Bundesregierung
Nicht nur militärische Bedrohungen im Blick: die wichtigsten Punkte der Nationalen Sicherheitsstrategie

Das Bundeskabinett hat erstmals eine Nationale Sicherheitsstrategie verabschiedet. Bundeskanzler Scholz sprach in Berlin von einer ungewöhnlichen und wichtigen Entscheidung. Über das mehr als 40 Seiten starke Papier war monatelang beraten worden. Ein Überblick.

14.06.2023
    Berlin: Christian Lindner, Annalena Baerbock und Bundeskanzler Olaf Scholz nehmen an einer Pressekonferenz zur Nationalen Sicherheitsstrategie teil.
    Pressekonferenz zur Nationalen Sicherheitsstrategie (Michael Kappeler / dpa / Michael Kappeler)

    Warum Nationale Sicherheitsstrategie?

    Die Grundidee des Konzepts besteht darin, alle inneren und äußeren Bedrohungen für die Sicherheit des Landes im Zusammenhang zu berücksichtigen. Bundeskanzler Scholz unterstrich, dass die Nationale Sicherheitsstrategie über die alleinige Landesverteidigung hinausgehe und darum mehrere Ressorts miteinbeziehe. "Alle Mittel und Instrumente müssen ineinandergreifen, um unser Land vor Bedrohung von außen zu sichern", so Scholz. Als Beispiele nannte er neben dem militärischen Schutz auch die Entwicklungszusammenarbeit, die Sicherheit vor Cyber-Angriffen und die Resilienz von Lieferketten.
    Bundesaußenministerin Baerbock betonte, die Herausforderungen für die Sicherheit Deutschlands zögen sich durch alle Lebensbereiche. Dies gelte etwa für Medikamente genauso wie für den Cyber-Raum und die Sauberkeit von Wasser. Jedes Ressort habe darum überprüft, was Sicherheit für den jeweiligen Bereich bedeute. Die Grünen-Politikerin stellte weiter klar, dass die Sicherheitsstrategie von der gesamten Gesellschaft umgesetzt werden müsse, also etwa auch von Kommunen, Krankenhäusern und Unternehmen.

    Bessere Analyse durch Nachrichtendienste

    Um künftig besser gegen Desinformation und andere Formen ausländischer Einflussnahme gewappnet zu sein, strebt die Bundesregierung bei Verfassungsschutz, Bundesnachrichtendienst und Militärischem Abschirmdienst Veränderungen an. Sie will eine Strategie "zur Steigerung der Handlungsfähigkeit gegenüber hybriden Bedrohungen" vorlegen. Diese werde darauf abzielen, die Fähigkeiten zur Erkennung, Analyse und Abwehr von Bedrohungen auszubauen und die Instrumente zur Reaktion weiterzuentwickeln. "Dazu gehört auch die Stärkung der Analysefähigkeit unserer Nachrichtendienste", wird in dem Papier betont. Unter anderem nach der raschen Machtübernahme der Taliban in der afghanischen Hauptstadt Kabul im August 2021 hatte es vereinzelt Kritik an Einschätzungen des Bundesnachrichtendienstes (BND) gegeben.

    Kritische Rohstoffe

    Die Strategie sieht auch Anreize für Firmen vor, damit diese kritische Rohstoffe lagern und strategische Reserven ausbauen. Die Abhängigkeit in Lieferketten von kritischen Rohstoffen solle reduziert werden, heißt es in dem Konzept. Es müsse eine enge europäische Zusammenarbeit mit den Förderländern geben.

    Stärkung der Bundeswehr

    Die Bundesregierung setzt in ihrer Nationalen Sicherheitsstrategie auf eine wesentliche Stärkung der Bundeswehr. Oberste Aufgabe des Staates sei es sicherzustellen, dass die Deutschen auch künftig in Frieden, Freiheit und Sicherheit leben könnten, heißt es in dem vom Kabinett beschlossenen Grundsatzpapier. Die Bundeswehr bleibe der Garant für die Abschreckungs- und Verteidigungsfähigkeit Deutschlands.

    Zwei-Prozent-Ziel der NATO

    Die Bundesregierung will bereits im kommenden Jahr das NATO-Ziel für die Verteidigungsausgaben erfüllen. In der Strategie ist allerdings von einem "mehrjährigen Durchschnitt" die Rede. Bundesfinanzminister Lindner von der FDP erläuterte, diese Formulierung bedeute, dass das NATO-interne Ziel, zwei Prozent der Wirtschaftsleistung eines Landes in die Verteidigung zu investieren, jeweils im mehrjährigen Mittel erreicht werden solle, nicht aber zwingend in jedem einzelnen Bundeshaushalt. Bundesverteidigungsminister Pistorius sagte: "Zwei Prozent sind ehrgeizig und sind mit Aufwand verbunden, trotzdem werden wir das machen." Der SPD-Politiker wies darauf hin, dass die Mittel aus dem 100 Milliarden Euro umfassenden Sondervermögen für die Bundeswehr zur Erreichung des Ziels beitrügen.

    Keine Entkopplung von China

    Bundeskanzler Scholz betonte den Kurs der Ampel-Regierung, sich nicht von China abzukoppeln, aber die Risiken einer starken Abhängigkeit etwa von Rohstoffen zu reduzieren. "Wir wollen kein Decoupling, wir wollen ein Derisking", sagte Scholz. China werde weiter wirtschaftlich wachsen und solle dies auch. Gleichzeitig müsse man sich aber Sicherheitsfragen stellen. Es gehe darum, diese Balance zu wahren. Der Kanzler erwähnte auch die klare Aussage Chinas, dass von Russland in dessen Angriffskrieg gegen die Ukraine keine Atomwaffen eingesetzt werden dürften.

    Entwicklungspolitik an strategischen Zielen ausrichten

    Die Bundesregierung will ihre Entwicklungspolitik in ärmeren Staaten künftig "noch stärker an ihren strategischen Zielen ausrichten". Dabei leiste die Entwicklungspolitik unverzichtbare Beiträge zu einer Politik der integrierten Sicherheit und zur Versorgungssicherheit in Deutschland bei gleichzeitiger Förderung nachhaltiger Entwicklung in den Partnerländern, heißt es in dem Grundsatzpapier. "Dazu wird die Bundesregierung zusammen mit Partnern die Erschließung alternativer, menschenrechtskonformer und nachhaltiger Bezugsquellen für strategische Rohstoffe voranbringen." Dort, wo Regierungen Sicherheit und Rechtsstaatlichkeit untergraben, will die Bundesregierung ihre Zusammenarbeit stärker auf die nichtstaatliche und lokale Ebene ausrichten. Zugleich sei es das Ziel, jene Partnerregierungen zu stärken, die sich für demokratische Prinzipien einsetzen.

    Strack-Zimmermann sieht Verbesserungsbedarf

    Die Vorsitzende des Verteidigungsausschusses, Strack-Zimmermann, sieht Verbesserungsbedarf bei der Nationalen Sicherheitsstrategie. Konkret beklagte die FDP-Politikerin, dass kein Sicherheitsrat vorgesehen ist. Auch bei künftigen Entscheidungen mit hoher Relevanz müsse jemand prüfen, ob sie sicherheitsrelevant seien, sagte Strack-Zimmermann im ZDF. Sie kündigte an, weiter auf die Einrichtung eines solchen Rats zu drängen. Auch die Union fordert ein Gremium, das im Falle einer Krise zwischen Bund, Ländern und Gemeinden sowie Sicherheitsorganisationen die Koordinierung übernimmt.
    Bundeskanzler Scholz (SPD) sagte, man habe nach Abwägungen einen größeren Mehrwert nicht erkannt. Es gebe den Bundessicherheitsrat, der entsprechende Entscheidungen treffe. Strategische Entscheidungen zur Unterstützung der Ukraine in deren Abwehrkampf gegen den russischen Angriff seien ebenfalls getroffen worden. Derweil habe man die Frage, was der Unterschied sei, wenn man ein weiteres Gremium institutionell schaffe, immer weniger wichtig gefunden.

    Ischinger: Grundidee richtig, Umsetzung schwierig

    Ähnlich äußerte sich der frühere Chef der Münchner Sicherheitskonferenz, Ischinger. Er begrüßte die Grundidee einer Nationalen Sicherheitsstrategie. Deutschland sei genau wie seine Partner durch Ereignisse, Systemkonflikte, Systemrivalitäten und Kriege verwundbarer geworden, sagte Ischinger dem Deutschlandfunk. Der entscheidende und der schwierigste Punkt sei nicht die Erarbeitung eines Dokuments, sondern seine Umsetzung, meinte Ischinger. Jedes Unternehmen verfüge heute über einen "Risikomanager". Er schlug vor, den bereits existierenden Bundessicherheitsrat mit mehr Kompetenzen und Personal auszustatten.
    Diese Nachricht wurde am 14.06.2023 im Programm Deutschlandfunk gesendet.