Donnerstag, 25. April 2024

Archiv

Neurowissenschaftlerin Franca Parianen
Warum wir Impfstoffe teilen sollten und was uns davon abhält

Teilen ist etwas zutiefst Menschliches, meint die Neurowissenschaftlerin Franca Parianen. Es bedeute nicht immer etwas abzugeben, sondern bringe auch Mehrwert. Das zeige sich beispielsweise beim Corona-Impfstoff. Im massiven Sammeln und Vererben von Privateigentum sieht sie hingegen ein Problem.

Franca Parianen im Gespräch mit Anja Reinhardt | 05.04.2021
Fünf Spritzen liegen nebeneinander, die Nadeln in Dosen eines Corona-Impfstoffes, 2. April 2021, USA
In der Debatte um das Teilen oder Nicht-Teilen der Corona-Impfstoffe würden sehr schnell die gleichen holzschnittartigen Argumente vorgebracht, meint Parianen (imago / Zuma / Brad Horrigan)
Ohne Teilen würden wir nicht überleben, meint Franca Parianen. Schon als Kind sei das eine Selbstverständlichkeit, beispielsweise das Teilen von Informationen – "die meisten Spezies machen das nicht".
Christoph Butterwegge im Oktober 2018 auf der Frankfurter Buchmesse.
Politikwissenschaftler Butterwegge über Corona und soziale Ungleichheit
Nicht das Coronavirus erzeuge soziale Ungleichheit in Deutschland, sondern die Strukturen in unserer Gesellschaft, so Butterwegge. Unternehmen würden in der Pandemie kontinuierlich gefördert, Arme dagegen abgefertigt.
Von Anfang an würden Menschen aber am liebsten das teilen, von dem sie danach nicht weniger haben als vorher, so die Neurowissenschaftlerin und Science-Slammerin. Sie hat unter anderem am Max-Planck-Institut geforscht und beschäftigt sich in ihrem neuen Buch "Teilen und Haben" damit, wie das Prinzip des Teilens und Nicht-Teilens die Menschen bestimmt hat.
Franca Parianen bei der Aufzeichnung der NDR-Talkshow Tietjen und Bommes im NDR-Studio auf dem Messegelände. Hannover, 22.03.2019 
Die Neurowissenschaftlerin Franca Parianen. Im März 2021 ist ihr Buch "Teilen und Haben: Warum wir zusammenhalten müssen, aber nicht wollen" erschienen. (imago / future image / C. Niehaus)

Mehrwert durch Teilen

Auch wenn es ein verbreitetes Bild sei, bedeute Teilen nicht zwangsläufig, etwas abzugeben, beispielsweise durch eine Spende. Mehrwert durch Teilen werde beispielsweise beim Zusammenarbeiten erzeugt. "Wenn der Gewinn der Arbeit geteilt wird, stehen wir danach nicht mit weniger da, sondern mit mehr". Die Frage sei: "Wie kriegen wir das hin, dass wieder Mehrwert entsteht und sich nicht der Einzelne etwas mehr abzwackt?"
Ökonomische Prinzipien wie die Shared Economy seien ein Weg zurück, zu dem, was Menschen früher gemacht hätten: Gemeinsame Ressourcen wie Arbeit und Material teilen. Dass Menschen Privateigentum sammeln und vererben, sei erst mit der Sesshaftigkeit gekommen.
Frau im Auto mit Mundschutz und Desinfektionsmittel gegen Coronavirus oder mit Reizgas zur Selbstverteidigung | Verwendung weltweit
Sharing Economy in der Coronakrise
Die Ökonomie des Teilens boomte – dann kam die Coronavirus-Pandemie. Kommerzielle Sharingfirmen wie Airbnb erleiden Gewinneinbrüche. Doch für kleinere, lokale Sharing-Anbieter kann die Krise auch eine Chance sein.
Eigentum sei auch nicht das Problem, sondern das massive Sammeln: "Was neu ist, ist, dass wir immer stärker über Generationen Eigentum ansammeln und vererben", sagte Parianen.

Debatten über Super-Reiche

Das, was Menschen zu sozialen Wesen mache, sei das Verständnis der gegenseitigen Abhängigkeit. Wenn eine Person aber sehr viel Reichtum und damit die Oberhand habe, stelle sich die Frage: Muss ich überhaupt etwas abgeben? Das zeige sich auch in aktuellen Diskussionen über Reichtum und besonders reiche Menschen wie Amazon-Gründer Jeff Bezoz. "Da tun man, als sei es optional, etwas vom Reichtum abzugeben, anstatt zu fragen: Warum kann der Mann so viel Geld haben, ohne, dass seine Mitarbeiter vernünftig bezahlt werden?"

Verteilung des Reichtums auf der Welt im Jahr 2019

Während Anhäufen von Reichtum als normal dargestellt werde, zeige sich das Teilen oft als etwas Unangenehmes und auch als etwas sehr Fernes. Als Vorbilder würden oft mythologische Personen wie Sankt Martin herangezogen – "große Personen, die ganz viel abgegeben haben". Mit unrealistischen Bildern und großen Erwartungen würden Erwachsene Kindern manchmal mehr abverlangen, als sie selbst bereit wären zu tun.
Die Statistik zeigt die Verteilung des Reichtums auf der Welt zum Ende des Jahres 2019. Ende 2019 besaß 1 Prozent der Weltbevölkerung 43,4 Prozent des weltweiten Vermögen. Rund 53,6 Prozent der Weltbevölkerung besaßen hingegen lediglich 1,4 Prozent des weltweiten Vermögens.

Das Teilen der Impfstoffe

Auch in der Debatte um die Corona-Impfstoffe würden sehr schnell die gleichen holzschnittartigen Argumente vorgebracht, meint Parianen.
Einerseits sei es klug, die Impfstoffe zu teilen, denn das bringe langfristig den Mehrwert, dass das Virus nicht weiter mutieren könne. Andererseits stehe man sich selbst weiter im Weg, indem man nationalistisch denke und auch alte Prinzipien wie Patentschutz hochhalte.
Das Foto zeigt eine Spritze und im Hintergrund den Schriftzug COVID-19
Wie kann ein COVID-19-Impfstoff gerecht verteilt werden?
Die Impfallianz GAVI will Milliardenhilfen für klassische Impfprogramme einwerben – etwa gegen Masern, Kinderlähmung und Typhus, die zum Teil wegen der Corona-Pandemie ausgesetzt wurden. Ein Teil des Geldes soll auch dazu dienen, einen möglichen COVID-19-Impfstoff gerecht zu verteilen.
"Wir glauben aber, dass es das Privateigentum als Anreiz braucht, damit sich Forscher dem Wohle der Menschheit widmen. Dabei gibt es ganz viel intrinsische Motivation", so die Neurowissenschaftlerin. Viele Medikamente seien ohne Patentschutz oder nur mit einem symbolischen Patent entwickelt worden, etwa Insulin.
33D-Modell des Coronavirus SARS-CoV2