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Lambertz: Deutschlands Europarolle wird hingenommen und auch bewundert

Deutschland spiele wegen seiner Wirtschaftskraft eine sehr wichtige Rolle in Europa, sagt Karl-Heinz Lambertz, Ministerpräsident der Deutschsprachigen Gemeinschaft in Belgien. Viele Staaten hätten jedoch den Eindruck, dass die Deutschen ihre Lösungsansätze überall in Europa verwirklicht sehen wollten.

Karl-Heinz Lambertz im Gespräch mit Friedbert Meurer | 19.09.2013
    Friedbert Meurer: Deutschland wählt, die Bundestagswahl wird auch im Ausland aufmerksam verfolgt. Ökonomisch und politisch hat das Gewicht Deutschlands in den letzten Jahren in der EU noch einmal zugenommen. Damit sind beileibe nicht alle glücklich. In Südeuropa, vor allem in Griechenland, aber auch in Spanien, ist Bundeskanzlerin Angela Merkel unbeliebt. Ihr wird vorgeworfen, mit ihrer Sparpolitik Arbeitslosigkeit und Armut nur noch zu verstärken. Hat Europa Angst vor Deutschland? Was erwarten unsere Partnerländer von einer neuen Bundesregierung, was befürchten sie?

    Karl-Heinz Lambertz ist Ministerpräsident der Deutschsprachigen Gemeinschaft Belgiens. Ich begrüße ihn jetzt in Eupen. Guten Morgen, Herr Lambertz.

    Karl-Heinz Lambertz: Guten Morgen!

    Meurer: Müssen wir damit leben, dass wir nicht beliebt sind in Europa?

    Lambertz: Ich glaube, dass natürlich Vorurteile und so zugespitzte Bilder immer wieder da sind. Die Situation ist ja auch nicht überall sehr einfach jetzt. Aber ich denke doch, dass es viele Stellen in Europa gibt, wo auch ein sehr differenziertes Deutschlandbild herrscht.

    Meurer: Zum Beispiel in Belgien?

    Lambertz: In Belgien schaut man sehr genau auf das hin, was in Deutschland geschieht. Es ist auch der wichtigste Handelspartner und es ist ja auch die räumliche Nähe da. Das gilt ganz besonders natürlich im Osten Belgiens, wo die deutschsprachige Minderheit in Belgien lebt, die ja sehr stark auch auf deutsche Medien schaut und somit fast schon so gut informiert ist über Deutschland wie die Deutschen selbst.

    Meurer: Wie sehr fiebert denn die deutschsprachige Minderheit mit am Sonntagabend?

    Lambertz: Von Fiebern kann man eigentlich nicht reden. Es geht eher um eine interessierte Beobachtung dessen, was da geschieht. Es ist immer so, wenn in Deutschland gewählt wird, schaut man hier in meiner Heimat sehr genau hin und sieht dann, was im Einzelnen geschieht. Manchmal sieht man das dann auch etwas unemotionaler als die Deutschen selbst, wobei ja dieser Wahlkampf, den wir augenblicklich erleben, einer ist, der ja nicht so wirklich groß in Fahrt gekommen ist.

    Meurer: Sie sind ja jetzt, Herr Lambertz, schon seit vielen Jahren in der Politik in Belgien, waren auch Politiker in Brüssel gewesen. Was hat sich am Deutschlandbild geändert in den letzten, sagen wir, 20 Jahren?

    Lambertz: Deutschland spielt aufgrund der bedeutenden wirtschaftlichen Kraft und auch der Stärke in Europa schon eine sehr wichtige Rolle und die wird auch von allen akzeptiert, hingenommen, manchmal sogar auch bewundert. Aber es ist natürlich so, dass viele den Eindruck haben, dass die Deutschen ihre Lösungsansätze und ihr Modell dann auch überall anderswo in Europa verwirklicht sehen wollen, und das trägt natürlich zu der Art von Reaktionen bei, die wir ja eben auch in den Statements gehört haben. Es wird aber auch von vielen, die sich etwas gründlicher mit Deutschland beschäftigen, festgestellt, dass die Deutschen selbst keine Hegemonieansprüche erheben, sondern dass sie versuchen, Lösungen, die bei ihnen funktionieren, auch für Europa vorzuschlagen. Und dass man vor allem jetzt in den letzten Jahren, in den Krisenjahren sehr viel auf Deutschland hinschaut, hat natürlich damit zu tun, dass die deutsche Politik doch entscheidend mitbestimmt, was in Europa geschieht, und da bleibt in der einen oder anderen Frage natürlich auch so manches dann umstritten.

    Meurer: Frage an den sozialistischen Politiker Karl-Heinz Lambertz. Hoffen Sie, dass Peer Steinbrück gewinnt?

    Lambertz: Natürlich hoffe ich das, aber ich bin Realist genug, um zu sehen, dass diese Wahl am Sonntag sicherlich nicht dazu führen wird, dass die SPD die stärkste Partei in der Bundesrepublik Deutschland wird.

    Meurer: Wie kam das damals an, als Peer Steinbrück von der Kavallerie gesprochen hat, die er gegen das kleine Land Schweiz in Marsch schicken wollte? Da haben damals in Deutschland viele drüber gelacht, fanden das lustig, heute ein bisschen weniger. Wie sehen Sie es?

    Lambertz: Ja das ist damals hier in Belgien nicht so intensiv wahrgenommen worden. Das war ja auch ein ganz spezifischer Kontext mit den ganzen Steuerfluchtsituationen in der Schweiz, und darunter leidet ja auch zum Teil Belgien etwas.

    Meurer: Wenn die Bundesregierung, sei es unter Angela Merkel oder Peer Steinbrück, ihren Kurs ändern würde, den Südeuropäern oder anderen Europäern weniger Sparen aufoktroyieren würde, würden wir dann beliebter werden?

    Lambertz: Das weiß ich nicht insgesamt für Europa, denn da sind ja auch die Auffassungen sehr differenziert. Aber es geht weniger um das beliebt sein; es geht darum, ob der Kurs, der jetzt gefahren wird, der wirklich richtige ist und ob er das Ergebnis bringt, das wir alle brauchen in Europa. Austerität alleine wird sicherlich nicht uns den Weg aus der Krise zeigen und wir müssen auch Wachstumsimpulse vermitteln können, und das klappt zum jetzigen Zeitpunkt ja nur sehr begrenzt und da wird man weiter nach Möglichkeiten suchen müssen, notwendige Sparpolitik und Wachstumsimpulse auf eine Art und Weise zu kombinieren, dass am Ende wieder mehr Hoffnung entsteht.

    Meurer: Angenommen, Herr Lambertz, die Regierungsbildung in Berlin dauert, ich sage mal, drei Monate, weil niemand mit niemandem koalieren will, haben Sie als Vermittler zwischen Flamen und Wallonen einen Tipp?

    Lambertz: Drei Monate wäre ja eine sehr kurze Zeit für belgische Verhältnisse. Aber das ist in Deutschland natürlich nicht denkbar. Ich glaube auch nicht, dass das Problem wirklich auftreten wird, und die Koalitionsmöglichkeiten wird man ja schon Sonntagabend sehr genau kennen. Und so wie ich Deutschland einschätze, wird es dann sehr schnell den einen oder anderen Weg geben, zu einer regierungsfähigen Mehrheit in der Bundesrepublik Deutschland zu kommen.

    Meurer: Ist Deutschland im politischen Vergleich zu Belgien eine stabile Insel der Seligen?

    Lambertz: Deutschland ist sicherlich stabil. Ob da nur Selige leben, das weiß ich nicht. Ich glaube, dass Deutschland ein politisches System hat, das sich bewährt hat, das man aber nicht so ohne Weiteres anderswo exportieren kann. Wichtig ist vor allem, dass es wieder sehr schnell eine handlungsfähige Regierung dann auch in Deutschland gibt, denn eines ist klar: Nach der Bundestagswahl werden sowieso und auch in europäischen Angelegenheiten eine Reihe von Entscheidungen gefällt werden müssen, die man aus wahltaktischen Gründen augenblicklich so nicht fällen wollte.

    Meurer: In Belgien gibt es, anders als in Deutschland, eine Wahlpflicht. Würden Sie uns das empfehlen?

    Lambertz: Ich selbst bin aus der belgischen Erfahrung heraus ein Befürworter der Wahlpflicht. Aber ich sage auch: Wahlpflicht oder freiwillig zur Wahl gehen ist etwas, was auch aus der Tradition der Länder heraus jeweils zu verstehen ist und das man nicht so verpflanzen kann. Wahlpflicht ist der Ausdruck dessen, dass es ein Privileg ist, wählen zu können, was wir ja auch im Vergleich zur weltweiten Lage anderswo durchaus so einschätzen können. Es ändert natürlich vollkommen die Wahlkampfstrategien. Wo Wahlpflicht herrscht, braucht man nicht den Hauptschwerpunkt der Wahlen auf das Mobilisieren der eigenen Anhänger im Hinblick auf den Weg zur Wahlurne zu legen. Man kann sich mehr mit Inhalten beschäftigen. Aber das ist eine Regel, die in Belgien relativ gut funktioniert. Es gehen trotz Wahlpflicht in Belgien doch zehn Prozent der Menschen dann nicht zur Wahl. Aber ob man das jetzt anderswo so übertragen kann und ob das eine Lösung für Deutschland wäre, das möchte ich so nicht behaupten.

    Meurer: Karl-Heinz Lambertz, der Ministerpräsident der Deutschsprachigen Gemeinschaft in Belgien, vor den Bundestagswahlen hier in Deutschland. Herr Lambertz, danke und auf Wiederhören nach Eupen, alles Gute.

    Lambertz: Auf Wiederhören.


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