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Neuwahlen letzter Ausweg für Schröder

Der Parteienforscher Gero Neugebauer ist der Ansicht, dass Bundeskanzler Schröder es versäumt habe, mit einem personellen Wechsel im Kabinett oder mit einer substantiell geänderten Politik die Kontroverse mit der Union zu führen. Er habe sich dagegen entschieden und somit sei angesichts der öffentlichen Stimmung nur der Weg zu Neuwahlen geblieben, so Neugebauer.

Moderation: Friedbert Meurer |
    Friedbert Meurer: Das Ergebnis, es ist so gewesen - jedenfalls in der Aussage -, wie man es erwartet hat: Der Bundestag entzieht Bundeskanzler Gerhard Schröder das Vertrauen. Damit kann Schröder nun, wie von ihm gewünscht, Neuwahlen beantragen. In Berlin begrüße ich nun den Politikwissenschaftler Gero Neugebauer von der Freien Universität Berlin. Wie interpretieren Sie das Ergebnis der Vertrauensabstimmung?

    Gero Neugebauer: Wenn man die Ja-Stimmen und die Enthaltungen zusammenzählt, ist es ja nicht die Mehrheit, die ausdrücklich nun Nein gesagt hat. Abstimmungsverfahren sind so, dass die konkrete Zahl zählt. Die 300, die Kanzlermehrheit ist nicht erreicht, insofern hat er es verloren. Es ist so eingetreten, wie er es vorbereitet hatte.

    Meurer: Die Rede des Bundeskanzlers heute Vormittag mit den Gründen, die er genannt hat, warum er die Vertrauensfrage stellt - wie stichhaltig waren Ihrer Ansicht nach die Motive? Auch mit Hinblick natürlich auf die Entscheidung des Bundespräsidenten und des Bundesverfassungsgerichtes.

    Neugebauer: Nun gut, man muss auf die quantifizierbaren Gründe gucken: Kann er konkret sagen, wie viele seiner Fraktionsabgeordneten ihm bei dieser oder jeder Angelegenheit nicht das Vertrauen geben werden? Kann er sagen, er scheitert erneut, wenn er eine Sachfrage mit dem Vertrauen verbindet? Das konnte er ja eigentlich nicht in dem Sinne. Aber das war auch, glaube ich, weniger sein Anliegen. Sein Anliegen war ja deutlich zu machen, dass die politische Grundlage fehlt. Selbst wenn er - wie er auch sagte - einem Abgeordneten zugestehen möchte, dass dieser nach Artikel 38 durchaus frei entscheiden kann, muss er das ja nicht respektieren. Und insofern war es vielleicht dann doch etwas eigenartig, wenn der 38er - freies Mandat des Abgeordneten - gegen Abgeordnete gewendet wird, obwohl das ein Bestandteil des Grundgesetzes ist - auch wenn er in der parteipolitischen Praxis kaum eine Bedeutung hat. Denn wir haben keine freien Abgeordneten in dem Sinn, dass sie einfach losgehen, sich ein Mandat erwerben - alle sind von Parteien abhängig.

    Meurer: Wir haben ja in den letzten Wochen immer noch einige Abstimmungen gehabt, die Rot-Grün gewonnen hat. Hat Schröder wirklich Recht mit der Aussage, er besitze keine, er verfüge nicht mehr über die notwendige Handlungsfähigkeit?

    Neugebauer: Sie weisen darauf hin auf die Abstimmungen der Vergangenheit - das ist für uns, wenn wir mit Daten arbeiten, eigentlich ein sicherer Test. Und insofern sage ich, er hat das Vertrauen gehabt, er hat seine Mehrheiten bekommen. Aber es waren andererseits auch nicht entscheidende Nagelproben dabei. Nur hat er auch nicht gesagt, was ist denn da das Entscheidende, was dann da kommt - mit China, Waffenlieferungen, und mit Ausbau der Beziehungen zu Russland oder eben auch Beitritt der Türkei in die EU. Das sind Verhandlungen, da gibt es keine Entscheidungen. Na ja, also so ganz wohl ist mir da nicht.

    Meurer: Ist das die richtige Entscheidung von ihm gewesen, des Bundeskanzlers, jetzt sich eine neue Legitimation durch Neuwahlen holen zu wollen?

    Neugebauer: Nachdem er darauf verzichtet hat, eine andere Strategie zu fahren, nämlich den Versuch zu machen, mit einer anderen Mannschaft und mit einer substantiell oder auch in Aspekten geänderten Politik die Kontroverse mit der Union zu führen, blieb ihm nichts anderes übrig. Er musste auch angesichts der öffentlichen Stimmung - egal ob durch politische Klasse, durch Medien oder durch Bevölkerungsumfragen - einfach diesen Weg wählen.

    Meurer: Haben Sie irgendwelche Zweifel, wo dieser Weg enden wird? Wie die Wahlen ausgehen werden?

    Neugebauer: Ich bin ja einer von jenen, der meint, der Wähler ist immer noch für Überraschungen gut, und könnte auch Beispiele zitieren. Insofern bin ich mir nicht so ganz sicher, ob das hinhaut, was Schröder versucht. Nämlich er hat ja in dieser Rede schon eine Art Wahl- und Regierungsprogramm dargestellt, was ja Frau Merkel vermieden hat. Er muss gegen eine weit verbreitete Stimmung angehen, die davon eben spricht, Rot-Grün hat die Ziele nicht erreicht, vor allen Dingen im Knackpunkt Arbeitsmarkt. Rot-Grün hat auch das Vertrauen in sich verloren und will es jetzt neu gewinnen - das ist allerdings nun ein Appell an die Wähler, die dann sagen könnten: Na, O.K.. Aber andererseits, die Stimmung ist weit verbreitet. Er hatte 2002 seine zweite Chance, er hat sie nicht genutzt. Er hat auch in vielem zu spät angefangen, die Akzente zu setzen, die er jetzt in den Wahlkampf einführen will. Also von den Daten und Rahmenbedingungen her ist die Chance, dass er uns im September wieder als Kanzler gegenübertritt, sehr unwahrscheinlich.