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Neuwahlen in Syrien
"Affront gegenüber westlicher Politik"

Mit den Parlamentswahlen wolle der syrische Staatschef Baschar al-Assad Fakten schaffen, sagte der Syrien-Experte Michael Lüders im Deutschlandfunk. Damit sei die Strategie des Westens, den Rücktritt Assads zu fordern, gescheitert.

Michael Lüders im Gespräch mit Jasper Barenberg | 14.04.2016
    Der Nahost-Experte Michael Lüders.
    Mit den Wahlen wolle Assad allen Kräften den Wind aus den Segeln nehmen, die seinen Rücktritt fordern, sagte der Politik- und Islamwissenschaftler Michael Lüders im Interview mit dem Deutschlandfunk. (Imago / allefarben-foto)
    Spätestens seit Russland in den Krieg eingegriffen habe, sei klar, dass das Regime von Assad an der Macht bleiben werde: "Es gibt keine politische und militärische Kraft, die in der Lage wäre, ihn zu stürzen", so der Islamwissenschaftler. Von einem Sturz Assads könne nicht mehr die Rede sein, betonte Lüders.
    Die eine große Lösung im Syrien-Konflikt werde es nicht mehr geben, prognostizierte der Nahost-Experte. Man könne froh sein, wenn es Waffenstillstände in einigen Regionen gebe. Die gemäßigte syrische Opposition sei aktuell politisch so gut wie ohne Bedeutung und habe weder das Militär noch die Unterstützung der Bevölkerung, um den Machtwechsel voranzutreiben.
    Machtpolitische Allianz zwischen Russland und Syrien
    Russland und der Iran wollten das Regime um jeden Preis am Leben behalten, erklärte Lüders und sprach von einer "pragmatischen machtpolitischen und geopolitischen Allianz" zwischen Moskau und Damaskus.
    Die Führung in Damaskus hatte gestern in den von ihr kontrollierten Gebieten Parlamentswahlen abhalten lassen. Die syrische Opposition und die Vereinten Nationen erkennen die Wahl nicht an. Bundesaußenminister Steinmeier erklärte, unter den derzeitigen Bedingungen, wo Hunderttausenden selbst der Zugang zu Nahrung und Medizin verweigert werde, seien freie und faire Wahlen nicht vorstellbar.
    In Genf waren am Abend die von der UNO vermittelten Friedensgespräche für Syrien wieder aufgenommen worden. Die neue Verhandlungsrunde ist auf etwa zehn Tage angesetzt. Es soll um die Bildung einer Übergangsregierung und die Ausarbeitung einer neuen Verfassung für das Bürgerkriegsland gehen. Einer der größten Streitpunkte bleibt die künftige Rolle des syrischen Staatschefs Assad.

    Das Interview in voller Länge:
    Jasper Barenberg: Am Telefon ist der Politik- und Islamwissenschaftler Michael Lüders. Schönen guten Morgen.
    Michael Lüders: Schönen guten Morgen, Herr Barenberg.
    Barenberg: Neuwahlen sollen ja eigentlich auf erfolgreiche Genfer Verhandlungen folgen. Was will Assad demonstrieren, wenn er sie jetzt abhält, bevor es in Genf überhaupt so etwas wie eine Einigung am Verhandlungstisch gibt?
    Lüders: Im Wesentlichen will er Fakten schaffen. Er will allen Kräften den Wind aus den Segeln nehmen, die verlangen, dass er zurücktreten möge oder den Weg freimacht für eine Übergangslösung. Sein Signal lautet: Ich bin hier, ich bleibe hier, ich bin legitimiert von meiner Bevölkerung und es gibt daher keinen Grund, über meine Zukunft nachzudenken.
    Barenberg: Ein Signal der Stärke. Ist das also auch ein Versuch, die Schwäche der verschiedenen Oppositionsgruppen vorzuführen, insofern tatsächlich auch ein Affront gegenüber den Vereinten Nationen?
    "Strategie des Westens ist gescheitert"
    Lüders: Es ist vor allem, wenn man so will, ein Affront gegenüber westlicher Politik, die in den letzten Jahren gemeinsam mit den sogenannten gemäßigten syrischen Rebellen den Rücktritt von Assad gefordert hat. Diese Strategie ist aber eindeutig gescheitert. Spätestens seit Russland Ende September des vorigen Jahres in den Krieg in Syrien eingegriffen hat ist klar, dass das Regime von Baschar al-Assad an der Macht bleiben wird. Es gibt keine politische, militärische Kraft, die in der Lage wäre, ihn zu stürzen.
    Es stehen sich im Wesentlichen zwei Seiten gegenüber: das Regime von Baschar al-Assad und sein Militär und auf der anderen Seite verschiedene dschihadistische Milizen, allen voran der Islamische Staat und die Nusra-Front, der syrische Ableger von El-Kaida. Dazwischen gibt es relativ wenig an militärischen Kräften. Der Krieg ist also insoweit entschieden, als von einem Sturz Baschar al-Assads und seines Regimes nicht mehr die Rede sein kann.
    Wir haben in Syrien ja nicht allein einen Bürgerkrieg, der geführt wird, sondern immer auch einen Stellvertreterkrieg. Das muss man im Hinterkopf haben. Und die westlichen Staaten, die Türkei und Saudi-Arabien wollten immer seinen Sturz, um den Einfluss Moskaus und Irans in der Region zu schwächen. Syrien ist ein enger Verbündeter Teherans in der Region. Diese Strategie ist gescheitert. Die Amerikaner waren über Jahre hinweg sehr zögerlich, ob sie militärisch intervenieren sollen oder nicht. Die Russen haben es getan, die Fakten sind geschaffen.
    Barenberg: Wenn Sie sagen, dass jetzt klar ist, dass es einen Sturz des Regimes, einen Abtritt von Baschar al-Assad nicht geben wird, wie kann dann unter diesen jetzt veränderten Voraussetzungen durch die russische Militärhilfe nicht zuletzt, wie kann in dieser Situation denn eine Übergangslösung überhaupt aussehen?
    "Das saudische Regime steht mit dem Rücken zur Wand"
    Lüders: Das russische Ziel ist es, dass die Machtbasis des jetzigen Regimes, die sich im Wesentlichen stützt auf die religiöse Gruppierung der Aleviten, eine schiitische Sekte mit einigen Verantwortlichen aus dem sunnitischen Lager. Die Sunniten stellen die Mehrheit der Bevölkerung in Syrien. Die russische Vorstellung und auch die iranische besteht darin, dass diese Machtbasis erweitert wird, beispielsweise um Angehörige religiöser Minderheiten wie der Drusen und der Christen, dass im Kern aber das Regime an der Macht bleibt.
    Die Zukunft Assads ist dabei aus russischer, auch aus iranischer Sicht verhandelbar. Er wird nicht aus einer Position der Schwäche heraus abtreten. Es gibt aber mehrere Interviews, in denen Putin laut darüber nachgedacht hat, dass Assad ins Exil gehen könnte, und das ist wahrscheinlich ein Szenario, das auf ein bis zwei Jahre gerechnet, nicht unrealistisch ist. Aber natürlich weiß niemand, wie sich die Entwicklung in Syrien weiter darstellt. Es gibt über tausend Gruppen, Grüppchen und Banden, die sich in Syrien gegenseitig bekämpfen. Die eine große Lösung wird es nicht geben. Man kann schon froh sein, wenn es Waffenstillstände gibt in bestimmten Regionen, die dann doch perspektivisch halten.
    Es hat aber auch eine Veränderung gegeben, die eine Befriedung der Lage in Syrien erleichtern dürfte. Die USA und Russland reden miteinander in der Causa Syrien und das Regime in Saudi-Arabien, das ganz massiv Geld und Waffen vor allem nach Syrien geschafft hat, um die Nusra-Front zu unterstützen, den syrischen Ableger von El-Kaida, und dies in der Absicht, den islamischen Staat zu bekämpfen, das saudische Regime steht mit dem Rücken zur Wand.
    Man hat sich verstrickt in einen Krieg im Jemen, der nicht zu gewinnen ist für Saudi-Arabien, und auch in Syrien dürfte den Saudis wie auch den Türken klar geworden sein, dass ihre Strategie nicht aufgehen wird, und das ist für diese beiden genannten Länder noch sehr viel dramatischer als für die westlichen Staaten, denn die irrige Annahme, man könne Assad stürzen, hat zu massiven Verwerfungen geführt bis hin zu der Flüchtlingskrise, unter denen die Türkei massiv leidet.
    Barenberg: Auf der anderen Seite ist ja zu hören, dass das Regime in Damaskus jetzt offen davon spricht, zum Beispiel Aleppo demnächst vollständig zurückzuerobern, so etwas wie die letzte Bastion der gemäßigten bewaffneten Opposition, und da gab es aus Moskau doch andere Signale, das bitte bleiben zu lassen. So würde ich es mal formulieren. Hat Russland durch den Teilabzug auch zeigen wollen, dass Moskaus Unterstützung Grenzen hat?
    Assad will Aleppo zurückerobern
    Lüders: Ja genauso kann man es interpretieren. Es ist keine Liebesbeziehung zwischen Moskau und Damaskus, sondern es ist eine ganz pragmatische machtpolitische, geopolitische Allianz. Man will um jeden Preis das Regime am Leben erhalten, um nicht zu riskieren, dass Damaskus als Verbündeter verloren geht. Dann würden Russland und Iran ihren Einfluss in der Region massiv verloren haben. Und in Russland wie auch in China nimmt man es den westlichen Staaten nach wie vor sehr übel, dass sie damals in Libyen den Sturz Gaddafis betrieben haben, obwohl das von einer UN-Resolution nicht gedeckt war, zu der die Russen und die Chinesen indirekt zugestimmt hatten.
    Nach dieser Erfahrung ist man in Syrien nicht bereit gewesen zu irgendwelchen Kompromissen gegenüber den westlichen Staaten. Aber andererseits wollen vor allem die Russen Assad signalisieren, wir werden für Dich nicht ewig kämpfen, überspanne den Bogen nicht. Dennoch wird es wahrscheinlich zu einer Offensive der Regierungstruppen kommen auf Aleppo. Aleppo ist die Wirtschaftsmetropole Syriens, auch wenn sie jetzt in weiten Teilen in Trümmern liegt. Und wenn es gelingt, Aleppo zurückzuerobern, dann hat das syrische Regime den Kernbestand seines Machtbereiches gesichert.
    Die Gebiete entlang der türkischen und irakischen Grenze, die vom Islamischen Staat kontrolliert werden, wird das Regime wahrscheinlich nicht zurückerobern können. Syrien als der Staat, den wir kannten, mit einer starken Zentralstaatlichkeit, den wird es wohl nicht mehr geben. Was dann geschieht, muss man abwarten. Aber der Kernbereich Syriens, die fruchtbaren Gebiete entlang der Achse jordanische Grenze bis türkische Grenze, einschließlich Mittelmeerküste, der Kernbereich des alevitischen Siedlungsgebietes, den will Assad zurückerobern, und dazu gehört auch die Rückeroberung Aleppos, die zur Hälfte vom Islamischen Staat und von der Nusra-Front kontrolliert wird.
    "Die gemäßigte syrische Opposition ist politisch in Syrien ohne Bedeutung"
    Barenberg: Lassen Sie uns zum Schluss noch kurz einen Blick auf die Oppositionsgruppen werfen, die in Genf mit am Tisch sitzen. Muss man da sagen, die haben wenig Hoffnung, aber auch keine andere Wahl als dabei zu bleiben am Verhandlungstisch?
    Lüders: Ja. Diese sogenannte gemäßigte syrische Opposition, die in den verschiedenen Verhandlungen immer wieder mitgewirkt hat, ist politisch - man muss es klar und deutlich sagen - in Syrien so gut wie ohne Bedeutung. Sie hat weder eine politische noch eine militärische Option. Sie kann zweierlei machen: Sie kann sich mit dem Regime von Baschar al-Assad in irgendeiner Weise arrangieren, in der Hoffnung, von ihm kooptiert zu werden, oder aber sie kann weiterhin im Untergrund verharren, vor allem als Exilanten in Europa und sich beklagen. Aber sie hat vor Ort nicht das Militär und nicht die Unterstützung in der Bevölkerung, um den Machtwechsel in Damaskus voranzutreiben.
    Barenberg: Der Politik- und Islamwissenschaftler Michael Lüders heute Morgen hier live im Deutschlandfunk. Vielen Dank für das Gespräch.
    Lüders: Vielen Dank.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.