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New York
Gier wird gesellschaftsfähig

Meg Wolitzers Roman "Die Interessanten" beginnt in einem Sommercamp an der amerikanischen Ostküste. Dort werden Freundschaften geschlossen, die ein Leben lang halten. "Die Interessanten" ist vor allem lesenswert für die, die New York kennen und mögen: Die kleinen Cafes, Restaurants, die Lofts in Downtown und die Bürgerhäuser am Central Park West, New York, die Stadt im Wandel.

Von Simone Hamm | 30.09.2014
    Die Lower East Side von Manhattan
    Mehr von den witzigen, sarkastischen, knappen, genauen Beschreibungen einer dekadenten Welt, hätten dem Roman gutgetan. (AFP / Stan Honda)
    Meg Wolitzer hat einen sehr dicken, sehr konventionellen Roman geschrieben. In "Die Interessanten" erzählt sie die Geschichte einiger New Yorker, die sich in den Siebzigerjahren in dem Feriencamp "Spirits in the Woods" kennengelernt haben. In diesem Camp wird geschauspielert, gezeichnet, gelesen, gestritten, geliebt. Meg Wolitzers Roman beginnt, als die Kinder 15 sind und so selbstbewusst, dass sie ihrer Clique den Namen "Die Interessanten" geben und endet 30 Jahre später, als der erste von ihnen stirbt. Das ist Ethan Figman, ein erfolgreicher Trickfilmer, der eine Serie erfunden hat, die den Simpsons mehr als nur ähnlich ist. Und wie eine so sommerleichte amerikanische Fernsehserie plätschern "die Interessanten" dann auch dahin. Sehr detailliert beschreibt Meg Wolitzer die sechs Freunde. Ihre Träume, ihre Wünsche und das, was viele Jahre später daraus geworden ist.
    Es plätschert dahin wie eine Sommerreise
    Der später so überaus erfolgreiche Ethan Figman, außergewöhnlich hässlich, aus dem Mund riechend, macht sich in diesem Feriencamp an Jules Jacobsen heran. Jules Jacobsen ist die Aussenseiterin der Clique. Sie ist nach dem Tode ihres Vaters mit einem Stipendium nach „Spirits in the Woods" gekommen. Sie hätte sich das sonst nicht leisten können, anders als ihre Freunde aus Manhattan, die entweder künstlerisch begabt oder reich oder beides sind, kommt sie aus einem kleinen Vorort. Meg Wolitzer lässt eigene Erfahrungen einfließen:
    "In dem Sommer 1974, in dem der Roman spielt, bin ich in ein ganz ähnliches Camp gegangen. Da waren Jugendliche aus New York und ich dachte: wie atemberaubend. Deren Leben schienen so viel reicher, so viel voller zu sein als meines. Sie wussten lauter Dinge, die ich nicht wusste. Sie waren intellektuell, elegant, kultiviert, interessant, um das Wort aus dem Roman zu bemühen. Wirklich."
    Intellektuell, elegant, kultiviert, interessant
    Die New Yorker Vorbilder sind Kinder liberaler Amerikaner, Kinder der Hippiegeneration. Jules Jacobsen weiß, dass sie, um angenommen zu werden die Rolle der Witzigen spielen muss, der Selbstironischen. Denn sie ist weder besonders schön noch besonders geistreich. Als Witzbold kommt sie gut an bei den neuen Freunden, von denen sie rückhaltlos fasziniert ist. Sie himmelt sie an, schämt sich für ihre Familie. Aus ihrer Perspektive ist "Die Interessanten" erzählt.
    "Jules Jacobsen fällt geradezu in diese Gruppe von Teenagern hinein. Sie spürt, dass sie ihre Wahlverwandten gefunden hat. So wie diese Menschen möchte sie sein. Ich habe kein Buch über ein Sommercamp geschrieben, sondern darüber, wie es für einen jungen Menschen ist, wenn er seinen Stamm findet."
    Meg Wolitzers Protagonisten sind weniger Charaktere als viel mehr Typen. Neben dem Vorstadtmädchen gibt es Jonah, den schwulen Sohn einer Sängerin a la Joan Baez, einer Ikone der Folkmusik. Die friedensbewegte, politisch engagierte Mutter ist das Idol von Millionen. Aber letztlich ist sie selbstsüchtig. Jonah hat seine Mutter mehr auf Tourneen erlebt als zu Hause und ist scheu und verwundet. Jonah heißt übrigens mit Nachnamen Bay.
    "Ich hab' das nicht mit Absicht gemacht. Ich halte Joan Baez für so eine politische, wichtige Sängerin. Ich wollte diese Assoziation nicht. Aber das Unterbewusstsein geht bisweilen seltsame Wege. Das müssen Sie mir glauben."
    Und dann ist da ein Geschwisterpaar wie aus dem Märchen, die schöne, herzliche Ash und ihr böser, bisweilen sadistischer, hinterhältiger Bruder. Und der heißt Goodman. Sie kommen aus einer ungeheuer reichen Familie, leben an der Upper West Side. Hier trifft sich die Clique, als sie alle in New York in verschiedenen Colleges gehen.
    Charaktere schaffen, die sich dem Leser einbrennen
    Cathy Kiplinger ist die weibliche, reife Frau, nach der sich die kleinen und großen Jungen verzehren. Sie möchte Tänzerin werden und trainiert fanatisch, aber nicht Cathy mit den schönen Brüsten, die viel zu groß für eine Tänzerin sind, wird in Alvin Aileys Tanzkompanie tanzen, sondern ihr schöner, athletischer, schwarzer Freund.
    "Ich wollte Charaktere schaffen, die größer als das Leben sind. Ich wollte, dass sie sich ins Gedächtnis der Leser einbrennen. Dieses Mal wollte ich das wirklich."
    Eines Tages will Cathy, die Frauliche, mit Goodman, dem Bösen nach einer Party noch weiterziehen. Goodman fällt über sie her, sie wehrt sich. Sie hat Verletzungen, äußerlich wie innerlich. Sie klagt ihn der Vergewaltigung an. Obwohl alle in der Clique tief im Innern wissen, dass Goldmann zu so etwas durchaus fähig ist, wenden sie sich von Cathy ab.
    Goodman flieht nach Island - hält Kontakt zu seiner Familie
    Das scheint zunächst wie ein Bruch. Denn wenn diese Geschichte auch in Siebzigerjahren spielt, so beschreibt Meg Wolitzer die Mädchen doch als frei, als durchaus frauenbewegt. Doch es wird deutlich: Frei sind sie nicht. Und Jules Jacobsen schon gar nicht.
    "Jules steht unter dem Einfluss dieser mächtigen Familie, sie haben sie verführt. Sie ist jung, sie ist schwach, weit davon entfernt, eine erwachsene, feministische Frau zu sein. Sie ist nicht wie eine junge Frau von heute. Sie hat sich in diese Familie verliebt. Und auch wenn sie spürt, dass da etwas nicht in Ordnung ist, so zweifelt sie doch eher an sich als an den anderen. Diese Welt erscheint gut und stark und sie beschützt sie und interessiert sich für sie. Ich meinte das auch metaphorisch: Ich wollte die Versuchungen zeigen. Jules erliegt einer Welt, die durch Geld und Klassenzugehörigkeit definiert wird."
    Meg Wolitzer schont die New Yorker Gesellschaft wahrlich nicht. Immer dann ist sie am besten, wenn sie genau und schonungslos hinsieht: Künstler haben es schwer, ziehen in Vororte. Gier wird gesellschaftsfähig. Manhattan ist nur noch eine Insel der Wohlhabenden.
    Neid und Eifersucht
    Ash heiratet Ethan, den Trickfilmzeichner, der heimlich immer noch Jules liebt, die einen Mann heiratet, der ganz anders ist als die Künstler aus der Clique. Dennis ist ein depressiver Ultraschallfachmann. Ihr Leben lang wird Jules eifersüchtig sein auf Ethan und Ash und gleichzeitig ist sie ihre beste Freundin. Sie ist eifersüchtig auf deren Tochter, ein Vorzeigekind. Sie findet diese Tochter hinreissend und klug, ihre eigene Tochter dagegen laut unbeholfen. Sie ist eifersüchtig auf Ethan, weil er das tut, was er schon im Sommercamp getan hat und was er immer tun wollte: Trickfilme zeichnen. Und sie ist eifersüchtig darauf, dass er damit auch noch reich wird. Jules Jacobsen hatte im Sommercamp auf der Bühne gestanden und davon geträumt, eine große Schauspielerin zu werden. Aus der New Yorker Schauspielschule flog sie mangels Talent heraus. Sie ist Psychotherapeutin geworden. Ihr Traumjob ist das nicht. Und immer muss sie an allem knapsen.
    "Ich wollte über Neid und auch Eifersucht schreiben, weil sie in Büchern und Filmen so oft als große, wilde Gefühle gezeigt werden. Aber was ist mit dem stillen Neid? Was, wenn man einen Freund, den man liebt beneidet? Weil der zum Beispiel von seinem großartigen Kind erzählt. Man freut sich für ihn und fragt sich doch, warum das mit den eigenen Kindern so ganz anders ist. Unser Ego ist eben sehr groß. Wir lieben den Freund, aber sein Glück kann für uns auch schmerzhaft sein."
    Aber Geld macht bekanntlich nicht glücklich. Ash und Ethan haben einen autistischen Sohn, den Ethan nie wirklich lieben wird. Und Ethan wird an Krebs sterben.
    Weniger Moral und eine weniger ausschweifende Erzählweise hätten dem Roman gutgetan. Dafür mehr von den witzigen, sarkastischen, knappen, genauen Beschreibungen einer dekadenten Welt. Denn das kann Meg Wolitzer. Dann wären ihre Figuren vielleicht weniger stereotyp geraten. So sind "Die Interessanten" vor allem lesenswert für die, die New York kennen und mögen und wieder erkennen: die kleinen Cafes, Restaurants, die Lofts in Downtown und die Bürgerhäuser am Central Park West, New York, die Stadt im Wandel.
    Meg Wolitzer: Die Interessanten. Aus dem Englischen von Werner Löcher-Lawrence. DuMont 608 Seiten 22.99 €