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NGG-Chef Möllenberg dringt auf Mindestlohn

Tarifliche Vereinbarungen sind aus Sicht Franz-Josef Möllenbergs kein Ersatz für einen gesetzlichen Mindestlohn. In einigen Branchen seien die Gewerkschaften zu schwach, um eine angemessene Bezahlung durchzusetzen, sagte der Vorsitzende der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG), Franz-Josef Möllenberg. Es sei nicht nachvollziehbar, dass die Union einen gesetzlichen Mindestlohn blockiere.

Moderation: Stefan Heinlein |
    Stefan Heinlein: Entscheidung vertagt! Der Koalitionsstreit über die Mindestlöhne geht in die nächste Runde. SPD und Union sind sich weiter uneins, ob und wie ein Niedriglohnsektor in Deutschland eingeführt werden soll. Die Fronten sind weitgehend klar. Die Sozialdemokraten um Arbeitsminister Müntefering wollen, ähnlich wie bereits im Baugewerbe, für weitere Branchen eine untere Lohngrenze einführen. Das erste Wort sollen jedoch die Tarifparteien haben. Anders die Union: Trotz einiger anderer Stimmen aus dem Arbeitnehmerflügel der Partei lehnen die Christdemokraten mehrheitlich einen gesetzlichen Mindestlohn ab. Stattdessen sollen staatlich bezuschusste Kombilöhne auch bisher schlecht bezahlte Jobs für Langzeitarbeitslose attraktiv machen.

    Im März soll weiter beraten werden und dazu jetzt am Telefon der Vorsitzende der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG), Franz-Josef Möllenberg. Guten Morgen, Herr Möllenberg!

    Franz-Josef Möllenberg: Guten Morgen, Herr Heinlein!

    Heinlein: Sind Sie enttäuscht von der SPD? Hätten Sie sich gewünscht, dass der Genosse Müntefering deutlicher im Kabinett für einen gesetzlichen Mindestlohn kämpft?

    Möllenberg: Ich habe den Eindruck, dass er gekämpft hat. Die Enttäuschung meinerseits bezieht sich auf die Union, die hier blockiert, und das ist nicht mehr nachvollziehbar. Wissen Sie, beim Abschluss der Koalitionsvereinbarung vor jetzt fast eineinhalb Jahren haben die Koalitionäre ganz klar miteinander verabredet, dass der Niedriglohnbereich neu geregelt werden muss einschließlich eines gesetzlichen Mindestlohns. Jetzt hat Müntefering Vorschläge gemacht, und jetzt blockiert zwangsläufig Glos, jetzt blockieren die CDU-Ministerpräsidenten. Und ich habe den Eindruck, dass Frau Merkel dieses Problem, dieses Thema aussitzen will. Und sie muss jetzt endlich ein Machtwort reden.

    Heinlein: Macht Ihnen denn Hoffnung, dass Angela Merkel nun an die Arbeitgeber appelliert, sich tariflichen Vereinbarungen zum Mindestlohn nicht zu versperren?

    Möllenberg: Ja, das hat sie getan. Das tut sie auch. Aber das ist zu einfach. Der Ruf der Gewerkschaften nach einem existenzsichernden gesetzlichen Mindestlohn hat ja gerade damit zu tun, dass die Arbeitgeber in großem Maße in den letzten Jahren in einem schleichenden Prozess Tarifflucht begangen haben. Es gibt Branchen, da sind die Gewerkschaften nicht stark genug. Das fängt bei Wach- und Schließdiensten an, beim Friseurhandwerk, das betrifft in meinem Bereich das Bäckerhandwerk oder auch das Hotel- und Gaststättengewerbe in Deutschland. Wir haben da nicht die Durchsetzungskraft. Und von daher ist es folgerichtig, dass nach langen Untersuchungen Müntefering vorgeschlagen hat, dann packen wir diese Bereiche mal an, von der Landwirtschaft angefangen über den Bereich Einzelhandel, über diesen Bereich Schließdienste, über den Bereich Postdienstleistungen, dort droht eine große Gefahr, bis hin zum Bereich Hotel- und Gaststättengewerbe, und da muss sich jetzt endlich etwas bewegen.

    Wir sagen, wenn ich das hinzufügen darf: Wir haben in eineinhalb Jahren die Situation, dass dann zum Jahreswechsel 2008/2009 die EU-Dienstleistungsrichtlinie greifen wird. Wir werden dann zusätzliche Verwerfungen bekommen, wenn wir vorher nicht gehandelt haben. Die Länder in Europa oder auch in den Vereinigten Staaten, wo es einen gesetzlichen Mindestlohn gibt, also eine Sicherung nach unten, haben gute Erfahrungen gemacht.

    Heinlein: Aber Herr Möllenberg, auch Franz Müntefering hat ja den Ball zunächst an die Tarifparteien weitergespielt und erklärt, es sei zunächst die Aufgabe von Gewerkschaften und Unternehmen, sich auf Mindestlöhne zu einigen. Sehen Sie denn die Chance in diesen Bereichen, die Sie genannt haben, sich mit den Arbeitgebern zu einigen?

    Möllenberg: Müntefering hat zu Recht gesagt: Einigt euch! Und wenn ihr euch nicht einigt, dann muss der Gesetzgeber handeln. Das sehe ich auch so. Wir haben nur das Problem, dass die Arbeitgeber in manchen Branchen sich verweigern, tatsächlich eine Verweigerungshaltung an den Tag legen angesichts der Tatsache, dass wir in Deutschland eine hohe Zahl von Arbeitslosen haben, dass wir illegal Beschäftigte haben. Es gibt Schwarzarbeitgeber in Deutschland. Und die lassen sich nicht einfach an den Tarifverhandlungstisch zerren.

    Ich will hinzufügen: In einigen Branchen, wo die Gewerkschaften nicht über die Mächtigkeit verfügen, da werden wir nicht hergehen und ein Diktat von Arbeitgebern zur Kenntnis nehmen und unterschreiben, dass man eben Löhne akzeptiert, die bei 4 Euro, bei 3 Euro oder 3,50 Euro liegen. Das geht nicht!

    Heinlein: Was halten Sie denn von der Ausweitung des Arbeitnehmerentsendegesetzes wie etwa in der Baubranche auf andere Bereiche? Das ist ja der zweite Schritt, den Franz Müntefering vorgeschlagen hat.

    Möllenberg: Eine vollkommen richtige Empfehlung. Der Gesetzgeber sollte hier auch handeln. Allerdings stößt sie und geht in einigen Branchen ins Leere, weil Bedingung zur Auslösung des Entsenderechtes ist, dass ein praktisch bundesweit geltender Tarifvertrag zu Grunde gelegt werden kann und zur Anwendung kommt. Diese Voraussetzung haben wir im Baubereich, das haben wir im Gebäudereinigerhandwerk. In vielen anderen Branchen gibt es diese Regelung nicht. Ich sage das mal für den Bereich Hotel- und Gastgewerbe. Wir haben 16 Bundesländer. Wir haben 18 Tarifgebiete erstaunlicherweise, in 10 Tarifgebieten verweigert sich die Arbeitgeberseite, der Deutsche Hotel- und Gaststättenverband, mit uns Tarifverträge abzuschließen. Und wir haben dort nicht die Mächtigkeit. Ich muss das leider eingestehen.

    Heinlein: Haben Sie keine Sorge als Gewerkschafter, wenn Mindestlöhne eingeführt werden, dass dann die Schwarzarbeit zunimmt? Das ist ja das Hauptargument von Union und Arbeitgebern gegen die Einführung von Mindestlöhnen.

    Möllenberg: Nein, das Gegenteil wäre der Fall. Hier würde also Schwarzarbeit bekämpft werden können, weil auch die Sozialversicherungsträger, von den Krankenkassen angefangen bis zur Rentenversicherung, klare Richtlinien hätten, was denn mindestens gezahlt werden muss. Wir stellen seit Jahren fest, dass die Betrügereien von Arbeitgebern in diesem Bereich zunehmen. Von daher würde umgekehrt ein Schuh daraus. Ein gesetzlicher Mindestlohn würde letztendlich die Ermittlungsarbeit und die Kontrolltätigkeit erleichtern. Von daher spricht vieles dafür.

    Heinlein: Und die Abwanderung von Jobs ins Ausland? Das ist ja auch eine mögliche Hintertür der Arbeitgeber.

    Möllenberg: Eine ständig gebetsmühlenartig wiederholte Behauptung, die durch nichts belegt ist. Die Länder, die einen Mindestlohn haben, zuletzt war es zum Beispiel das Vereinigte Königreich oder unser Nachbar Frankreich, die Benelux-Staaten, die haben derartige Erfahrungen nicht. Und mit Verlaub: Wenn ich meine Branche Hotel- und Gastgewerbe sehe, ein Hotel, ein Restaurant oder eine Gaststätte ist nicht so ohne Weiteres verlagerbar nach Polen oder in die Ukraine.

    Heinlein: Trotz Ihrer Argumente, politisch sieht es derzeit ja nicht danach aus, dass Union und SPD sich einigen können auf die rasche Einführung von Mindestlöhnen. Glauben Sie, dass am Ende ein Kompromiss stehen wird?

    Möllenberg: Kann sein, aber es darf kein fauler Kompromiss sein.

    Heinlein: Was wäre denn ein fauler Kompromiss?

    Möllenberg: Ein fauler Kompromiss wäre, wenn es eine Packung gäbe, wo Mindestlohn draufsteht, aber wenn man hinter die Kulissen schaut, wäre es eine Mogelpackung. Dass man zum Beispiel das nur sehr schwer durchsetzen kann, dass man ein Niveau bei einem Mindestlohn findet, das vielleicht bei 4 Euro oder 4,50 Euro liegen würde, das wäre für mich ein fauler Kompromiss, eine Mogelpackung.

    Wir haben hier eine gesellschaftspolitische Verantwortung. Der müssen sich CDU/CSU und die SPD stellen. Ich bin sehr optimistisch, dass die SPD hier steht. Ich bin sehr optimistisch, dass zumindest Teile der Union stehen. Karl-Josef Laumann mit seiner CDA hat sich im Prinzip klar erklärt. Von daher wird man das als Politik nicht auf die lange Bank schieben können. Wenn das getan wird, wird das zum Wahlkampfschlager der Bundestagswahl 2009, und dann schauen wir mal.

    Heinlein: Noch einmal das Stichwort Mogelpackung. Sind die Überlegungen, die Geringverdiener von Sozialabgaben zu befreien, für Sie auch eine Mogelpackung?

    Möllenberg: Nein, nicht ganz. Ich glaube diesem Thema muss man sich sehr ernsthaft stellen. Wir müssen auch schauen, was wir in der Kombination tun können. Ich lehne flächendeckende Kombilöhne ab, aber ich glaube, dass man für bestimmte Zielgruppen vernünftige Regelungen finden kann. Entscheidend ist aber, und da erinnere ich an das, was Frau Merkel vor ungefähr einem Jahr gesagt hat, Kombilöhne nur mit Mindestlohn. Das heißt. der erste Schritt muss sein: existenzsichernder Mindestlohn. Dann kann man über weitere Schritte nachdenken. Ich glaube, wir haben hier noch ein bisschen Kreativität einzubringen. Entscheidend ist nur: Der Gesetzgeber muss sich bewegen und darf das Problem nicht aussitzen.

    Heinlein: Wie viel Zeit geben denn die Gewerkschaften noch der Großen Koalition, sich zu einigen beim Thema Mindestlohn?

    Möllenberg: Die neueste Verabredung ist ja, man trifft sich im März. Ich glaube, am 5. März wird es sein. Ich möchte im März, April, Mai Ergebnisse sehen. Und wenn ich von März, April, Mai spreche, meine ich dieses Jahr. Von daher: Wenn das nicht geschieht, wird sich der Druck erhöhen.

    Heinlein: Heute Morgen im Deutschlandfunk der Vorsitzende der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG), Franz-Josef Möllenberg. Ich danke für das Gespräch und auf Wiederhören.

    Möllenberg: Ich danke auch. Tschüss dann.