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Neuordnung der Gentechnik-Regeln
Die EU-Kommission steht unter Zugzwang

Methoden der Genom-Editierung wie etwa CRISPR/Cas könnten die Pflanzenzucht revolutionieren. In der EU ist diese Entwicklung derzeit allerdings ausgebremst. Denn derartige gen-editierte Pflanzen fallen unter die strengen Kontrollen der EU-Gentechnik-Gesetze. In anderen Ländern ist das nicht so.

Von Lucian Haas | 06.12.2019
Symbolfoto Genschere
Symbolfoto Genschere (Imago / Panthermedia)
Die USA, Kanada, Brasilien, Argentinien, Australien und bald vermutlich auch China. Diese großen Agrarländer der Welt haben eines gemeinsam. Sie haben den Weg für das sogenannte Genome Editing frei gemacht oder stehen kurz davor. Dort dürfen Pflanzenzüchter bestimmte Veränderungen im Erbgut durchführen, ohne dass die Produkte am Ende als gentechnisch verändert eingestuft, gekennzeichnet und reguliert werden. Forscher und Pflanzenzüchter in der EU würden das auch gerne dürfen, wie Petra Jorasch vom europäischen Verband der Pflanzenzüchter Euroseeds erklärt:
"Das Genome Editing ist ein Werkzeug, das die Pflanzenzüchter gerne nutzen würden, weil es die Züchtung insgesamt effektiver und effizienter macht."
Es geht um den Einsatz von Genscheren wie zum Beispiel Crispr/Cas. Welchen Aufschrei wird es geben, wenn solche gen-editierten Produkte nach Europa importiert werden? Holger Puchta, Züchtungsforscher am Karlsruher Institut für Technologie:
"Ich bin mir nicht sicher, wie weit überhaupt ein Aufschrei kommen wird, weil es ja einfach schlicht und ergreifend gar nicht möglich ist, dieses Sorten zu identifizieren. Und deswegen wird sich das Ganze meiner Ansicht nach auf juristischer Ebene irgendwann mal ad absurdum führen."
Juristisch ad absurdum – damit meint Holger Puchta: Die Regeln, die derzeit in Europa noch gelten, passen nicht mehr zur Realität. Mit der Genschere lassen sich im Erbgut punktuelle Mutationen einbringen. Das geht auch mit herkömmlicher Züchtung, dauert nur viel länger.
Die Fortschritte der Wissenschaft berücksichtigen
Im Juli 2018 hatte der Europäische Gerichtshof zwar geurteilt, dass Pflanzen, die durch Genome Editing entstehen, gemäß geltendem EU-Recht als gentechnisch veränderte Organismen, kurz GVO, eingestuft werden müssen. Aber die Rechtsgrundlagen dafür sind bald 20 Jahre alt. Die Wissenschaft ist in dieser Zeit weit fortgeschritten. Und daraus ist eine Spannungssituation entstanden, auch weil andere Länder das Genome Editing in der Pflanzenzucht bereits weitgehend dereguliert haben. Für die EU könnte das zur Sackgasse werden, so Petra Jorasch:
"Das Problem ist: Wenn man irgendwo in einer Schiffsladung Spuren von diesem Produkt hätte, hätte man sehr große Probleme, das überhaupt nachweisen zu können. Das ist insofern schlimm, weil die Mitgliedstaaten verpflichtet sind, gentechnisch veränderte Organismen, also deren Einfuhr, zu kontrollieren und zu überprüfen, ob sie hier eine Zulassung haben."
Solche Probleme bekam die EU-Kommission auch schon im Frühjahr 2019 mit einer Studie des eigenen Joint Research Centre und des Europäischen Netzwerks der GVO-Nachweislabore vor Augen geführt. Die Quintessenz daraus: Sehr unwahrscheinlich, dass man genom-editierte Pflanzenprodukte eindeutig wird nachweisen können.
Änderung der europäischen Gentechnik-Gesetzgebung?
Anfang November beantragte der EU-Rat deshalb bei der EU-Kommission eine weitere Untersuchung. Bis zum 30. April 2021 muss die Kommission einen Bericht vorlegen, in dem sie Wege aufzeigt, wie die Einhaltung der Gentechnik-Gesetze sichergestellt werden kann – und zwar ohne die europäischen Züchter und Pflanzenforscher zu benachteiligen. Die sehen dafür nur eine praktikable Lösung: Eine Änderung der europäischen Gentechnik-Gesetzgebung:
"Das heißt, man müsste Pflanzen, die mit konventioneller Züchtung vergleichbar sind und von dieser auch nicht unterscheidbar sind, aus dem Gentechnikgesetz rausnehmen."
Außerhalb von Europa sind Produkte bereits auf dem Markt
Die Grüne Gentechnik gilt in Europa als politisches Minenfeld. Wie und wie schnell die gerade neu installierte EU-Kommission unter Ursula von der Leyen sich darin positioniert, ist noch nicht erkennbar.
"Ich denke, positivster Weise wäre einer Neuregelung bis zum Ende dieser Legislaturperiode der neuen Kommission und des Parlaments möglich."
Das wäre 2024. Bis dahin dürften andernorts schon einige Produkte aus gen-editierten Pflanzen im Handel sein. In den USA sind bereits eine Soja-Sorte mit verbesserten Öl-Qualitäten und ein herbizidresistenter Raps auf dem Markt. 2020 soll ein Wachsmais mit besonderer Stärke-Zusammensetzung folgen. In der Pipeline befinden sich unter anderem Weizen, dessen Gluteneiweiß von Zöliakie-Kranken vertragen wird, Salat mit erhöhtem Vitamin C-Gehalt, Kartoffeln mit geringerer Acrylamidbildung, pilzresistente Bananen. Und die EU muss sich zwangsläufig fragen: Was davon wollen wir auch?