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Nicht nur kaisertreues Säbelrasseln

Er liebte das Militär, aber auch die Boheme. Ständig war er in Geldnöten, obwohl er zu Lebzeiten zu den bekanntesten und beliebtesten deutschen Lyrikern gehörte: der fast vergessene Friedrich Adolf Axel Freiherr - genannt Detlev - von Liliencron.

Von Reiner Scholz | 22.07.2009
    "Heute bin ich über Rungholt gefahren
    Die Stadt ging unter vor 600 Jahren
    Die Maschine des Dampfers schütterte, stöhnte,
    Aus den Wassern rief es unheimlich und höhnte:
    Trutz blanke Hans"

    Diesen Text kennen viele – den Urheber nur wenige. Detlev von Liliencron – eigentlich Louis Freiherr von Liliencron und Adeline – wird als Spross einer verarmten Adelsfamilie 1844 in Kiel geboren. Nach der Schule schlägt er die Offizierslaufbahn ein, wird allerdings 1875 wegen Glücksspiels und Schuldenmachens unehrenhaft aus der Armee entlassen, was er nie richtig verwindet. Liliencron sucht einen Neuanfang in Amerika, will Offizier in der US-Armee werden. Als das Projekt scheitert, kehrt er nach Deutschland zurück. Das Kriegshandwerk hat den Baron auch später immer wieder beschäftigt. In seinen Texten findet sich viel kaisertreues Säbelrasseln, doch er beschreibt auch das Elend der Schlachten:

    "Schweigende Gräber,
    Verödung und Grauen.
    Welkende Kränze,
    Verlassene Frauen.

    Heißes Umarmen
    Nach schmerzlichem Sehnen.
    Brechende Herzen,
    Erstorbene Tränen."


    Er versucht, unter anderem als Deichvogt in Pellworm in der preußischen Verwaltung Fuß zu fassen. Erfolglos. Seine Vorgesetzten urteilen: Er ist ein guter Dichter, aber kein guter Beamter – und entlassen ihn. Ab 1885 lebt er von der Schriftstellerei. Rilke und Hofmannsthal, Thomas Mann und Karl Kraus verehren ihn, mit dem von ihm geförderten Dichter Richard Dehmel verbindet ihn eine lebenslange Freundschaft. Die Naturalisten um Arno Holz betrachten ihn als einen der ihren. Zu Unrecht, sagt Volker Wolter, einer der besten Kenner Liliencrons. Wolter ist Direktor am Hamburger Gymnasium Rahlstedt. In Rahlstedt hat Liliencron seine letzten Jahre verbracht, dort liegt er begraben:

    "Er selbst schreibt ja in mehreren Gedichten den Naturalisten ins Stammbuch, das, was ihr wollt, das will ich eigentlich auch, aber ich will immer noch ein bisschen mehr. Während Arno Holz ja sagt: Kunst ist gleich Natur minus X, sagt Liliencron, das, was wir als Literatur bezeichnen, ist Natur plus Kunst."

    Liliencron nimmt sich beim Dichten jede Freiheit. Sonett, Knittelvers, freie Rhythmen, er nutzt alles. Erhabenes steht neben Flapsigem. Auch thematisch lässt der originelle Vielschreiber wenig aus. Sein Hang zur Boheme und zu Frauen, seine Freude an übermäßigem Essen und Trinken, alles geht in sein Werk ein. Liliencron, der Lebemann, ist viel unterwegs, hat ständig Schulden. Im Sommer 1903 bewilligt Kaiser Wilhelm ihm, dem getreuen Royalisten, ein jährliches Ehrengehalt von 2000 Mark. Liliencron tingelt auf Lesereisen durch die deutschsprachigen Länder. Aus Geldnot, nicht aus Spaß: Einem Freund schreibt er:

    "Ja, mein Getreuer, die Hure verkauft doch nur ihren Leib, ich aber dazu noch meinen Namen und meine Seele. Das Publikum behandle ich, wenn ich auftrete, vollkommen als Canaille. Ich mache weder vorher noch hinterher meine Verbeugung, reagiere selbst nicht mit der leisesten Kopfbewegung für Applaus p.p.."

    Seine Dramen und Romane sind schnell vergessen, seine Gedichte erweisen sich hingegen als höchst musikalisch. Sie werden, vertont für die nun aufkommenden Kabaretts, zu Gassenhauern. Liliencron ist - eher wider Willen - eine Art Popstar, der Dichter zum Anfassen:

    "Klingling, bumbum und tschingdada,
    Zieht im Triumph der Perserschah?
    Und um die Ecke brausend brichts
    Wie Tubaton des Weltgerichts
    voran der Schellenträger"

    Am 22. Juli 1909 stirbt Liliencron 65-jährig und in dritter Ehe verheiratet. Die Nationalsozialisten versuchen, ihn vor allem mit seiner Kriegslyrik für ihre Zwecke zu instrumentalisieren. Doch Liliencron passt in kein Schema. Vielleicht ist er aus diesem Grund heute fast vergessen. Zu Unrecht, sagt der Rahlstedter Schulleiter Volker Wolter:

    "Das ist sicherlich seine Modernität in einer Zeit, die noch nicht nach Modernität schrie in bestimmten Bereichen. Und das zeichnet ihn eben auch aus. Er ist ein politisch Konservativer, sozial mal konservativer, mal progressiv Denkender und in seiner Lyrik ist er ein ausgesprochener Moderner."