Sonntag, 3. Oktober
+++ Die FDP führte am Abend auch erste Gespräche mit der Union. Nach den ersten Sondierungen betonten die Generalsekretäre von CDU und CSU, Ziemiak und Blume, die inhaltliche Nähe zu den Liberalen. In wesentlichen Punkten liege man ganz eng beisammen, sagte Blume. Auch Ziemiak betonte die Übereinstimmung mit der FDP in zentralen Punkten und sprach von großen inhaltlichen Schnittmengen. Die Grünen wollen sich nach den Worten ihrer Vorsitzenden Baerbock zunächst am Dienstag mit CDU und CSU treffen und dann über weitere Schritte entscheiden.
+++ Die SPD will nach ersten getrennten Gesprächen mit FDP und Grünen möglichst schnell gemeinsame Beratungen über eine Ampel-Koalition aufnehmen. Generalsekretär Klingbeil sagte, die SPD sei jetzt bereit für Dreier-Gespräche. Mit Blick auf die Ergebnisse der Bundestagswahl betonte er, seine Partei wolle eine "Koalition der Gewinner" bilden. Zuvor hatte die Führung der Sozialdemokraten jeweils zwei Stunden mit Spitzenvertretern der FDP und der Grünen gesprochen. Zu den Themen gehörten unter anderem der Klimaschutz, die Digitalisierung und die Rolle Deutschlands in Europa und der Welt. Alle Beteiligten erklärten, über konkrete Inhalte habe man Vertraulichkeit vereinbart.
+++ Vertreter von SPD und FDP haben ihre ersten Sondierungsgespräche über eine Beteiligung an einer mögliche Koalition als "sachlich und konstruktiv" beschrieben. Man habe "global" über verschiedene Themenfelder gesprochen. Auch mit anderen Parteien-Konstellationen werden die Sondierungen heute fortgesetzt. SPD-Generalsekretär Klingbeil sagte in Berlin, man sei sich einig, dass es einen großen Veränderungsbedarf bei den Themen Klimaschutz, Digitalisierung und der Modernisierung des Staates gebe. FDP-Generalsekretär Wissing sagte, die inhaltlichen Positionen beider Parteien lägen in wesentlichen Punkten auseinander. Das sei aber bekannt gewesen. Entscheidend sei, dass man letztlich notwendige Modernisierungschritte in Angriff nehme.
+++ Derzeit gelten Dreier-Koalitionen als am wahrscheinlichsten, an denen sowohl die Grünen als aich die Liberalen beteiligt sind - also entweder ein Ampel- oder ein Jamaika-Bündnis. Rechnerisch und politisch wären auich andere Koalitionen denkbar, diese stehen derzeit aber zumindest offizieill nicht auf der Tagesordnung der verhandelnen Parteien-Delegationen. Sowohl Grüne als auch FDP waren zuvor bereits zwei Mal zu vertraulichen Runden zusammengekommen und hatten sich am Freitag zuversichtlich gezeigt, zu einer Einigung zu kommen.
+++ Der Grünen-Außenpolitiker Nouripour fordert von der SPD eine Korrektur ihrer Russland-Politik. "Wir werden sehr viel mit der Sozialdemokratie über den richtigen Kurs gegenüber Russland ringen müssen", sagt er der "Rheinischen Post". Man werde auch über den Betrieb der Gaspipeline Nord Stream 2 reden müssen. Grundsätzlich sei die Frage des Umgangs mit Russland zentral für die europäische Einigkeit. Nouripour forderte, die nächste Bundesregierung müsse sich in der EU sehr viel enger abstimmen mit Tschechien, Estland, Lettland und Litauen.
+++ Der Soziologe Raj Kollmorgen geht davon aus, dass ein Teil der AfD-Wählerschaft kaum noch für andere demokratische Parteien zurückzugewinnen ist. Es gebe stabile und politische Milieus in Sachsen, die die AfD trügen, sagte der Wissenschaftler an der Hochschule Görlitz/Zittau der Deutschen Presse-Agentur. Das betreffe vor allem ältere und "stark ideologisierte Gruppen". Um möglicherweise AfD-Wähler zurückzugewinnen, wird es nach Ansicht von Kollmorgen in den ländlichen Räumen neue Zugänge zur politischen Bildung geben müssen: "Gelder nicht nur für Infrastruktur, sondern für Köpfe und Kulturen", betonte der Soziologe. Es brauche Formate, mit denen man praktisch zeigen könne, wie Demokratie funktioniere.
+++ JU-Chef Kuban hat eine grundlegende Neuaufstellung der CDU gefordert. "In der CDU darf jetzt kein Stein mehr auf dem anderen bleiben", sagte der Vorsitzende der Jungen Union der "Welt am Sonntag". "Wir müssen uns inhaltlich und personell neu ausrichten", forderte er. Es sei "Zeit für junge Köpfe", sagte Kuban.
Die Grüne Jugend will bei ihrem Bundeskongress am kommenden Samstag in Erfurt gegen einen Jamaika-Zusammenschluss der Partei mit CDU/CSU und FDP stimmen. In einem Dringlichkeitsantrag des Bundesvorstands heißt es, es gebe nicht einen Grund für Jamaika - aber viele Gründe dagegen. Mit Blick auf die Union heißt es weiter, dem Wahlverlierer zur Kanzlerschaft zu verhelfen, sei keine Option.
+++ Die Partei "Die Linke" arbeitet ihre Stimmenverluste bei der Bundestagswahl auf. Zum Auftakt traf sich in Berlin der Parteivorstand zu zweitägigen Beratungen. Die beiden Parteivorsitzenden Wissler und Henning-Welsow erklärten nach einer ersten Diskussionsrunde, der Austausch sei ernst, deutlich und nachdenklich gewesen. Wörtlich nannte Wissler das Abschneiden ihrer Partei ein "Desaster". Man sei zu oft vielstimmig und nicht vielfältig gewesen. Gerade bei der Frage der Geflüchteten hätte man viel stärker in den Vordergrund stellen müssen, was die Partei eine. Erst gestern hatten sich 20 Parteimitglieder mit einer Zuwanderungsgeschichte in einem offenen Brief von der früheren Bundestagsfraktionschefin Wagenknecht distanziert. Sie hatte sich zuletzt immer wieder kritisch zu Vielfaltsthemen geäußert. "Die Linke" will nach den Worten Wisslers keine personellen Konsequenzen an der Parteispitze ziehen. Der aktuelle Vorstand sei erst relativ kurz im Amt.
Die Linke war bei der Wahl von 9,2 auf 4,9 Prozent abgerutscht. Nur dank dreier Direktmandate scheiterte sie nicht an der Fünf-Prozent-Hürde.
Samstag, 2. Oktober
+++ Der CDU-Vorsitzende Armin Laschet hat sich mit Spitzenpolitikern seiner Partei zur Vorbereitung der Gespräche mit FDP und Grünen getroffen. Der Unionskanzlerkandidat und Mitglieder des Sondiererteams kamen am Samstag in der Parteizentrale in Berlin zusammen. In der CDU hieß es, es sei Vertraulichkeit vereinbart worden. Stellungnahmen nach dem Treffen werde es nicht geben.
+++ Altkanzler Gerhard Schröder (SPD) hat sich in seinem Podcast "Die Agenda" klar für eine Ampelkoalition ausgesprochen. Die SPD, die dank Kanzlerkandidat Olaf Scholz die stärkste Partei geworden sei, müsse den Regierungsauftrag für sich in Anspruch nehmen. "Aber natürlich nicht mehr mit Koch und Kellner", sagte Schröder mit Blick auf frühere eigene Äußerungen zum Kräfteverhältnis zwischen der größeren SPD und den kleineren Grünen. Dieses Wort habe er damals in einer anderen Situation gebraucht, um Ängste vor seiner rot-grünen Regierung von 1998 zu reduzieren. Inzwischen sei jedoch klar, dass sowohl die Grünen als auch die FDP regierungsfähig seien.
+++ Die Grünen-Spitze hat von einem kleinen Parteitag das Mandat für Sondierungen zur Bildung einer Bundesregierung erhalten. Bei einer Enthaltung setzen die Delegierten in Berlin einmütig ein zehnköpfiges Sondierungsteam unter Führung der Parteivorsitzenden Annalena Baerbock und Robert Habeck ein. Baerbock unterstrich, dass ihre Partei nicht auf eine Koalition unter Führung der SPD oder der Union festgelegt sei. Klarer Maßstab sei die Erneuerung - für Klimaschutz, für eine liberale Gesellschaft, für echten gesellschaftlichen Zusammenhalt, sagte Baerbock. Beschlossen wurde, dass die Mitglieder über eine mögliche Koalition und die personelle Aufstellung abstimmen. Nach ersten Gesprächen mit der FDP kommen die Grünen am Sonntagabend mit der SPD zusammen. Am Dienstag ist ein Treffen mit der Union geplant.
+++ Der Präsident der Bundeszentrale für politische Bildung, Krüger, hat die Menschen in Ostdeutschland gegen Kritik an ihrer Demokratiefähigkeit in Schutz genommen. Vor dem Hintergrund der in den neuen Bundesländern teils sehr guten AfD-Ergebnisse bei der Bundestagswahl sagte Krüger dem RedaktionsNetzwerk Deutschland, die These, dass es den Ostdeutschen an Demokratieerfahrung fehle, halte er für veraltet. "Wenn man sich die Wählerschaft und ihre Ausfallschritte Richtung AfD anguckt, dann wird man jedenfalls feststellen, dass das keine ostdeutsche Spezialität ist und einem durchaus auch in anderen Landstrichen begegnet, wie zum Beispiel in Bayern", betonte Krüger.
+++ Der Linken-Politiker Gysi hat seine Partei aufgerufen, sich deutlicher zu positionieren. Der frühere Vorsitzende
sagte im Deutschlandfunk
, trotz des desaströsen Wahlergebnisses stünden die Linken nicht vor der Existenzfrage. Allen sei klar, dass bei einer Aufspaltung beide Teile der Partei damit rechnen müssen, an der 5-Prozent-Hürde zu scheitern. Die Linke müsse sich aber ändern, um künftig wieder erfolgreicher zu sein. Wichtig sei, dass sie ihre Ost-Identität wieder finde. Es bestehe sonst die Gefahr, diesen Bereich der AfD zu überlassen.
Gysi fügte hinzu, zudem müsse man geschlossener auftreten und brauche bei wichtigen Themen eine Mehrheitsentscheidung. Heute sei oft nicht klar, wofür die Links-Partei eigentlich stehe. Früher seien die unterschiedlichen Auffassungen ein belebendes Element gewesen, heute entstehe nach außen hin ein wirres Bild von der Partei. Klar sei für ihn, dass die Soziale Frage im Mittelpunkt stehen müsse. Das sei in den letzten Jahren aus dem Fokus geraten.
Gysi ist einer der drei Linken-Politiker, die ein Direktmandat für den Bundestag errungen haben.
+++ Nach den Stimmenverlusten der CDU bei der Bundestagswahl mehren sich die Forderungen nach einer strukturellen und personelle Neuausrichtung der Partei. Der stellvertretende CDU-Vorsitzende Spahn sagte, niemand könne leugnen, dass der Kandidat Laschet im Wahlkampf nicht richtig gezogen habe. Doch dürfe dies nicht den Blick auf die strukturellen Probleme verstellen. Spahn regte an, künftig auf einem gemeinsamen Parteitag von CDU und CSU über Kanzlerkandidatur und Wahlprogramm zu entscheiden.
Auch Unions-Fraktionsvize Linnemann und Hamburgs CDU-Chef Ploß forderten mehr Mitgliederbeteiligung bei wichtigen Personalien.
+++ SPD-Chef Walter-Borjans ist zuversichtlich, dass sich seine Partei mit den Grünen und der FDP bis Dezember auf eine Ampel-Koalition einigt. "Die Regierung sollte bis zum Jahresende stehen. Das ist machbar", sagte Walter-Borjans der "Welt am Sonntag". "Wir müssen diesmal nicht bis zum Umfallen sondieren, denn wir wollen eine Ampel, in die alle drei Partner ihre Stärken einbringen."
SPD-Fraktionschef Mützenich äußerte sich gegenüber der Deutschen Presse-Agentur ähnlich. Mützenich ist im sechsköpfigen SPD-Verhandlungsteam um Kanzlerkandidat Scholz dabei.
+++ Die Grünen kommen heute zu einem kleinen Parteitag zusammen. Bei dem Treffen in Berlin wollen die etwa 100 Delegierten den Kurs in den Gesprächen über eine Regierungsbildung erörtern. Die Partei strebt eine Ampel-Koalition mit SPD und FDP an.
Die beiden Parteichefs Baerbock und Habeck sehen darin die Chance für einen neuen Aufbruch, wie es im Leitantrag des Bundesvorstands für den Parteitag heißt. Zudem sollen die Delegierten die Mitglieder der Sondierungsteams bestimmen.
+++ Nach den Stimmenverlusten bei der Bundestagswahl fordert CDU-Präsidiumsmitglied Röttgen unter anderem eine personelle Neuaufstellung der Partei. Er sagte dem "Tagesspiegel", man müsse jetzt ehrlich das aussprechen, was ohnehin jeder wisse: Die fehlende Akzeptanz des Kandidaten Laschet sei der Hauptgesprächsgegenstand im Wahlkampf gewesen. Das wisse dieser auch. Es reiche jetzt aber nicht, nur eine Person auszuwechseln. Der Erneuerungsprozess müsse umfassend sein: Partei, Fraktion, Inhalte, Kommunikation und Personal, betonte Röttgen.
Auch Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Haseloff machte CDU-Chef Laschet für das Abschneiden bei der Wahl mitverantwortlich. Er habe nie einen Hehl daraus gemacht, wer im Osten besser ankomme, sagte der CDU-Politiker mit Blick auf den CSU-Vorsitzenden Söder, der ebenfalls die Kanzlerkandidatur der Unionsparteien angestrebt hatte.
Freitag, 1. Oktober
+++ FDP und Grüne kommen erneut zusammen, um die Chancen für eine gemeinsame Regierungsbildung auszuloten. Nach einem ersten Treffen am Dienstag in kleiner Runde wollen die Parteien nun mit jeweils zehnköpfigen Teams antreten. Nach dem Treffen und einem Kleinen Parteitag der Grünen sind dann am Samstag Gespräche von SPD und FDP und anschließend von SPD und Grünen geplant, ebenso von Union und FDP. Am Dienstag sollen Gespräche zwischen Union und Grünen folgen.
FDP und Grüne gelten als Königsmacher für die künftige Regierung. Beide Parteien wollen mitregieren und haben schon erste Gespräche geführt. Passen Grün und Gelb überhaupt zusammen? Wo gibt es inhaltliche Übereinstimmungen und wo liegen die Knackpunkte? Ein Überblick.
+++ Der Fraktionsvorsitzende der Grünen im Bundestag, Hofreiter, will ein Tempolimit auf Autobahnen nicht zur Bedingung für einen Eintritt seiner Partei in die nächste Bundesregierung machen. Zwar gingen die Grünen mit all ihren Positionen in mögliche Koalitionsgespräche, sagte Hofreiter der "Rheinischen Post". Dazu zähle auch eine Geschwindigkeitsbegrenzung von 130 Kilometern pro Stunde auf Autobahnen. Allerdings gehe es jetzt nicht um Spiegelstriche, sondern um einen Aufbruch in eine Klima-Neutralität, betonte Hofreiter.
Die FDP bekräftige erneut ihre Ablehnung eines generellen Tempolimits. Bei der Mobilität lägen die Wahlprogramme teils deutlich auseinander, sagte der verkehrspolitische Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion, Luksic. Statt Symbolpolitik gehe es seiner Partei um bezahlbare und nachhaltige Mobilität. Dafür werde man sich in allen Gesprächen einsetzen.
+++ Einer Umfrage des ZDF zufolge wünschen sich die meisten Menschen in Deutschland eine Ampel-Koalition. 59 Prozent fänden es gut, wenn es zu einem solchen Bündnis aus SPD, Grünen und FDP käme, wie das ZDF-Politbarometer zeigt. 20 Prozent sind klar dagegen, 19 Prozent ware das egal. Als Kanzler wollen 76 Prozent der Befragten Olaf Scholz (SPD) und 13 Prozent Armin Laschet.
+++ Eine weitere Umfrage, der ARD-DeutschlandTrend, ergibt, ein ähnliches Bild. Abgefragt wurde hier, welcher Koalition die Bürgerinnen und Bürger am ehesten einen politischen Neuanfang zutrauen. Hier sagten 51 Prozent der Befragten, der Ampel. 18 Prozent setzen auf eine Jamaika-Koalition aus Union, Grünen und FDP. Für 24 Prozemt steht keines der Bündnisse für einen Neuanfang.
+++ Der CDU-Politiker Merz hat seine eigene Partei kritisiert. Der frühere Fraktionschef nannte die CDU denkfaul. Merz sagte den Zeitungen der Funke-Mediengruppe, die Partei habe sich viele Jahre auf den Apparat der Regierung gestützt und dabei das thematische Arbeiten verlernt. Merz will sich nach eigenen Angaben nicht noch einmal um den CDU-Vorsitz bemühen. Er habe sich zweimal beworben, und beide Male habe der Parteitag sich anders entschieden. Sein Bedarf sei gedeckt. Er richte sich jetzt darauf ein, ein normaler und hoffentlich guter Abgeordneter zu sein, so Merz.
+++ Die frühere CDU-Vorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer hat von den Unionsparteien vor den Gesprächen mit Grünen und FDP über ein Jamaika-Bündnis Geschlossenheit verlangt. Sie sagte der Deutschen Presse-Agentur, die Union müsse jetzt mit breiter Unterstützung für die Vorsitzenden von CDU und CSU in Gespräche gehen. Kramp-Karrenbauer warnte vor negativen Folgen für die CDU-Ministerpräsidenten, die im kommenden Jahr Landtagswahlen vor sich haben.
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