal sein und spielt stattdessen eben jubilierende Single-Notes mit dem E-Bow oder herzallerliebste Country- und Western- Arpeggios, wie aus Goldfäden aneinander gewoben.
    Einfach mal den Keyboarder machen lassen
    Vielleicht sind Morse’s Beschwerden auch der Grund für die eigentliche Überraschung auf "Whoosh!". Es ist ein Don Airey-Album. Der zauselige Keyboarder hatte ja um die Jahrtausendwende Gründervater Jon Lord ersetzt und dadurch nach Jahrzehnten der Sessionarbeit endlich eine Band-Heimat gefunden. Dass er ein guter Techniker sein musste, war klar, wie originell er sein kann, nicht unbedingt. Diesmal aber sammelt er Bestnoten in der Disziplin "Unisono mit Steve Morse spielen" und glänzt mit einem wahren Sternenregen an eigenen Ideen, wenn er dessen Solo-Passagen ergänzt oder gleich ganz in seine Obhut nimmt. Das reicht vom Barock-Örgelchen bis hin zu Moog-Sounds, wie man sie sonst eher von Saga kannte. Dass Schlagzeuger Ian Paice 2016 einen Schlaganfall hatte, dass Sänger Ian Gillan mit Mitte 70 einfach nicht mehr die Höhen erreichen KANN wie mit Mitte 30, das alles weiß man, aber es stört einen nicht.
    Schöne Gruppenleistung mit dem Produzenten
    Die Band gleicht es durch Ideenreichtum und Gruppenleistung aus. Die Rolle des etwa gleichaltrigen Produzenten Bob Ezrin darf man dabei nicht unterschätzen. Er inszeniert ein gläsernes Klangbild und verschafft Gillans Stimme durch Dopplungen und aufwändig zusammengesetzte, regelrecht poppige Chorgesänge glänzende Auftritte. Er ist wie der NASA-Ingenieur im Kontrollraum, der seine Rock-Astronauten unermüdlich anfeuert auf ihrer Reise durch altbekannte, aber auch ferne Galaxien. Dass er mehrere Songs altmodisch ausfaden lässt - geschenkt.
    Wagemutiger Blick zu den Anfängen
    Einmal wird es sogar richtig gefährlich, wenn die Crew den Meteoriten Blackmore einfängt. Das Instrumental "And the adress" heißt nicht nur so, es ist tatsächlich eine Neueinspielung des ersten jemals von Deep Purple veröffentlichten Songs vom Debüt 1968. Die originale Gitarrenarbeit von Ritchie Blackmore erinnert an das Werk eines verrückten Raketenwissenschaftlers, der irre kichernde Sound lässt einen gruseln. Morse hingegen entschärft diese Baumuster mit freundlichen Harmonien, und die Zeitreise geht glimpflich aus.
    Würdiger Schluss, in Maßen modern
    Ein bisschen zeitgeistig ist Whoosh!" bei allen musikalischen und produktionstechnischen Finessen auch noch: Gillan hat zwar nichts zur Diskussion ums dritte Geschlecht beizutragen, aber es fallen ihm doch ein paar klug-bissige Anmerkungen zum Planeten-Verschleiss durch die Spezies Homo Sapiens ein. Wenn "Whoosh!" jetzt wirklich das letzte Deep Purple-Album war, dann war es wie eine Supernova, die noch lange nachleuchtet, auch wenn ein paar Songs zu viel darauf sind, die eher wie Raketenfehlstarts wirken. Und selbst wenn noch ein weiteres käme: Es darf gerne dieses Album sein, mit dem wir uns dereinst erinnern wollen an Deep Purple, als sie alt waren. Und noch einmal zu den Sternen flogen.