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Neuköllner Oper Berlin
Kreneks "Diktator" in gelungener Schrammelbesetzung

Mit der Jazzoper "Jonny spielt auf" hatte der Komponist Ernst Krenek in den 20er-Jahren großen Erfolg. Woraufhin er drei weitere Kurzopern schrieb, darunter auch "Der Diktator". Nun hat die Neuköllner Oper in Berlin das rau klingende Stück auf die Bühne gebracht - mit viel Experimentierfreude.

Von Julia Spinola | 12.11.2018
    Szene aus der Inszenierung "Der Direktor" an der Neukoellner Oper
    Alle Figuren in "Der Diktator" sind dem charismatischen Diktator, der die Menschen manipuliert, verfallen (Neukoellner Oper/Matthias Heyde)
    Es sind Bekenntnisse einer Obsession, einer fatalen Verfallenheit mit denen die junge Regisseurin Ariane Kareev ihre Inszenierung von Ernst Kreneks Operneinakter "Der Diktator" beginnen lässt: "Du bist der, der mich schlägt, du bist der, der mich streichelt, du bist der, der mir sagt, was ich bin." Die beinahe schlaftrunken gesprochenen Sätze werden im Verlauf des Abends von den drei Trabanten des titelgebenden Diktators wie ein Mantra immer wieder aufgegriffen und variiert. Sie stammen nicht aus Kreneks Feder, sondern sind eine von mehreren Texteinschüben, zu denen sich Ariane Kareev und ihr Dramaturg Justus Rothlaender von verschiedenen Dichtungen des DDR-Schriftstellers und -Oppositionellen Thomas Brasch haben inspirieren lassen.
    Alle Figuren des Stücks sind dem charismatischen Diktator, der die Menschen manipuliert und im wahrsten Sinne des Wortes blendet, auf je andere Weise verfallen. Seine biestige Ehefrau Charlotte zieht ihr ganzes Selbstbewusstsein nur aus der Machtposition ihres Herrschergatten, und spiegelt sich in ihm, als sei er ihr eigenes Geschöpf. Den im Schützengraben erblindeten Offizier kettet sein Trauma emotional an den martialischen Despoten. Die Ehefrau des Offiziers, Maria, möchte sich wiederum an dem Diktator rächen und sucht ihn in seinem Schweizer Domizil auf, um ihn zu erschießen. Aber das Attentat scheitert. Denn Maria erliegt der erotischen Verführungskraft des Blenders. Sie sinkt ihm in die Arme und wird am Ende von der eifersüchtigen Charlotte erschossen.
    Während Krenek die Oper mit den verzweifelten "Maria"-Rufen des herumirrenden Offiziers enden lässt, erhält in der Berliner Inszenierung die Mörderin Charlotte das letzte Wort.
    Bearbeitung des Theater- und Filmkomponisten Jörg Gollasch
    Die Texteinschübe halten das Geschehen wie zeitenthobene Inseln der Reflektion immer wieder an. Sie fügen dem Stück eine kommentierende Metaebene hinzu und dehnen die originale Aufführungsdauer des Einakters von 30 Minuten auf eine beinahe abendfüllende knappe Stunde. Und auch musikalisch hält sich das Team der experimentierfreudigen Neuköllner Oper nicht sklavisch ans Original. Gespielt wird eine Bearbeitung des Theater- und Filmkomponisten Jörg Gollasch, der nicht nur eine Kammerversion der originalen Orchesterpartitur erstellt hat, sondern auch Zwischenmusiken hinzukomponierte, die Kreneks musikalische Themen in einem ausnotierten Improvisationsstil weiterfantasieren.
    Hart, rau und jazznah klingt auch die originale Musik von Krenek jetzt im schmissigen Spiel des Pianisten Walewein (sic) Witten, der Cellistin Maria Franz und des Schlagzeugers Jan-Einar Groh. Als zeitlebens an allen musikalischen Verbindlichkeiten zweifelnder Geist war Krenek in beinahe sämtlichen musikalischen Stilen des 20. Jahrhunderts zuhause. Er wandelte sich in kürzesten Stilphasen vom "Atonalen" zum Neoklassizisten, vom Schubert inspirierten Neu-Romantiker zum Jazz-Adepten, er komponierte mit der Zwölftonmethode, dann auch seriell, und experimentierte schließlich mit elektronischer Musik. Kreneks "Diktator" zitiert im Gewand der Neuen Sachlichkeit aus der Ferne Puccini und Strauss. In der kleinen Schrammelbesetzung von Jörg Gollasch erinnert die Musik nun freilich dagegen eher ein wenig an Weill oder Eisler, was ihr jedoch einen gewissen Furor verleiht, der dem Sujet nicht unangemessen wirkt.
    Voluminöse Stimmen
    Sängerisch dagegen wird in der Neuköllner Oper in die Vollen gegriffen. Die jungen Sopranistinnen Eva Maria Nikolaus - als Charlotte - und Isabel Reinhard – in der Rolle der Maria – sprengen mit ihren voluminösen Stimmen beinahe den kleinen, kaum 50 Zuschauer fassenden Raum des Studios der Neuköllner Oper, was bei aller sängerdarstellerischen Intensität, ein wenig zu Lasten der Textverständlichkeit geht.
    Lawrence Halksworth stattet den Diktator mit etwas zu durchdringender Baritonwucht aus – glänzend ist jedoch seine Darstellung des stramm gescheitelten, blonden Übermenschen, der seine autoritären Parolen in mehreren Sprachen ins Publikum schleudert: darunter nicht nur Italienisch und Deutsch, sondern auch das Amerikanisch eines Donald Trump und die fantasiedeutsche Kommandosprache aus Charlie Chaplins Film "Der große Diktator".
    Ariane Kareev, die mit dieser eindringlichen Arbeit ihre Diplominszenierung präsentiert, arbeitet in ihrer Personenregie mit körperbezogen, tänzerischen Charakterisierungen. So hat die sich spinnenhaft bewegende Charlotte die Fäden eigentlich in der Hand, während ihr Mann, der Diktator, statuarisch, als arischer Barbie-Ken agiert. Das differenzierteste Rollenporträt gelingt stimmlich wie darstellerisch dem einfühlsam singenden und agierenden Tenor Sotiris Charalampous als Offizier.
    Bis heute nicht an Aktualität verloren
    Bühne und Kostüm bedienen sich klarer Symboliken: Ein Podest mit einem Hochsitz, wie er auf einem Tennisplatz aber auch an einem KZ-Zaun als Kontrollpunkt dienen könnte, sind die höhere Domäne des Diktatoren-Ehepaars. Eine Wippe und ein Verschlag stehen für Unsicherheit und Verfolgung auf der unteren Ebene des Offiziersehepaars. Hellblau und weiß sind die Farben der Mächtigen, schwarz und blutrot jene der Opfer und Rebellen. Insgesamt gelingt der Neuköllner Oper ein runder Abend, der im Gedächtnis bleiben wird. Wie eine neue Studie der Universität Leipzig ermittelte, würden 40 Prozent der Deutschen aktuell ein autoritäres politisches System unterstützen. Die Thematik von Kreneks Oper hat heute wieder eine erschreckende Aktualität.