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Neues Gefühl der Gleichberechtigung im Irak

Volker Perthes hat die Wahl vom Kurden Talabani zum neuen Präsidenten des Iraks begrüßt. Auch der designierte Regierungschef Al-Dschaafari sei eine "gute Wahl." Durch die neue Führung entstünde so für die kurdische Bevölkerung ein Gefühl der Gleichberechtigung. Die Gefahr der ethnischen Spaltung des Landes sei dennoch nicht gebannt.

Moderation: Klaus Remme |
    Klaus Remme: Die Parlamentswahlen im Irak liegen zwei Monate zurück und nach langem Streit bildet sich in diesen Tagen die staatliche Führung des neuen Iraks. Saddam Hussein konnte sich gestern im Hochsicherheitsgefängnis am Fernsehen vom Beginn der neuen Ära des Landes überzeugen. Nach seiner Wahl gestern wird der neue Präsident Talabani, ein Kurde, heute vereidigt. Danach wird er den Schiiten Al-Dschaafari als Regierungschef vorschlagen. Volker Perthes kennt sich aus im Irak. Der designierte Direktor der Stiftung Wissenschaft und Politik ist jetzt am Telefon. Guten Morgen, Herr Perthes.

    Volker Perthes: Schönen guten Morgen.

    Remme: Herr Perthes, wir erreichen Sie im Irak. Wo genau sind Sie?

    Perthes: Ich bin in Salahadin, im Norden des Iraks, oder wie man hier lieber sagt, in Irakisch-Kurdistan.

    Remme: Wie reagieren die Kurden dort auf die Wahl einer der ihren als Präsidenten des Landes?

    Perthes: Hier ist gestern schon sehr gefeiert worden mit Autokorsos und mit Tänzen auf der Straße, vor allem natürlich und in erster Linie von den Anhängern von Dschalal Talabani. Wir haben ja zwei große, wichtige kurdische Parteien hier und die Anhänger der Patriotischen Union Kurdistans, das ist die Partei von Dschalal Talabani, die waren, wenn man das so sagen darf, ziemlich aus dem Häuschen. Aber auch für Kurden, die noch nicht zu seinen politischen Anhängern gehörten, und ich denke, das ist politisch hier wichtiger, war es so, dass fast jeder gesagt hat, den ich gefragt habe, wir fühlen uns das erste Mal nicht mehr als Bürger zweiter Klasse im Irak, wir haben das Gefühl, dass es jetzt tatsächlich so etwas wie Gleichberechtigung gibt, dass der Kurde wie der Araber, dass Sunniten wie Schiiten, dass alle gleichberechtigte Partner in diesem neuen Irak, in unserem Vaterland sind.

    Remme: Sie haben die Volksgruppen gerade angesprochen und die Bildung der staatlichen Führung ist ja ein Drahtseilakt zwischen der Befindlichkeit dieser Gruppen. Kann der so gelingen wie beabsichtigt?

    Perthes: Das hängt nicht nur davon ab, ob die Parteien in der Lage sind, die Wahlarithmetik und die konfessionelle und ethnische Arithmetik, wenn sie so wollen, miteinander ins Lot zu bringen, sondern das hängt natürlich in erster Linie auch von der Sicherheitslage ab. Die neue Regierung oder die neue Kombination versucht sicherlich auf der politischen Ebene zumindest das Gebotene zu tun, um hier das Gefühl zu geben, dass alle Iraker, egal ob sie Kurden oder ob sie Sunniten oder ob sie Schiiten oder ob sie Araber sind oder Turkmenen oder Christen, dass sie beteiligt sind an diesem neuen Land. Ich glaube Dschalal Talabani, und das ist sicherlich auch eine wichtige Dimension von der Wahl gestern, hat auch seinen Teil dazugetan, indem er zum Beispiel seine Dankesrede oder Antrittsrede im Parlament auf Arabisch gehalten hat, nicht auf Kurdisch, obwohl die Kurden durchgesetzt haben, dass Kurdisch die zweite offizielle Amtssprache ist. Er hat also die Hand ausgestreckt gegenüber den Arabern, gerade auch gegenüber den sunnitischen Arabern, indem er nicht nur ihre Sprache benutzt hat sondern indem er auch bestimmte Themen angesprochen hat, die für seine arabischen Partner und auch für seine arabischen Gegner wichtig sind. Er hat sehr positiv über den Islam gesprochen, er hat die Palästinafrage angesprochen und gesagt, dass der Irak solidarisch ist als Ganzes mit den Palästinensern. Das sind Themen, die etwa für die arabischen Sunniten sehr wichtig sind.

    Remme: Aber Sie haben die Sicherheitslage angesprochen. Kann es aber denn nicht sein, dass das, was Sie gerade gesagt haben, sehr wohl Einfluss hat auf die Sicherheitslage und dass es nicht in erster Linie militärische Mittel sind, mit denen man den Irak befrieden kann?

    Perthes: Das ist richtig und das haben wir ja auch immer gesagt, das haben auch die meisten irakischen Beobachter immer gesagt, dass man den Krieg gegen Terror, wenn man das so nennen will, nicht allein mit militärischen Mitteln gewinnen kann, sondern dass es ein politisches Format braucht, wo sich alle drauf einlassen können. Dass man versuchen muss, den größten Teil der sunnitisch-arabischen Bevölkerung, und darunter auch gerade die Gruppen, die vom alten System, vom System Saddam Husseins profitiert haben, weil sie in den Sicherheitsdiensten mitgearbeitet haben, weil sie die führenden Positionen in Armee und Staat gehabt haben, dass man versuchen muss, die Angehörigen dieser Gruppen zu gewinnen, die bereit sind, sich einzulassen auf eine neue Situation, in der es allerdings so ist, dass tatsächlich der Pluralismus, der gesellschaftliche Pluralismus, der hier im Irak herrscht, voll ausgespielt wird und nicht mehr eine Gruppe die Gruppe ist, die alles beherrscht und die wichtigsten Ressourcen verwaltet und die wichtigsten Positionen einnimmt. Insofern ist die Wahl Talabanis, und das ist wahrscheinlich die dritte Dimension, auch natürlich ein Ausdruck der neuen Machtverhältnisse im Irak. Talabani als der zweite Wahlgewinner, die Kurden als die zweiten Wahlgewinner der Wahl vor acht Wochen, hat die zweitwichtigste Position im Staat, das ist der Staatspräsident, bekommen und wird als Ministerpräsidenten nun, was die wichtigste exekutive Position ist im Irak, einen Vertreter der schiitischen Allianz vorschlagen.

    Remme: Dieser ist Al-Dschaafari. Eine gute Wahl?

    Perthes: Ich denke, Al-Dschaafari ist eine gute Wahl. Er ist ein Intellektueller, er ist jemand, der akzeptiert ist als jemand der zuhört, als jemand, der bereit ist, mit allen Gruppen zu reden und der ein Ansehen hat auch als Oppositioneller des alten Regimes, als Oppositioneller gegen das alte Regime, der ein Ansehen hat eigentlich bei allen Gruppen quer über das Feld. Natürlich wird es insbesondere aus den Kreisen, die in den letzten zwei Jahren versucht haben, die neue Situation militärisch zu destabilisieren, auch weiterhin Widerstand und Widerspruch geben, weil man einfach beweisen will, dass der neue Irak nicht existieren kann. Das wird aber möglicherweise etwas leichter werden, damit umzugehen. Sie haben es schon angesprochen, weil natürlich die Formierung einer neuen Regierungskoalition und eines Formats, wo tatsächlich alle beteiligt sind, es etwas leichter macht, sozusagen den politischen Widerstand gegen den Umsturz, der vor zwei Jahren stattgefunden hat, vom Terrorismus zu trennen.

    Remme: Herr Perthes, Al-Dschaafari und auch Talabani sind in Washington wohl gelitten. Erleben wir hier auf politischer Ebene einen Erfolg Washingtons auf ganzer Linie?

    Perthes: Das kann man sehr wohl so sehen. Nur muss man hier sagen, dass gerade das Zustandekommen der Wahlen, beziehungsweise der Wahl zum Präsidenten und der Einsetzung eines neuen Ministerpräsidenten und der Formierung eines neuen Kabinetts, das ist von den Amerikanern wohl abgesichert worden. Gerade hier im Norden des Iraks, in Kurdistan, sagen viele, die Amerikaner haben es möglich gemacht. Aber die Amerikaner haben sich ja nicht als Ingenieure der Feinmechanik der Politik beschäftigt, das haben die Iraker schon selber hinbekommen, dass sie versucht haben miteinander ins Geschäft zu kommen und dass es ihnen offensichtlich gelungen ist, mit einigen Schwierigkeiten, das muss man auch dazu sagen, ins Geschäft zu kommen und eben die Positionen so zu verteilen, dass eine möglichst breite Allianz zustande kommt.

    Remme: Noch kurz: Ist die Gefahr einer Spaltung des Landes entlang ethnischer Linien gebannt?

    Perthes: Nein, sie ist überhaupt nicht gebannt. Das Einzige, was man positiv zu dieser Frage sagen kann , ist, dass die Bereitschaft der Kurden, sich auf einen gemeinsamen Irak einzulassen, wahrscheinlich etwas größer geworden ist als sie das vorher gewesen wäre.

    Remme: Volker Perthes war das, designierter Direktor der Stiftung Wissenschaft und Politik.