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"Nicht ein einziges Entgegenkommen"

Für FDP-Generalsekretär Christian Lindner ist klar, wer schuld am Scheitern der Hartz-IV-Verhandlungen trägt: die Opposition, die immer nur neue Forderungen aufgestellt habe. Besonders die Verknüpfung mit der Frage der Bezahlung von Leiharbeitern habe zum Scheitern geführt.

Christian Lindner im Gespräch mit Jasper Barenberg | 09.02.2011
    Jasper Barenberg: Selbst gebackene Plätzchen brachte Arbeitsministerin von der Leyen am Anfang der Gespräche noch mit. Da gab es die Hoffnung auf einen einvernehmlichen Kompromiss bei der Reform von Hartz IV. Inzwischen ist den Unterhändlern von Regierung und Opposition die gute Laute aber gründlich abhanden gekommen. Regelsatz, Bildungspaket, Mindestlohn für Leiharbeiter, immer zahlreicher wurde die Liste der Themen, immer verwirrender, wer eigentlich was fordert oder zugestehen will. Jetzt sind die Verhandlungen geplatzt.
    Was passiert eigentlich mit den mehr als 900.000 Leiharbeitern, die es inzwischen in Deutschland gibt? Auch um diese Frage wurde und wird gestritten. Gleicher Lohn für gleiche Arbeit, das klingt zunächst wie eine Selbstverständlichkeit, ist es aber nicht, und das hat viel damit zu tun, dass Unternehmen in Deutschland immer mehr Leiharbeiter beschäftigen, und die verdienen im Schnitt nur etwa halb so viel wie die fest angestellten, obwohl beide den gleichen Job machen. Viele Zeitarbeiter sind, wen wundert's, deshalb unzufrieden.

    O-Töne: "Da ist keine Anerkennung, das wird gar nicht geachtet. Man wird nur verheizt." – "Also es geht wirklich nur darum, dass du da als Leiharbeiter bleibst, weil du billig bist, weil du flexibel bist, weil auf dich ein höherer Druck ausgeübt werden kann." – "Du musst nur bringen, du musst nur geben, und dann für diese wenige Gegenleistung." – "Bezahlt wie ein Idiot und auch behandelt wie ein Idiot."

    Barenberg: Wie lange soll ein Leiharbeiter die schlechtere Bezahlung ertragen? Da gehen die Meinungen weit auseinander. SPD, Gewerkschaften und Grüne kann es dabei nicht schnell genug gehen, die Koalition auf der anderen Seite tritt auf die Bremse, insbesondere die FDP. – Jetzt am Telefon der FDP-Generalsekretär. Einen schönen guten Morgen, Christian Lindner.

    Christian Lindner: Guten Morgen, Herr Barenberg.

    Barenberg: Gleicher Lohn für gleiche Arbeit, Herr Lindner, warum hält die FDP nichts von diesem Gebot der Gerechtigkeit?

    Lindner: Wir haben dieses Gebot der Gerechtigkeit mit als erste in die politische Debatte eingebracht. Wir haben schon zu Beginn des vergangenen Jahres den Grundsatz "Equal Pay" gefordert, als noch niemand darüber gesprochen hat. Fraglich ist jetzt nur, ab welchem Zeitpunkt man ihn ansetzt. Wir sind für eine Frist, die Missbrauch ausschließt, die also dafür sorgt, wenn ein Arbeitnehmer dauerhaft in einem Unternehmen beschäftigt ist, dass er also gewissermaßen zur Stammbelegschaft gehört, dass er dann auch den gleichen Ecklohn erhält. Aber wir wollen eine nicht so kurze Frist haben, dass die Flexibilität, die mit Zeitarbeit verbunden ist für die Unternehmen, komplett beschädigt wird, und aus dem Grund war unser Vorschlag ab ein Jahr. Wir sind dann der Opposition einen Schritt entgegengekommen: Ab 9 Monate soll das Prinzip "Equal Pay" gelten. Ab dann soll tatsächlich der Ecklohn auch angeglichen werden. Das ist ganz unabhängig übrigens von einem Mindestlohn, einer Lohnuntergrenze in der Zeitarbeit. Auch eine solche hatten wir dann auch ab dem ersten Tag ja bereits in den Gesprächen mit der Opposition angeboten. Aber wir werden nicht zulassen, dass das Instrument der Zeitarbeit, in der im vergangenen Jahr ja jeder dritte der neu entstandenen Jobs geschaffen worden ist, dass dieses Instrument insgesamt beschädigt wird.

    Barenberg: Von 9 Monaten haben Sie gesprochen, Herr Lindner. Aber das heißt doch im Grunde, dass nie eine gleiche Bezahlung erfolgen soll, denn die allermeisten Leiharbeiter sind so lange gar nicht beschäftigt.

    Lindner: Ja, weil dort auch gar kein Missbrauch entsteht. Nein, hier ist es eine Flexibilitätsreserve für die Unternehmen, die auf Zeitarbeit setzen. Man muss allerdings vielleicht noch mal in Erinnerung rufen: Zeitarbeiter haben einen sozialversicherungspflichtigen Job, eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung nur in einem Zeitarbeitsunternehmen. Die können nicht von jetzt auf gleich von dem Zeitarbeitsunternehmen gekündigt werden. Dort gibt es auch im Verhältnis zum Zeitarbeitsunternehmen eine tarifliche Lohnuntergrenze an nahezu allen Stellen, die man jetzt auch hätte ausweiten können. Also der Eindruck, der mit einzelnen Beispielen erweckt wird, auch mit Statistiken, die man interpretieren kann und muss, es handele sich hier um eine Branche, in der systematisch dauerhaft – und zwar quer durch die Bank – Missbrauch betrieben wird, der ist falsch.

    Die Zeitarbeit ist ein wichtiges Element der Flexibilität im Arbeitsmarkt. Und wenn ich das noch, Herr Barenberg, hinzufügen darf: Auch in regulären Tarifverträgen, die der DGB mit den Arbeitgebern abschließt, ist der Lohn auch bei gleicher Arbeit an vielen Stellen gestaffelt nach Betriebszugehörigkeit. Also insofern ist das keine Besonderheit und hier muss man mit großer Sensibilität diskutieren.

    Barenberg: Aber ist es nicht eine Besonderheit, dass immer mehr Unternehmen immer mehr Leiharbeiter einstellen? Sie haben es selbst erwähnt: Jeder dritte Arbeitsplatz geht auf dieses Konto und immer mehr Unternehmen ersetzen ihre Belegschaft durch billigere Zeitarbeiter. Sie wollen dieser Entwicklung nicht Einhalt gebieten?

    Lindner: Ja, doch. Deshalb sage ich ja, "Equal Pay" nach neun Monaten.

    Barenberg: ... , wenn es nichts mehr wirkt.

    Lindner: Nein, nicht, wenn es nichts mehr wirkt, sondern dann, wenn das, was Sie beschreiben, tatsächlich als Missbrauch feststellbar ist, wenn die Stammbelegschaft ersetzt wird durch Zeitarbeitnehmer, also es einen Umgehungstatbestand gibt. Aber wissen Sie, die Alternativen sind doch in Wahrheit Beschädigung der Zeitarbeit und auf der anderen Seite höhere Arbeitslosigkeit. Der Eindruck, der erweckt wird, dann würde das alles in die Stammbelegschaft gehen, dieser Eindruck ist falsch. Viele, viele Zehntausend Menschen hätten dann die Alternative Zeitarbeit mit einer Perspektive auch mit einer Beschäftigung, oder Hartz IV. Das war die Idee seinerzeit der rot-grünen Arbeitsmarktgesetze, über die Flexibilität auch eine Leiter zu schaffen in den ersten Arbeitsmarkt, in Stammbelegschaften, nicht zu erlauben, dass Menschen komplett ausgeschlossen sind, sondern auch eine Übergangsmöglichkeit in den ersten Arbeitsmarkt, in Stammbelegschaften zu schaffen.

    Davon wollen SPD und Grüne jetzt nichts mehr wissen und haben deshalb die Verhandlungen über die Hartz IV-Regelsätze – darum ging es ja in Wahrheit – mit diesem Thema noch zusätzlich belastet. Das hatte eigentlich mit dem Gegenstand der Verhandlungen, mit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts nichts zu tun, das ist ein Ablenkungsmanöver, und auch in unserem Gespräch, Herr Barenberg, wenden wir dem Thema jetzt so viel Aufmerksamkeit zu, obwohl es nicht im Zentrum der Gespräche und des Urteils des Verfassungsgerichts stand.

    Barenberg: Vielleicht tun wir das ja auch, Herr Lindner, weil es ein Ziel sein sollte, dass möglichst wenige Menschen in die Situation kommen, Hartz-IV-Leistungen in Anspruch nehmen zu müssen, und wenn wir darauf schauen, dass jeder achte Leiharbeiter inzwischen auf staatliche Hilfe, auf Zusatzhilfe angewiesen ist, dann muss man doch darüber reden, oder nicht?

    Lindner: Selbstverständlich, aber auch hier empfehle ich einen Blick genau in die Lebenswirklichkeit. Die Zahl derjenigen, die als Single voll erwerbstätig sind und dann auf ergänzendes ALG II angewiesen sind, was schätzen Sie, wie hoch die Zahl in Deutschland ist? – Das sind weniger als 10.000 Menschen insgesamt. Ich schätze, die Zahl liegt eher bei 5000 als bei 10.000.

    Die Menschen, die Vollzeit erwerbstätig sind und dann dazu noch Hartz IV benötigen, müssen in der Regel eine ganze Familie versorgen, und in den Fällen beträgt das Einkommen, das Familieneinkommen der Familie, das ersetzt werden muss oder erbracht werden muss, damit es keine Leistung vom Staat gibt, über 1800 Euro. Da wird es beim Deutschlandfunk viele Techniker geben, die Pförtner bei Ihnen im Deutschlandfunk, die werden nicht netto 1800 Euro haben, und wenn sie dann eine vierköpfige Familie zu versorgen haben, dann werden sie ergänzendes Arbeitslosengeld II bekommen. Um dann nicht auf ergänzende Leistungen angewiesen zu sein, müsste der Stundenlohn – man spricht dort vom sogenannten Äquivalenzlohn – über 12 Euro betragen. Einen 12-Euro-Mindestlohn, das fordert noch nicht einmal die Linkspartei. Also in bestimmten Konstellationen, gerade wenn Familien versorgt werden müssen, wird es immer eine zusätzliche Leistung des Staates geben müssen, oder die Menschen sind komplett raus aus der Beschäftigung.

    Barenberg: Zum Schluss, Herr Lindner, noch einen Blick auf die Situation insgesamt. Zum Verhandeln gehören natürlich immer zwei, und jetzt schieben sich alle Parteien gegenseitig die Schuld in die Schuhe. Ist das aber nicht auch ein Armutszeugnis für die Regierung?

    Lindner: Das sehe ich nun nicht so, weil wir, wie Sie verstehen werden, ja ein erhebliches Paket geschnürt haben. Ich rufe in Erinnerung: die Hartz-Gesetze waren rot-grüne Gesetze. Der alte Regelsatz, in dem es keine zusätzlichen Leistungen für Kinder gibt, der ist mal von Rot-Grün so beschlossen worden. Das hat Rot-Grün einmal für erforderlich und für angemessen gehalten. Das ist vom Verfassungsgericht verworfen worden. Wir haben jetzt ein anderes Berechnungsverfahren für den Regelsatz angeboten, er ist dadurch auch ein Stück erhöht worden. Wir haben insbesondere ein Bildungspaket für Kinder geschnürt, sind dort erheblich auf die Opposition zugegangen, haben dort beispielsweise das Verfahren der Verwaltung verändert, das machen jetzt die Kommunen, bekommen dafür eine Erstattung der Kosten. Die Elemente dieses Pakets sind vergrößert worden, wir reden jetzt von über eineinhalb Milliarden Euro dafür. Das Mittagessen für alle Hortkinder, ein Ergebnis vom gestrigen Abend, hätten wir auch noch jetzt übernommen bis 2013. Es ist gesprochen worden über drei zusätzliche Mindestlöhne, also auch eine Lohnuntergrenze in der Zeitarbeit. Es wäre möglich geworden, dass wir den Grundsatz "Equal Pay" an die Tarifpartner zurückgegeben hätten, hätten von dort eine Lösung verlangt binnen eines Jahres, sonst hätten wir selber, Koalition und Opposition, eine Kommission, eine unabhängig besetzte Expertenkommission einrichten wollen.

    Also an vielen Stellen haben wir uns bewegt, die Opposition nicht. Ich weiß nicht, ob Sie ein einziges Entgegenkommen der Opposition jetzt nennen könnten, mir würde es nicht einfallen. Immer nur neue Forderungen, nicht ein einziges Entgegenkommen.

    Barenberg: Vielen Dank für dieses Gespräch. Christian Lindner, der FDP-Generalsekretär. Wir sind gespannt, wie es im Bundesrat weitergeht.
    Ein Schild weist den Weg zu den Sachbearbeitern des Arbeitslosengeldes II in der Agentur für Arbeit in Ludwigsburg.
    Ein Schild weist den Weg zu den Sachbearbeitern des Arbeitslosengeldes II in der Agentur für Arbeit in Ludwigsburg. (AP)