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Neugebauer: Die SPD kann sich eigentlich nicht verweigern

Zur Großen Koalition gebe es eigentlich keine Alternative, findet der Politologe Gero Neugebauer. Grüne und Union hätten zwar Anknüpfungspunkte, aber keine echte Neigung, zusammenzugehen. Die SPD hingegen müsse ihre Rolle in der Koalition genau definieren.

Gero Neugebauer im Gespräch mit Martin Zagatta | 23.09.2013
    Martin Zagatta: Über einen langweiligen Wahlkampf, wenn es ihn denn überhaupt gegeben hat, klagt niemand mehr, seit sich gestern Abend das etwas überraschende Ergebnis dieser Wahl abgezeichnet hat: der unerwartet deutliche Erfolg der CDU, das katastrophale Abschneiden der FDP und das mäßige Abschneiden der rot-grünen Opposition, die ja eigentlich mit dem Ziel angetreten war, die Regierung zu übernehmen. Wie gehen die Parteien jetzt mit diesem Ergebnis um und wie geht es nun weiter?
    Mitgehört hat der Politikwissenschaftler Gero Neugebauer von der Freien Universität Berlin. Guten Tag, Herr Neugebauer.

    Gero Neugebauer: "Mahlzeit" sagt man in Berlin, Herr Zagatta. Aber guten Tag!

    Zagatta: Dann Mahlzeit! – Fangen wir vielleicht mit der FDP an. Die ist ja gestern von den Wählern fast verspeist worden. FDP-Chef Rösler soll jetzt seinen Rücktritt auch schon erklärt haben, das scheint wohl klar, das wird nachher wahrscheinlich offiziell bekannt gegeben. Herr Neugebauer, was hat denn den Liberalen das Genick gebrochen?

    "Das Genick gebrochen hat der FDP der Verzicht auf Glaubwürdigkeit"
    Neugebauer: Polemisch gesagt der fehlende Rücktritt von Herrn Rösler im Januar des Jahres und dieser Aufbau dieser Doppelspitze, die nämlich an der personellen Einschätzung der FDP nichts geändert hat. Aber das Genick gebrochen hat ihr ihr Erscheinungsbild in der Koalition, der Verzicht auf Glaubwürdigkeit, übersetzt als der Verzicht darauf, was versprochen worden ist tatsächlich auch zu liefern. Also: keine Leistung gebracht, auf Belohnung gehofft, und das ist die falsche Hoffnung. Und wenn man dann noch feststellt, sie haben ihre Kompetenzen verloren und sind sozial kaum noch in der Wählerschaft verankert, dann ist das Verschwinden irgendwie auch logisch zu erklären.

    Zagatta: Ist das schlimm für die Union?

    Neugebauer: Die Union ist jetzt die einzige Partei des sogenannten bürgerlichen Lagers. Am Rande dümpelt die AfD vor sich hin und natürlich auch noch weiterhin die FDP. Es ist nicht schlimm im Zuge der Pragmatisierung der Union, weil sie offen ist, auch in andere Lager hinein Bündnisse zu bilden. Das hat sie mit der Sozialdemokratie schon vorgeführt, sie hat es auch in Hamburg mit den Grünen vorgeführt. Aber es ist im Moment zumindest erst mal eine Erfahrung, auf die sie sich einstellen muss und die zumindest auch das traditionelle Koalitionsdenken auch auf der Länderebene ein bisschen durcheinanderbringt.

    Zagatta: Und wie ist das mit dem Bund nach Ihrer Einschätzung? Läuft da jetzt alles auf eine Große Koalition hinaus?

    Neugebauer: Es bleibt eigentlich keine andere Möglichkeit. Die Grünen haben im Zuge des Wahlkampfs, im Zuge auch ihrer eigenen Findung deutlich gemacht, dass die Programmpunkte, die sie aufstellen, sehr wenige Übereinstimmungen haben mit dem, was von der Union propagiert worden ist. Natürlich gibt es Gespräche, die Grünen werden auch der Union ihre neuen Punkte präsentieren, die sie ausgearbeitet haben, und zu diesem oder jenem Punkt wird auch die Union zustimmen können. Aber in der Summe dürfte es keine Neigung geben, mit der Union zusammenzugehen. In der Umarmung mit der Union kommen die Grünen um und insofern denke ich mir, werden die sich da anders verhalten müssen.

    "Ist die SPD in einer Koalition Frau Merkels Pudel?"
    Anders ist es natürlich mit einer Großen Koalition. Die ist sehr wahrscheinlich. Nur da haben wir dann die Frage, ist die SPD in einer Koalition Frau Merkels Pudel, von dem sie dann fürchtet, dass er sie in die Hand beißen wird, oder ist sie ihr Gehilfe, der sie unter anderem dabei unterstützt, die Wünsche von Horst Seehofer zu begrenzen. Die SPD jedenfalls muss in dieser Koalition darauf achten, dass sie den grundsätzlichen Fehler von 2005 und der folgenden Jahre vermeidet, nämlich auf ein genuin sozialdemokratisches Projekt – damals war schon der Mindestlohn im Gespräch – zu verzichten und auch zu glauben, in der Koalition spiele der Parteienwettbewerb keine Rolle.

    Dann riskiert sie es nach meiner Meinung, ihre Identität weiter zu beschädigen und sich dann auch schlicht gefallen lassen zu müssen, wozu es sie eigentlich geben soll, außer der Union eine Mehrheit zu verschaffen. Dann leuchtet im Hintergrund dann das Schicksal der FDP als warnendes Beispiel auf. Also da muss die SPD aufpassen und sie wird die Diskussion in ihren Reihen auch sicher führen, und wir wissen, es gibt immer eine Fraktion, die Müntefering folgt, Opposition ist Mist, und die andere, die sagt, wir sind überhaupt noch nicht weit genug, wir müssen noch mal vier Jahre in die Reha. Nur die Entscheidenden sitzen zurzeit oben im Vorstand.

    Zagatta: Da erfahren wir nachher vielleicht noch mehr. – Wie hoch kann denn die SPD da jetzt angesichts dieses relativ schlechten Wahlergebnisses überhaupt pokern? Oder anders gefragt: Ist es vorstellbar, dass sich die SPD einer Großen Koalition verweigert? Würden die Wähler ihr das nicht ganz übel nehmen?

    Neugebauer: Wir haben in Deutschland keine Erfahrung mit Minderheitenregierungen, außer für ganz kurze Phasen mal in den 60er- und 80er-Jahren, und wir haben Erfahrungen mit der Kooperation von ungeliebten Parteien. Das ist in Brandenburg der Brandenburger Weg, wo eine SPD-geführte Regierung mit einer PDS in der Opposition zusammengearbeitet hat, die Tolerierung, und dann natürlich Bündnisse aus drei Parteien, die aber nie geliebt waren.

    Also die SPD kann eigentlich sich nicht verweigern, wenn sie auf die Arithmetik hinweist und wenn sie sagt, sonst ist Deutschland nicht regierungsfähig, aber sie wird auch handeln müssen, nicht zuletzt deshalb, weil sie eigentlich wirklich um ihr Selbstverständnis kämpft. Wenn sie eine Politik macht, die sie auf Dauer in dem 20-Prozent-Ghetto lässt, dann hat sie wirklich keine Perspektive mehr, die sagen kann, ich bin ein eigenständiger Konkurrent mit Programmpunkten, mit einem politischen Profil, mit Wertorientierungen, die mich von der Union deutlich genug unterscheiden, damit ich wieder später auch mal eine Regierung führen kann.

    Die Alternative: sie geht in eine Koalition, lässt sie irgendwann platzen, oder Frau Merkel lässt sie platzen, es kommt zu Neuwahlen und Rot-Rot-Grün sehen sich dann nicht mehr wie gegenwärtig als, fast hätte ich gesagt, Kontrahenten in einem Bürgerkrieg, sondern als mögliche Partner.

    Zagatta: Halten Sie das für wahrscheinlich, oder wird das so kommen, dass da in den nächsten Jahren sich die SPD auf die Linke zubewegen muss und umgekehrt wahrscheinlich? Wird das so kommen?

    "Bestimmte Personen mögen sich einfach nicht"
    Neugebauer: Die Notwendigkeit, dass das so kommen muss, ist eigentlich in beiden Parteien erkannt worden. In der Linken hat eine kurze Diskussion über das Verhältnis zur SPD dazu geführt, dass die Parteiführung sofort erbitterten Gegenwind bekommen hat. Den konnte Herr Gysi ein wenig ausgleichen, aber Herr Gysi ist jemand, der sich immer gern darin gefällt, der SPD zu sagen, was eigentlich sozialdemokratische Politik ist. Da berührt er einen Punkt, der das Verhältnis beider Parteien erheblich stört, nämlich persönliche Animositäten. Man mag sich, bestimmte Personen mögen sich einfach nicht.

    Der zweite Punkt ist, dass immer gesagt wird, wir haben ja unvereinbare Programme. Guckt man sie sich im sozialen Bereich an, so sind die gar nicht so unvereinbar. Da liegen die Summen auseinander, über die gesprochen wird, aber nicht die Ideen, die dahinter sind. Und die anderen Punkte, beispielsweise Austritt aus der NATO – wer bitte schön soll denn den Austritt aus der NATO verlangen und wo hofft denn die Linke dafür Mehrheiten zu finden. Das sind eher Punkte, die nach innen gegeben werden, damit innerparteiliche oppositionelle Fraktionen noch einen Punkt finden, an dem sie sich festmachen können.

    Aber es wird langfristig nicht anders laufen, denke ich, weil die Normalisierung des Parteiensystems in der Bundesrepublik jetzt auch dazu führt, dass auf dem rechten Rand mit der AfD eine Gruppierung auftaucht, die eine potenzielle Konkurrenz, teilweise Konkurrenz für die Union ist. Angesichts der gegenwärtigen Größenverhältnisse mag man darüber lachen, aber ursprünglich war das mit der WASG im Westen und der Sozialdemokratie ähnlich und daraus ist die Linke geworden, immerhin stark genug, um heute eine Rolle zu spielen in der Politik.

    Zagatta: Wie schätzen Sie das überhaupt ein mit der AfD, mit dieser Alternative für Deutschland, aus dem Stand fast die Fünf-Prozent-Hürde übersprungen? Ist das eine Partei, die schnell wieder verschwinden wird, die wieder zurückfallen wird, oder sehen Sie da einen Aufstieg einer neuen Partei?

    Neugebauer: Die Partei hat es erstaunlich schnell geschafft, sich aufzustellen, eine Organisation zu gründen, Mitglieder zu gewinnen, Geld zu organisieren, einen Wahlkampf zu machen, der aufgefallen ist, und dann knapp fünf Prozent zu erreichen. Das sind Leistungen, die man bei der Konstituierung einer Partei nicht unterschätzen sollte. Dass sie jetzt knapp unter den fünf Prozent gelandet ist, ist einerseits ein Misserfolg der Strategie von Frau Merkel, Europa so weitgehend wie möglich aus dem Wahlkampf herauszuhalten.

    "Zukunft der AfD entscheidet sich nach Europawahl 2014"
    Da gibt es dann doch eine Gruppe von Leuten, die sagen, das kann man nicht und dann greifen wir eben bestimmte Positionen auf. Andererseits ist es bislang immer nur ein bestimmter Punkt. Die Frage, ob die Partei dauerhaft existieren kann, wird man, glaube ich, erst nach der Europawahl 2014 beantworten können, wenn sie aufgrund einer geringeren Prozentgrenze ins Europaparlament gelangt und da dann auch möglicherweise auf, na sagen wir mal, ihr eher geneigte Bündnisgenossen trifft, die dann ihre Position auch in Deutschland selbst wieder stärken könnten.

    Zagatta: Wie wird sich dieser Aufstieg oder dieser Erfolg jetzt der AfD Ihrer Meinung nach noch auswirken? Wird da die Union sagen, seht her, wir haben es mit unserer Politik geschafft, oder muss man da Rücksicht nehmen auf diese Stimmen, die ja dann doch in der Bevölkerung Widerhall finden?

    Neugebauer: Die Europapolitik von Frau Merkel ist ja ein bisschen ambivalent. Wenn man ihr jetzt zustimmen würde, dass sie vom Ende her denkt, dann müsste sie ja in Fragen Europas vom Ende her denken. Das hieße eine politische Union. Dann wäre es jetzt an der Zeit, über die wirtschaftlichen und sozialen Voraussetzungen einer erweiterten oder vertieften Integration nachzudenken. Das heißt, sie kann eigentlich gar keinen Kurs rückwärts einschalten, und insofern kann sie auch gar nicht der AfD ein Angebot zur Kooperation machen, selbst wenn die aus unterschiedlichen Gründen daran interessiert sind.

    Insofern tut Frau Merkel, glaube ich, gut daran, keine Angebote zu offerieren, zumal sie die ja auch nicht für eine Koalition braucht, denn eine Partei, die uns die Vergangenheit als Zukunft anbietet in Europa, ich glaube nicht, dass die eine langfristige Perspektive haben wird. Aber sie vertritt einen nicht geringen Teil des politischen Spektrums in der Bundesrepublik und solange das parteiförmig organisiert werden kann, kann sie durchaus existieren und ausgehalten werden.

    Zagatta: Der Politikwissenschaftler Gero Neugebauer von der FU Berlin. Herr Neugebauer, danke für diese Einschätzungen und Mahlzeit nach Berlin.

    Neugebauer: Danke und Mahlzeit nach Köln.


    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.