Archiv


"New-Labour-Politik" auch ohne Blair möglich

Die Labour-Abgeordnete Gisela Stuart ist der Ansicht, nun stehe Premierminister Tony Blair vor der Herausforderung, genügend jüngere Politiker mit den gleichen Visionen in sein Kabinett zu holen. Wichtig sei eine Regierung im Sinne von Blairs sozialdemokratischer "New-Labour-Politik", auch ohne Blair selbst an der Spitze. Dem stehe aber der Stil von Schatzkanzler Gordon Brown entgegen, der eher ältere, sozialistische Ideen verfolge. Brown gilt als Nachfolger von Blair.

Moderation: Bettina Klein |
    Bettina Klein: Ein historischer Sieg für die Labour Party - mit Einschränkungen. Nie zuvor gelang es der Partei, drei Mal nacheinander die Parlamentswahlen zu gewinnen, gleichzeitig büßt sie etwa 100 Sitze im Unterhaus ein. Die Mehrheit ist also geschrumpft. Am Telefon begrüße ich die Labour-Abgeordnete Gisela Stuart, knapp wiedergewählt. Ein Korrespondent hat vorhin gesagt, das war ein Sieg für Labour "ohne Wärme und Liebe". Sie sind knapp wiedergewählt geworden, fühlen Sie sich auch kalt abgeduscht?

    Gisela Stuart: Nicht so sehr kalt abgeduscht, aber als wir 1997 reinkamen, war das Land buchstäblich in Tony Blair verliebt und ich mache immer den Vergleich, jetzt waren eben schon seit acht Jahren verheiratet. Und es war auch eine Wahlkampagne, wo wegen des Irak man eigentlich nie wirkliche Debatten über Gesundheit oder Erziehung oder solche Sachen haben konnte. Und deshalb war es ein ganz wunderbares Gefühl und was wir merkten ist, dass die Konservativen dieses Mal mehr von ihren Wählern zur Wahlstation bringen konnten, während viele von den Unseren ganz einfach zu Hause blieben.

    Klein: Die Irak-Politik war ein Grund für einige Wähler doch offenbar sich von Labour abzuwenden. Gilt es denn nun für Sie, Konsequenzen daraus zu ziehen?

    Stuart: Ich glaube, es war eine Vertrauenssache, wie es sich dann aber auswirkte, änderte sich von Wahlbezirk zu Wahlbezirk, ob das nun im Bethnal Green & Bow in London, wo die Labour-Abgeordnete wirklich deshalb verlor, oder zu so einem Wahlbezirk wie meinem, wo es am Ende eigentlich überhaupt keinen Unterschied machte. Man kann also keine Pauschalbemerkung darüber machen.

    Klein: Der Wahlkampf galt als relativ langweilig. Die Wirtschaft boomt in Großbritannien, aber es gibt dennoch genug Probleme anzugehen. Was haben Sie sich als Schwerpunkt vorgenommen für die nächsten Jahre?

    Stuart: Ich glaube, wir müssen vor allem weiterhin das Gesundheitswesen erneuern, das bedeutet, neue Krankenhäuser bauen, Aber auch im Erziehungswesen, wo wir in den Grundschulen und in den Realschulen und Gymnasien gute Fortschritte machten, wenn es zum Hochschulwesen geht, das müssen wir auch noch erheblich erneuern. Und das sind so für mich die Prioritäten.

    Klein: Hochschulwesen erneuern, inwiefern?

    Stuart: Ich habe zum Beispiel eine große Universität in meinem Wahlbezirk. Wir haben zwar mehr Studenten, etwa 50 Prozent der Bevölkerung gehen zum Hochschulstudium. Aber unsere Dozenten verdienen nicht genug, die ganze Struktur, ob man ein internationales Baccalaureat jetzt hat, all das, ich glaube müssen wir in der dritten Amtsperiode wirklich genau ansehen.

    Klein: Sie haben gesagt, vor acht Jahren war das Land förmlich verliebt in Tony Blair, nun haben wir es mit einer Ehe zu tun - das ja auch nicht unbedingt schlecht sein muss -, aber dennoch wird die Ära Blair ja wohl zu Ende gehen, bevor es wieder Wahlen in Großbritannien gibt. Was wird sich dann in Großbritannien verändern?

    Stuart: Das ist eben jetzt im Augenblick die große Herausforderung für Tony Blair, wenn er sein neues Kabinett zusammenstellt: Bringt er genügend Leute, junge, neue Leute in das Kabinett, die blairight sind, die also dieselbe Vision für die Zukunft haben, oder bringt er mehr von so genannten Old-Labour, wie Gordon Brown. Ich hoffe sehr, dass wir eine Regierung bilden, die blairight ist, auch wenn Tony Blair nicht mehr der Führer ist.

    Klein: Was würde das für Sie konkret bedeuten und haben Sie dabei auch Namen im Kopf schon?

    Stuart: Solche Leute, wie zum Beispiel Ruth Kelly, die für Erziehung ist, jemand wie David Miliband, der jetzt im Kabinett-Office ist, das sind solche Leute. Im Deutschen ist es vergleichbar: Blair ist ein sozialdemokratischer Führer, Brown ist mehr für die sozialistischen Ideen und ich glaube, dass Blairs Ideen mehr für die Zukunft wagen.

    Klein: Eine immer wieder gestellte Frage ist ja, was passiert eigentlich mit der Europa-Politik in dem Augenblick, wo die Briten Nein sagen zur EU-Verfassung in einem Referendum? Und bisher gehen ja wohl alle davon aus, dass es so kommen wird.

    Stuart: Die ganze EU hat ja im Wahlkampf hier überhaupt keine Rolle gespielt, weil beide Parteien wussten, dass man die Parteiallianz wegen dem Thema Europa nicht ändert und da geht es ja um Wahlen. Wir wissen jetzt noch nicht, wie sich Frankreich entscheidet, wie sich die Niederlande entscheidet. Wir werden dann, wenn alle anderen Länder Ja sagen, wahrscheinlich 2006 eine Volksbefragung haben und das wird dann natürlich schwierig für uns. Ich persönlich bin ja der Meinung, dass dieser Verfassungsvertrag nicht gut genug ist für Europa und dass es vielleicht eine Chance wäre, dass wir uns das wieder neu ansehen und etwas Besseres für Europa finden. Ich glaube das nicht, dass das diese riesige Tragödie wäre, ganz viele Sachen in der Europa-Politik kann man machen, ob wir jetzt diese Verfassung haben oder nicht, werden auch gemacht - und es ist ein bisschen künstliches Drama im Augenblick.

    Klein: Gut, aber Sie sagen, es wird schwierig für Sie sein. Ich denke mal, es werden sicherlich auch schon Überlegungen angestellt werden, wie Sie dann politisch weiter verfahren werden. Was ist Ihre persönliche Meinung dazu?

    Stuart: Man kann es im Augenblick wirklich nicht absehen. Wir haben vielleicht eine bessere Idee, wie das aussieht, nach der französischen Volksbefragung, die ja bei weitem noch nicht gewonnen ist.