Samstag, 04. Mai 2024

Archiv


Nicht beliebt, bestenfalls geschätzt

Wenn am Sonntag der neue Bundestag gewählt wird, schaut man besonders in EU-Ländern aufmerksam zu. Denn Deutschland gilt als eines der mächtigsten Länder in der Gemeinschaft. Aber nicht unbedingt als das beliebteste: Die einen betrachten Deutschland als Zuchtmeister, die anderen als beleidigten Oberlehrer.

Von Annette Riedel, Korrespondentin in Brüssel | 19.09.2013
    "Blitzableiter ... Zuchtmeister ... German Efficiency ... Hegemon ... Scheinriese ... fleißige Deutschen ... besten Europäer ... Oberlehrer ... blöde Deutsche ... großes, verantwortliches, mächtiges, tüchtiges Deutschland"

    Zu Deutschland hat man in Europa eine Meinung. Nicht eine Meinung, sondern sehr unterschiedliche Meinungen, die sich nur auf den ersten Blick gegenseitig auszuschließen scheinen. Ablehnung oder Neid sind manchmal die Kehrseite von Bewunderung. Welcher Meinung über die Deutschen jemand anhängt, sagt oft mehr über die Lebensumstande des jeweiligen Betrachters aus, als über Deutschland selbst.

    Deutschland ist die größte Volkswirtschaft in der EU, mehr als ein Fünftel der Wirtschaftskraft der Union geht auf sein Konto. Folglich ist Deutschland in der EU tonangebend - kein Solist, natürlich nicht. Aber es spielt zumindest wirtschaftlich, zumal in diesen Krisenjahren, oft genug die erste Geige.
    Wenn sie es will, regnet es oder es ist schönes Wetter, sagt ein französischsprachiger Kollege in Brüssel über die Rolle der Bundesregierung in der EU. Will sagen: Deutschland hat große Macht in der EU. Folglich schauen und hören Nachbars sehr genau hin, wenn in Deutschland gewählt wird.

    "Die deutsche Innenpolitik, insbesondere vor Wahlen, trägt sehr große Verantwortung für die Bilder, die nach außen getragen werden. Anfang 2010 - damals sind Klischees wieder aufgebaut worden, von der deutschen Innenpolitik. Diese Aussage, vom ‚faulen Griechen' und vom ‚fleißigen Deutschen' "

    Erinnert der griechische sozialdemokratische EU-Abgeordnete und frühere Außenminister Dimitris Droutsas. Aus seiner Sicht hat der innenpolitische Diskurs, auch und gerade in Wahlkampfzeiten eine, in diesem Falle negative, Wirkung auf das Deutschlandbild bei den europäischen Nachbarn. Die Wahlkampfrhetorik trägt, gespiegelt und zugespitzt - teilweise unzulässig zugespitzt - über griechische Medien dann zum negativen Deutschlandbild bei.

    "Das hat enormen Schaden in Griechenland bei den Menschen verursacht. Und das ist dann missbraucht worden von den Medien, populistischen Politikern und, und, und."

    Sie knüpfen an das Bild vom arroganten Deutschland, dem Spar-Tyrannen Europas an, was in den Krisen-Jahren entstanden ist.

    "Die griechische Politik hat in Deutschland diese Blitzableiter gefunden."

    Dieser Blitzableiterfunktion bedienen sich nicht nur griechische, sondern auch Politiker anderer EU-Länder auf ihrer jeweiligen nationalen Bühne bei Bedarf gern mal. Man erwartet von den Deutschen, ob ihres Gewichts, eine Führungsrolle in der EU. Und reibt sich dann daran.

    "Wir können nicht zugleich ‚Leadership' - man kann das ja gar nicht ins Deutsche übersetzen - und noch beliebt sein."

    Dr. Berthold Franke, EU-Beauftragter des Goethe-Instituts, empfiehlt seinen Landsleuten, sich damit abzufinden, dass Deutschland bei den europäischen Nachbarn bestenfalls geschätzt werden wird.

    "Die Deutschen werden nicht beliebt sein. Erstens, weil die Großen nicht beliebt sein können. Zweitens, weil wir vielleicht auch nicht einen Lebensstil haben, der so faszinierend ist wie der in anderen Ländern. Und drittens, weil wir diese vermaledeite Vergangenheit an den Beinen kleben haben - das ist eben nur 70 Jahre und nicht schon 70 Jahre her."

    Weshalb auch immer wieder in europäischen Medien in Wort und Bild an die Nazi-Zeit angeknüpft werden kann. Diese Zeit ist im kollektiven Gedächtnis teilweise noch sehr wach, vor allem in Länder, die, wie Griechenland, massiv unter Nazi-Deutschland gelitten haben. Auch in Frankreich. Die scheinbare oder tatsächliche Dominanz der Deutschen in der jetzigen Krise weckt alte Ressentiments.

    "Deutschland hat in den vergangenen drei Jahren, seitdem diese Griechenlandkrise wirklich durchschlagend geworden ist, diese Rolle bekommen - als Hegemon, als Zuchtmeister und so entstehen dann auch Klischeebilder."

    Analysiert der Europakorrespondent der österreichischen Zeitung "Standard", Thomas Mayer. Überhaupt - Zuchtmeister. Schon allein die deutsche Sprache klingt doch danach - im Gegensatz zur Eleganz anderer.

    "Science ... science ... siencia ... NATURRRRWISSENSCHAFTEN"

    Ein bezeichnender Ulk im Internet. Der Deutschland-Korrespondent der "Irish Times", Derek Scally, analysiert, dass Deutschland selbst zum Erstarken des Klischees vom blind sparwütigen Meister von Zucht und Ordnung beiträgt, indem es sich in eine Art kommunikativen Schmollwinkel als missverstandener Prügelknabe verschanzt, den alle hassen, obwohl sich alle gern von ihm retten lassen.

    "Sie hassen uns sowieso, ist eigentlich für mich eine sehr bequeme Haltung, weil, wenn sie uns sowieso hassen, dann muss man mit denen nicht reden. Dann kann man eine überhebliche, einsame Position einnehmen: wir haben recht, aber sie hassen uns sowieso und dann ist ein Teufelskreis und ‚die blöden Deutschen' wird damit bestätigt. In Deutschland reicht es recht zu haben; in anderen Ländern muss man die Anderen überzeugt haben."

    "Blitzableiter ... Zuchtmeister ... German Efficiency ... Hegemon ... Scheinriese ... fleißige Deutschen ... besten Europäer ... Oberlehrer ... blöde Deutsche ... große, verantwortliche, mächtige, tüchtige Deutschland."

    Vielleicht hassen sie die Deutschen nicht alle, aber charmant, warmherzig, solidarisch fällt unseren europäischen Nachbarn, nach Deutschen gefragt, eher selten ein. Aber wenigstens auch nicht so etwas wie größenwahnsinnig, unberechenbar.