Samstag, 04. Mai 2024

Archiv

New Yorker MET
Seit 100 Jahren wieder eine Oper einer Komponistin

An der New Yorker Metropolitan Opera wird nach über 100 Jahren wieder die Oper einer Komponistin aufgeführt: "L’amour de loin" von der zeitgenössischen Künstlerin Kaija Saariaho. Das ist etwas Besonderes, denn für die Institutionen in den USA scheint es ein Risiko, das Werk einer Frau in den Spielplan aufzunehmen.

Von Simone Hamm | 27.11.2016
    Die Metropolitan Oper im Lincoln Center in New York
    Die Metropolitan Oper im Lincoln Center in New York (dpa / Christina Horsten)
    Komponistinnen hatten und haben es schwer in amerikanischen Konzertsälen, auf amerikanischen Bühnen. Diese Erfahrung hat auch Victoria Bond gemacht, die in diesem Wahljahr eine Oper fertiggestellt hat. Thema ist die erste Frau, die sich anschickt, Präsidentin in den USA zu werden. Sie wird angefeindet, beleidigt, nicht ernst genommen. "Lock her up/sperrt sie ein" ruft die Menge. Sie wird nicht Präsidentin. Und nein, es ist nicht Hilary Clinton. Bereits 1872 wollte eine andere Frau Präsidentin in Amerika werden: Victoria Woodhall. Und dass, obwohl es noch nicht mal ein Wahlrecht für Frauen gab. Aber bislang wollte niemand Bonds Oper aufführen.
    Das liege, so Victoria Bond, vielleicht auch daran, dass Komponieren eine einsame Sache sei und jede Frau allein in ihrer Kemenate sitze.
    "Die meisten Künstler sind nicht organisiert. Punkt. Es gibt keine Gilde der Komponistinnen."
    Interessensvertretung von Komponistinnen
    Immerhin gibt es die Women’s Philharmonic Advocacy. In dieser Interessenvertretung haben sich Frauen zusammengeschlossen, die auf den Missstand aufmerksam machen und mehr Werke von Komponistinnen auf die Bühne bringen wollen.
    Die werden von staatlicher oder städtischer Seite nicht besonders gefördert. Kunst wird in den USA ohnehin weitgehend als Privatsache angesehen. Die MET etwa lebt - wie alle anderen Opernhäuser auch - von den Eintrittspreisen und dem Geld der Sponsoren. Auf Landesebene gibt es einzig die National Endowment in Arts and Humanities, die NEA, einen Fond, der Gelder vergibt. Die hat aber nur ein ganz kleines Budgetknapp 150 Millionen. Zum Vergleich: Der Kulturetat der Stadt Berlin ist mehr als doppelt so hoch. Frauen werden also von der NEA nicht besonders gefördert. Aber auch nicht von Universitäten, nicht in Orchestern, nicht an der Oper.
    Auch Die Metropolitan Opera in New York bleibt Komponistinnen gegenüber reserviert. Peter Gelb, Generalmusikdirektor der MET, sieht seine Aufgaben anderswo.
    "Ich denke nicht an das Geschlecht eines Komponisten, wenn ich ein neues Werk aufführe. Ein neues Werk, das ist entweder eine Oper, die es schon gibt, aber die die MET noch nicht gezeigt hat oder eben eine Oper, die wir selbst in Auftrag gegeben haben. Und ganz oben auf meiner Liste von Musik, die an der MET noch nicht zu hören war, stand und steht Kaija Saariahos 'L’amour de loin'. Sie ist wirklich eine der größten und besten Komponisten - männlich oder weiblich - der letzen 25 Jahre. Und 'L’amour' ist ihr Meisterwerk. Ich war entschlossen, diese Oper zu zeigen."
    Die finnische Komponistin Kaija Saariaho bei einer Preisverleihung in Stockholm.
    Kaija Saariaho - Komponistin der Oper "L’amour de loin" (picture alliance / dpa - Christine Olsson / Scanpix)
    Und damit weist er genau auf das hin, was Victoria Bond so stört.
    "Die wichtigsten Frage eines Intendanten lautet doch: Wird es ein Erfolg werden? Weil Kaija Saariaho Finnin ist, wird sie in den USA mehr respektiert als eine amerikanische Komponistin. In Deutschland war man begeistert von 'L’amour de loin'. Es ist eine einzige Erfolgsgeschichte. Mit 'L’amour de loin' geht man an der MET kein großes Risiko ein."
    Selbstbeschränkung aus Kostengründen
    Eine Umfrage unter den 22 größten US-amerikanischen Orchestern hatte 2014 ergeben, dass ganze 1,8 Prozent aller aufgeführten Werke von Frauen stammen. Fast noch beschämender ist, dass nur 14,3 Prozent aller zeitgenössischen Werke von Komponistinnen sind. Nur 15 Prozent aller Kompositionslehrstühle an Universitäten und Colleges sind mit Professorinnen besetzt.
    "Es gibt wunderbare Komponistinnen. Aber die MET kann nur eine begrenzte Anzahl moderner Werke aufführen. Wir müssen das Haus voll kriegen. Deshalb beschränken wir uns. Von den 25 oder 26 Opern, die wir pro Spielzeit zeigen, ist eine ein zeitgenössisches Werk."
    Mehr will Peter Gelb dem Publikum nicht zumuten. Und das kann er sich im wahrsten Sinne des Wortes auch gar nicht leisten, so Victoria Bond:
    "In diesem Land riskieren wir nichts. Schon gar bei Institutionen, bei denen Millionen von Dollars auf dem Spiel stehen. Wir gehen auf Nummer sicher."