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Neugebauer: "Bild" verfolgt in Fall Wulff "primär einen ökonomischen Zweck"

Durch die Verweigerung der Veröffentlichung seines Anrufs bei "Bild"-Chefredakteur Diekmann gebe Christian Wulff das Gesetz des Handelns in die Hände der "Bild"-Zeitung, sagt der Politikwissenschaftler Gero Neugebauer. Für diese würden letztlich wirtschaftliche Interessen dominieren.

Gero Neugebauer im Gespräch mit Martin Zagatta | 06.01.2012
    Tobias Armbrüster: Wie sehr hat das Ansehen von Christian Wulff in den vergangenen Tagen gelitten? Das versuchen derzeit, die Meinungsforscher herauszufinden. Ein interessantes Ergebnis dabei des ARD-Deutschlandtrends. Es hat gestern gezeigt, eine Mehrheit der Deutschen will, dass man Wulff eine zweite Chance gibt, obwohl ebenfalls eine Mehrheit der Meinung ist, Wulff sei in seinem Interview am Mittwoch nicht glaubwürdig oder sogar peinlich gewesen. Weitermachen ja, aber glaubwürdig nein – mein Kollege Martin Zagatta hat darüber gestern Abend mit dem Berliner Politikwissenschaftler Gero Neugebauer gesprochen. Und er hat ihn zunächst gefragt, wie er sich diese Diskrepanz bei den Antworten erklärt.

    Gero Neugebauer: Der Respekt vor dem Amt ist ja sehr hoch. Das Amt gilt in Umfragen immer als eines, das am meisten wertgeschätzt wird, ähnlich hoch wie das Bundesverfassungsgericht. Und ich kann mir das eigentlich nur so erklären, dass man immer noch nicht so ganz der Meinung ist, dass der gegenwärtige Amtsinhaber dieses Amt ausfüllt, aber aus Respekt vor dem Amt sagt man, okay, lieber lassen, als es einem neuen Wechsel auszusetzen und dadurch vielleicht weiter zu beschädigen. Ich kann mir das anders nicht erklären. Angesichts der Verwirrungen, die ja auch herrschen in der Öffentlichkeit und der Einschätzungen, denke ich mir, kann man so etwas nur so erklären.

    Martin Zagatta: Eine Mehrheit ist offenbar der Ansicht, so jedenfalls interpretiert die ARD ihre Umfrage, die Medien wollten Wulff fertig machen. Wie kommt so ein Eindruck zustande, wenn die Mehrheit gleichzeitig sagt, Wulff habe sie nicht überzeugt?

    Neugebauer: Dieser Eindruck kommt dadurch zustande, dass die Medien dieses Gespräch von Herrn Wulff oder zwischen Herrn Wulff und den beiden Chefredakteuren in der Tat so interpretiert haben, dass fast ein einhelliges negatives Bild dargestellt worden ist. Es galt ja auch für den Herrn Wulff, die Medien zu überzeugen, dass er mit seinem Verhalten ihnen gegenüber, wenn auch beispielhaft am Fall der "Bild"-Zeitung, ein Verhalten gezeigt hat, das nicht zu akzeptieren ist. Er musste doch deutlich machen, dass er aus seiner Position heraus weder die Kompetenz hat, noch irgendwie legitimiert ist, auf die Art und Weise der Ausübung des Artikel fünf des Grundgesetzes Einfluss auszuüben, und da sind die Medien natürlich stärker interessiert, ihn zurückzuweisen, als es vielleicht die Öffentlichkeit ist, die dieses Spannungsverhältnis nicht so wahrnimmt.

    Zagatta: Der Streit hat sich jetzt ja auch darauf zugespitzt, dass Wulff der "Bild"-Zeitung die Veröffentlichung seines Drohanrufes verweigert. Verstößt er Ihrer Ansicht nach damit gegen Offenheit und Transparenz, die er bei seiner Entschuldigung ja noch versprochen hat, oder ist das nur allzu verständlich, dass der Bundespräsident nicht möchte, dass diese Aufnahme veröffentlicht wird?

    Neugebauer: Ja wie möchte er sie nicht veröffentlicht haben? In Berlin hört man ja schon, es gäbe bereits eine notariell beglaubigte Abschrift, die kursieren würde in den Redaktionen. Ich kann mir vorstellen, dass er sich mit dieser Weigerung eigentlich doch mehr in die Hände des Gesetz des Handelns, in die Hände der "Bild"-Zeitung gibt, als er das versucht, in seine eigenen zurückzubekommen. Es ist verständlich, wenn er keine Veröffentlichung, insbesondere nicht als Audiodatei haben möchte, wenn er in einer besonders stark emotional geprägten Stimmung ist, wenn es ihm darum geht, vielleicht weitere Geschichten über seine Familie zu verhindern, oder wenn in unterschiedlichen, weiß ich nicht, Äußerungen, stimmlichen Äußerungen, Lachen, Weinen, Schluchzen oder was immer so emotional dazukommen kann, wenn er sozusagen fühlt, da ist er in seiner persönlichen Ehre verletzt. Aber wir wissen aus der Rechtsprechung, sobald er das Wort einem Datenträger anvertraut und damit aus seiner Verfügungsgewalt auch gegeben hat, ist er nur dort geschützt, wo es um Verletzung seiner persönlichen Ehre geht. Alles andere ist im Belieben dessen, der im Besitz dieser Aufzeichnung ist, zu veröffentlichen, und der wird sich dann, wenn er sich an das Gesetz hält, auch entsprechend schützen.

    Zagatta: Wie bewerten Sie da im Moment die Rolle der "Bild"-Zeitung? Die hatte ja über Jahre einen eher schmuddeligen Ruf. Muss man ihr jetzt dankbar sein für so hartnäckige Recherchen?

    Neugebauer: Meine Antwort fällt zwiespältig aus. Auf der einen Seite wissen wir gar nicht, was die "Bild"-Zeitung alles weiß, und insofern wissen wir auch nicht, dass das, was sie gegenwärtig angibt zu wissen und veröffentlichen kann, auch bereits ausreichen könnte, um Herrn Wulff zu stürzen, denn Herr Wulff wird ja, glaube ich, auch nur noch deshalb im Amt sein, weil möglicherweise das Ende dieser ganzen Informationen noch nicht erkennbar ist. Aber andererseits, denke ich, muss man auch der "Bild"-Zeitung dankbar sein dafür, dass sie sich an einem bestimmten Punkt dem Eindruck widersetzt, sie könnte sozusagen aus Gefälligkeit über bestimmte persönliche Beziehungen eher einen Kandidaten von Frau Merkel schützen wollen, als ihn zu beschädigen. Nur ich denke, letztendlich dürften für privatwirtschaftliche Verlage wirtschaftliche Interessen dominieren, und insofern verfolgt die "Bild"-Zeitung mit dieser Veröffentlichung sicher primär einen ökonomischen Zweck.

    Zagatta: Wenn wir jetzt noch mal auf den Deutschlandtrend blicken – wenn Wulff peinlich ist, aber nicht zurücktreten soll, kann der Bundespräsident nach diesem Deutschlandtrend die Affäre noch aussitzen, oder geht das nicht in diesem Amt?

    Neugebauer: Nach meiner Einschätzung geht das nicht. Ich denke, dass er durch ist, ohne jetzt mal die Außenwirkung zu beachten. Ein Präsident, der in seinem Verhalten nicht den Erwartungen entspricht, die an ihn gerichtet werden und vor allen Dingen auch immer gemessen werden an nicht allen, aber einigen herausragenden Vorgängern, der hat nicht die Autorität, die man, ohne vielleicht absolutistischen oder autoritären Staatsbildern verpflichtet zu sein, aber nicht die Autorität, die man jemand zusprechen möchte, der die Bundesrepublik repräsentiert. Und insofern: Jenseits aller parteipolitischen Zwecke, denke ich, ist es problematisch, einen Präsidenten zu haben, von dem man sagt, oh Gott, hoffentlich sind die fünf Jahre bald vorbei, in denen wir ihn noch haben, und damit auch seine Möglichkeiten, ernst genommen zu werden und das durchzuführen, was er machen möchte, was er bisher ja nicht erklärt hat, ebenso wenig wie er erklärt hat, warum das Amt nun schwieriger geworden sei, ihm das dann wirklich gutzuschreiben. Also nach meiner Einschätzung hat er zurzeit ein sehr schlechtes Standing und nur dann, wenn wirklich nichts Neues herauskommt, wird er eine Chance haben zu überleben.

    Zagatta: Aber zum Rücktritt zwingen kann man ihn ja schlecht?

    Neugebauer: Ja. Man kann ihn in der Tat schlecht zum Rücktritt zwingen. Das ist eine der Eigenschaften, die auch eben Bundespräsidenten haben, dass sie, wenn sie eigentlich gewählt worden sind, nur dann aus dem Amt entfernt werden können, wenn gegen sie eine Anklage vom Bundesverfassungsgericht erhoben wird und das Bundesverfassungsgericht feststellt, dass eine Amtsverletzung stattgefunden hat, und das wird man Herrn Wulff in der gegenwärtigen Situation nicht vorwerfen können.

    Armbrüster: So weit der Berliner Politikwissenschaftler Gero Neugebauer gestern Abend im Gespräch mit meinem Kollegen Martin Zagatta.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.