Donnerstag, 25. April 2024

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Newcomer Hubert Lenoir
Aus dem Schatten der Demütigung ins Rampenlicht

Er trägt Frauenkleider und Make-up, zweifelt am Leben und erinnert an den jungen Bob Dylan: Hubert Lenoir, aufgewachsen in einem erzkonservativen Vorort von Québec, begeistert Musikjournalisten und Fans mit seinem Solodebüt „Darlène“ – einem wilden Mix aus Chanson, Pop und Glamrock.

Von Dennis Kastrup | 15.12.2018
    "Ich benutze das Symbol der Lilie, um zu zeigen, dass ich Québecer bin. Bei mir ist es aber eine ejakulierende Blume. Viele sehen das als eine Beleidigung der Québec Kultur. Das ist es aber nicht. Man kann das vielleicht mit der Flagge Großbritanniens bei den Sex Pistols vergleichen. Für mich ist das meine Herkunft und ich bin irgendwie stolz darauf."
    "Fleur-de-Lys" nennt man das Wappen, das die Flagge von Québec schmückt und auch als Tattoo auf einer Pobacke von Hubert Lenoir zu finden ist. Das katholische Frankreich benutzte das Symbol im 18. Jahrhundert, um damit seine Heiligen zu schmücken und exportierte es mit der Kolonialisierung nach Nordamerika. Dorthin, wo Lenoir in einem Vorort von Québec City aufgewachsen ist: erzkonservativ.
    Schweigen richtet Schäden an
    Hubert Lenoir: "Die einzige Kultur, die ich damals hatte, war Pop aus dem Fernsehen und Radio. Das war die einzige Musik, an die ich herankommen konnte." Die weite und spannendere Welt fand Lenoir in den Medien, während ihn seine Mitschülerinnen und Mitschüler mobbten: "In der Schule war ich sehr, sehr ruhig. Ich habe nicht gesprochen und war sehr schüchtern. Meine Meinung habe ich nie gesagt. Ich kenne also den Schaden, den das Schweigen anrichtet. Deshalb will ich nicht mehr schweigen. Ich will laut sagen, was ich fühle."
    Lenoir hat zuvor bereits zusammen mit seinem Bruder in der Band The Seasons Musik gemacht. Alles auf Englisch. Schaut man sich frühere Auftritte von ihnen an, fällt sofort die Unsicherheit des kleinen Sängers mit den dunklen Locken auf. Stimme und Aussehen erinnern dabei ein bisschen an den jungen Bob Dylan. Im Februar ist sein Solodebüt "Darlène" erschienen. Es kommt mit einem gleichnamigen Buch, das seine Managerin geschrieben hat, die gleichzeitig auch seine Freundin, und Liebhaberin ist.
    "Ich habe im Grunde genommen über meine vergangenen fünf Jahre geschrieben: Das Leben in den Vororten, gelangweilt zu sein, mehr zu wollen, sich zu weigern, Teil von etwas zu sein und sich von der Situation in der Familie emanzipieren zu wollen. Es geht einfach darum, mehr zu wollen!"
    Polarisierende Auftritte
    Und genau das scheint sich gerade zu verwirklichen. Lenoir ist in allen Medien vertreten, hat die renommiertesten Musikpreise in Québec gewonnen und auch die internationale Presse ist auf ihn aufmerksam geworden. All das beflügelt den 24-Jährigen. Endlich kann er sein Innerstes herauslassen. Er steigt bei Preisverleihungen auf die schick angerichteten Tische der Gäste, um ins Mikrofon zu schreien, trägt bunte Frauenkleider oder gibt live im Fernsehen zu, dass Gedanken an Selbstmord Teil seines Lebens seien. Dieses Auftreten polarisiert.
    "Ich liebe es, Make-Up zu tragen. Meine sexuelle Identität hat etwas Feminines. Ich identifiziere mich nicht als binäre Person. Aber eigentlich interessiert es mich auch nicht." Für manche im katholisch geprägten Québec ist das verstörend, für Hubert Lenoir ist es total normal. Immer wieder betont er, dass er die Aufregung über solche Äußerungen nicht verstehe. Er sei nur ehrlich.
    Postmoderne Oper
    Dieser Glamour-Faktor spiegelt sich auch in der Musik wider. Es ist ein wilder Mix aus Chanson, Pop und Glamrock, für Hubert Lenoir ist es aber noch mehr: "Die Geschichte mit Musik ist eine postmoderne Oper. Mir ist es auch egal, ob die Leute sagen, es sei eigentlich keine Oper im eigentlichen Sinne. Regeln interessieren mich nicht. Sie können denken, was sie wollen. Das ist meine eigene Version von einer Oper."
    Die Songs darauf sind äußerst einprägsam und gut arrangiert. Ab und zu klingt sogar die Qualität eines Jazzmusikers durch. Das Album ist ein in sich geschlossenes Werk, das als Ganzes begeistert.
    Hubert Lenoir erlebt gerade den Moment seines Lebens. Er tritt aus dem Schatten der Demütigung in das Rampenlicht. Es tut verdammt gut, ihm dabei zuzusehen und seine absolut gelebte Freiheit zu spüren. Dieser Traum hat ihn immer schon begleitet, so wie in einem seiner Lieblingslieder: "When I Grow up" von den Pussycat Dolls. Dort heißt es: "Wenn ich irgendwann groß bin, will ich berühmt, ein Star und in Filmen sein!" Vielleicht klingt das überzogen, aber man gönnt es Hubert Lenoir!
    "Es gibt da diese Zeile in dem Stück, die sagt: 'Sei vorsichtig, was du dir wünschst, denn vielleicht bekommst du es!' Ich habe alles bekommen, was ich mir gewünscht habe."