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Neues Multimedia-Museum in Venedig
Zeitreise mit Casanova

Das Casanova-Museum in Venedig setzt ganz auf virtuelle Realität. Der Besucher soll sich selbst als Abenteurer und Freigeist im 18. Jahrhundert erfahren. Doch die verschiedenen Rollen, die Casanova gespielt hatte, werden nicht vertieft.

Von Henning Klüver |
    Südansicht von Markusturm und Dogenpalast (rechts) in Venedig, Italien
    Auf den Spuren Casanovas in Venedig: Markusturm und Dogenpalast (rechts) (picture alliance/dpa/Daniel Kalker)
    Venedig im 18. Jahrhundert, eine Epoche neigt sich dem Ende zu. Risse im sozialen und politischen Gefüge der Gesellschaften Europas lassen bereits kommende Umbrüche erahnen, während Angehörige der Schichten, die es sich leisten können, sich auf Kostümfesten amüsieren. Es ist die Zeit auch von Außenseiterfiguren wie Giacomo Casanova. Der Doktor beider Rechte, also des weltlichen und des kanonischen Rechts, brach eine Laufbahn als Priester ab und legte sich den Phantasienamen "Chevalier de Seingalt" zu. Wie er es bei seinen Eltern gelernt hatte, wusste er als Schauspieler gleich in Kleidung, Sprache und Auftreten die verschiedensten Rollen einzunehmen.
    "Er war ein exzellenter Benutzer der Zeichensysteme. Es war eine Zeit, die ganz elaborierte Systeme hatte zu kommunizieren. Dass er mit Zeichen nach Belieben umgehen konnte, dass er da so virtuos war, macht denn auch seinen Erfolg aus."
    Die Literaturwissenschaftlerin Marita Liebermann, Autorin einer grundlegenden Studie über Casanova, lebt als Leiterin des Deutschen Studienzentrums Venedig in der Lagunenstadt.
    Ein Museum für alle
    Zur Stadt gehört jetzt auch neues Museum, das dem virtuosen Zeitgenossen Casanova auf die Spur kommen möchte. Es wurde in sechs Räumen auf der Bel étage eines gotischen Palazzo im Cannaregio-Viertel eingerichtet. Der Unternehmer Carlo Luigi Parodi, der unter anderem in London ein Beratungsunternehmen führt, hat das Museum konzipiert und finanziert.
    "Das ist für alle da. Es ist für Familien, für Besucher jeder Altersgruppe gedacht. Mein Ziel ist es, mit dem Casanova Museum eine Persönlichkeit in Szene zu setzen, über die viel zu wenig bekannt ist."

    Ein Museum also, in dem zeitgenössische Erinnerungsstücke nur eine untergeordnete Rolle spielen. Bereits der offizielle Titel "Casanova Museo Experience" lässt erahnen, was auf den Besucher zukommt: Videoprojektionen, digitale Animationen und schließlich das Eintauchen in die Welt der virtuellen Realität mit Hilfe einer VR-Brille. Mit subjektiver Kamera gedreht, sieht man Vorgänge des damaligen Venedigs. Man nimmt an Festveranstaltungen teil, trifft junge Damen auf der Piazza, muss sich aber auch in die "piombi", die berüchtigten Bleikammern des Gefängnisses der Repubblica Serenissima einkerkern lassen.
    Giacomo Casanova liegt in einer Dachkammer mit einer Geliebten im Bett.
    Giacomo Casanova mit einer seiner zahlreichen Geliebten im Bett (Deutschlandradio / Henning Klüver)
    "Casanova ist eine Persönlichkeit, die erzählt werden will, die man erleben muss. Wir setzen dabei die technologischen Mittel ein, die uns heute zur Verfügung stehen, um dem Besucher die Möglichkeit zu geben, die Persönlichkeit in ihrer ganzen Tiefe kennen zu lernen, selbst Casanova zu werden."
    Touristen als Zielgruppe
    Doch vertieft werden diese virtuellen Erlebnisse nicht. Das Museum spricht zwar die verschiedenen Rollen Casanovas an, erzählt mit Projektionen von seinen Fluchtbewegungen kreuz und quer durch Europa, aber liefert im Grunde nicht mehr Informationen als eine illustrierte Wikipedia-Seite. Ein Audioführer in zehn Sprachen deutet auf die Zielgruppe hin: die vielen Touristen, die Venedig heimsuchen. Parodi, der auch eine Casanova-Stiftung gegründet hat, möchte im kommenden Jahr ein ähnliches Museum ebenso in Prag einrichten. Geplant ist zudem eine Wanderausstellung, die den virtuellen Casanova zwischen Sankt Petersburg und Paris, Wien und Dresden an die Aufenthaltsorte seines unsteten Lebens führen soll.
    Züchtiges Liebesspiel
    "Ach die Frauen, Kreuz und Wonne jedes Mannes" – so wird Casanova aus seinen Erinnerungen zitiert, während auf einer Glaswand, hinter der ein originales Schlafgemach des 18. Jahrhunderts (*) zu sehen ist, Schattenfiguren ein züchtiges Liebesspiel andeuten. Natürlich klammert das Museum den Frauenhelden nicht aus. Diese von Casanova durchaus selbst inszenierte Rolle wird allerdings genauso wenig in der damaligen Zeit vertieft, wie die des selbsternannten Philosophen oder politischen Denkers.
    Wie aber heute anlässlich von Me-Too-Debatten mit dieser Rolle des Libertiners umgehen? In der Gesellschaft des 18. Jahrhunderts (*) war Frauenfeindlichkeit noch weit verbreitet. Casanova hatte sich in seine erotischen Abenteuer nie von Machtpositionen aus, sondern eher von der des begehrenswerten Außenseiters gestürzt. Dazu die Literaturwissenschaftlerin Marita Liebermann:
    "Ihn abzulehnen ist, wenn man von heutigen Maßstäben ausgeht, sehr leicht. Aber ich glaube, dass man ihm damit nicht gerecht wird. Er selbst würde sich auch als jemand sehen, der für die Rechte der Frauen eintritt."
    Auch wenn das neue Casanova-Museum von Venedig bei allen Themen wenig in die Tiefe geht, könnte es doch den einen oder anderen Besucher anregen, sich ausführlicher mit diesem genusssüchtigen Freigeist zu beschäftigen. Zum Beispiel seine durchaus unterhaltsamen Lebenserinnerungen lesen.
    (*) Anmerkung der Reaktion: In einer ursprünglichen Fassung war vom 17. Jahrhundert die Rede. Es handelt sich aber um das 18. Jahrhundert. In der Audio-Version ist noch die ursprüngliche Fassung nachzuhören.