Heinlein: Aus Berlin Andreas Abs und am Telefon begrüße ich jetzt Bundesverbraucherschutzministerin Renate Künast von den Grünen. Guten Morgen!
Künast: Guten Morgen Herr Heinlein.
Heinlein: Frau Künast, wird es heute zu einer Grundgesetzänderung kommen? Sie brauchen etliche Stimmen von der Union.
Künast: Ich denke diesmal ja. Anders als im Vorspann glaube ich übrigens, dass es nicht nur an der Wahl liegt, sondern es ist eine Mischung. Die Menschen haben im letzten Jahr gerade durch BSE und die Maul- und Klauenseuche mal so richtig erlebt, wie wir mit Tieren umgehen, was alles passieren kann, haben auch erlebt, was in der sogenannten Nutztierhaltung in der Landwirtschaft an Umgang mit Tieren da ist. Ich glaube das Ergebnis des ganzen ist, dass das was früher schon mit Tierversuchen begründet wurde und von manchen ja viele, viele Jahre erkämpft wurde jetzt noch eine Verbindung kriegt mit dieser ganzen Nutztierhaltung. Wer wollte heute erklären - und das kann offensichtlich auch die CDU nicht mehr -, warum sie dazu nein sagen sollte.
Heinlein: Frau Künast, die deutschen Tierschutzgesetze gelten weltweit als vorbildlich und sehr weitreichend. Warum muss denn der Tierschutz nun auch noch im Grundgesetz verankert werden?
Künast: Was ist unser Grundgesetz? - Unser Grundgesetz sagt ja grundsätzlich, dass das der Konsens der Gesellschaft ist über die Werte, die wir schützen wollen, über die Verpflichtungen, die der Staat hat. Bei der Verpflichtung sieht man zum Beispiel die Staatszielbestimmung. Bisher haben die Gerichte immer wild ausgelegt, indem sie das Gemeinwohl heranziehen mussten und dann angefangen haben abzuwägen. Jetzt ist es so, dass in den Rechtsgüterabwägungsprozess eben auch "und die Tiere" dazu gehört. Das macht die Sache rund und das gibt natürlich auch für alle Gerichte und für die Exekutive einen Auftrag.
Heinlein: Wer trifft denn künftig diese Güterabwägung zwischen den Staatszielen, etwa Freiheit der Wissenschaft auf der einen und Tierschutz auf der anderen Seite?
Künast: Es kommt darauf an, in was für einer Situation wir uns befinden. Wenn Gerichte angerufen werden, muss das Gericht eben jetzt nicht mehr das Gemeinwohl heranziehen, sondern sagt klar es gibt den Auftrag, die Tiere zu schützen. Übrigens geht es da nicht nur um das einzelne Tier heute, sondern auch das Tier in der Zukunft, dass wir in Zukunft bestimmte Gattungen überhaupt noch haben, dass die hier einen Lebensraum haben und nicht unter das Biolimit geraten und dann diese Rasse ausstirbt. Es ist aber auch eine Abwägung, die Politikerinnen und Politiker zu treffen haben. Bei jedem Gesetz oder jeder Verordnung muss man sich angucken, welche Rolle spielen die Tiere hier, und eine Rechtsgüterabwägung machen. Nehmen wir das Beispiel Kosmetika, die Rohstoffe. Darin sind Tierversuche ganz kurz angesprochen worden. Das heißt auch, dass jetzt noch klarer ist, obwohl das Tierschutzgesetz uns darauf auch schon hingewiesen hat, dass man abwägen muss. Dann geht die ganze Palette der Abwägung von der Frage muss man für Kosmetika, also dafür, dass der Mensch noch schöner ist, Tierversuche machen, darf man das, ist das verantwortbar - das werden sie dann mit nein beantworten müssen - bis zum ganz anderen Ende, wo man sagt, man kann Tierversuche vertreten, wenn es um die Herstellung einer Therapie für beim Menschen lebensgefährliche Erkrankungen geht.
Heinlein: Ganz konkret: im Jahr 2000 - so habe ich es nachgelesen - gab es in Deutschland fast zwei Millionen Tierversuche. Werden es denn künftig weniger sein?
Künast: Ich glaube das ist ein Werkzeug dafür, um damit weniger hinzukriegen. Es gibt da auch andere Rechtsregeln. Es gibt auch europäisches Recht. Auch in Brüssel ist eine so genannte Kosmetiker-Richtlinie im Augenblick hart umkämpft. Auch dort geht es um Rohstoffe dazu und Tierversuche. Es ist ein Werkzeug. Es ist auch die Frage was machen die Bürgerinnen und Bürger mit dieser Verfassungsbestimmung.
Heinlein: Sie haben Brüssel angesprochen, Frau Künast. Es gibt Fragen, warum Deutschland jetzt vorprescht und nicht wartet auf europäische Rechtsverordnungen. Warum hat man denn nicht darauf gewartet, dass Brüssel in dieser Richtung entscheidet?
Künast: Das hört sich so an als sei Warten die richtige Methode, um Politik und Leben zu gestalten. Millionen Menschen in dieser Republik sagen, so kann man mit Tieren nicht umgehen. In der ganzen Debatte von der Legehenne bis zum Pelztier wird das ja kritisiert. Auch Brüssel, auch Europa verändert sich nur, wenn man im eigenen Land anfängt und zeigt, dass man mit den zehn Stimmen, die Deutschland zum Beispiel bei Ratsbeschlüssen in Brüssel hat, gewillt ist, in Zukunft anders umzugehen. Veränderungen fangen immer im eigenen Land an.
Heinlein: Was sagen Sie denn zu dem Vorwurf, der jetzt noch einmal verschärfte deutsche Tierschutz vertreibe Forscher ins Ausland, sprich in Länder, die es mit dem Tierschutz nicht ganz so genau nehmen?
Künast: Davon halte ich überhaupt nichts, weil es immer noch so ist, dass sie hier einen Abwägungsprozess haben. Wer so einen Vorwurf macht sagt eigentlich in der Übersetzung in Wahrheit, Forschung darf alles und hat nicht auch irgendwo ihre Grenzen. Ich meine, dass im Verhältnis zum Mensch, auch im Verhältnis zum Tier Forschung zwar frei ist, aber auch ihre Grenze hat. Das ist ein ganz normaler Vorgang, dass auch die Forschung legitimieren muss, ob diese Tierversuche zum Beispiel tatsächlich nötig sind. Ich weiß eines genau: verantwortliche Forscher wissen damit umzugehen und wissen was sie machen und können deshalb wunderbar leben und würden wahrscheinlich selber auch zustimmen zu sagen, und die Tiere müssen ins Grundgesetz.
Heinlein: Ein anderer Punkt, weshalb manche europäische Rechtsnormen fordern und nicht ein deutsches Vorbreschen, sind die Landwirte. Die sagen, sie haben jetzt Wettbewerbsnachteile gegenüber europäischen Landwirten, die etwa bei Legehennen oder anderen Themen nicht so belastet sind wie eben sie durch deutsche Rechtsnormen?
Künast: Einmal wehre ich mich ehrlich gesagt dagegen, immer zu sagen "die Landwirte". Das sind einzelne Funktionäre und nicht die Landwirte. Der Großteil der Landwirte hat gar kein Problem damit und tut das seit langer Zeit, verantwortungsvoll mit Tieren umzugehen. Wenn gesagt wird, wir preschen hier an dieser Stelle vor, zum Beispiel bei den Legehennen sage ich mal, viele Legehennenbetreiber sind mit Millionen von Legehennen schon abgezogen, bevor wir Anfang letzten Jahres begonnen haben, dem Tierschutz mehr Bedeutung beizumessen. Dem einen oder anderen, zum Beispiel dem Betreiber, der seine Legehennen mit Nikotin begast hat, damit sie aggressiver sind und noch mehr Eier legen, weint glaube ich niemand in der Bundesrepublik eine Träne nach. Andere sind weit früher abgereist. Die Antwort darauf heißt doch nicht Tiere zu quälen, indem sie bewegungsunfähig auf einem Gitter stehen, um Eier zu legen, sondern heißt, dass wir den Menschen Hilfestellung geben zu erkennen was ist der Eiercode, der demnächst auf den Eiern stehen wird, und wie können sie bewusst Boden, Freiland oder Bio einkaufen. Genau daran arbeiten wir!
Heinlein: Frau Künast, ursprünglich wollte rot/grün - wir haben es im Vorspann gehört - ja mehr als diese Dreiwortergänzung zum Grundgesetzartikel 20a, nämlich einen eigenen Tierschutzartikel 20b. Hätte denn dies unsere Tiere noch besser geschützt?
Künast: Das hätte den Abwägungsprozess noch weiter verändert, klar, aber ich sage Ihnen ehrlich: wir haben unsere Position dargelegt, die CDU, die anfänglich überhaupt nicht wollte und das vor Jahren verhindert hat, hat ihre vorgelegt. Wir haben jetzt "und die Tiere" dann wohl im Grundgesetz. Das setzt neue Maßstäbe bei der Abwägung. Ich bin an einem Tag wie heute richtig glücklich, das erstemal, dass Grüne richtig zielgenau eine Verfassungsänderung durchgesetzt haben. Das ist ein großer Schritt.
Heinlein: Im Bundestag heute die Entscheidung über das Staatsziel Tierschutz. Dazu heute Morgen hier im Deutschlandfunk Verbraucherschutzministerin Renate Künast. - Frau Künast, ich danke für das Gespräch und auf Wiederhören!
Link: Interview als RealAudio