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"Nicht nur moralische Entrüstung"

Für Professor Oskar Niedermayer, politischer Wissenschaftler an der FU Berlin, ist die NPD trotz des Wahlerfolgs nicht die neue Ostpartei. Weil sich die Menschen in den neuen Bundesländern aber allein gelassen fühlten, müssten die demokratischen Parteien stärker aktiv werden - auch in Vereinen und Bürgerinitiativen.

Moderation: Christoph Heinemann |
    Christoph Heinemann: Herr Professor Niedermayer, zum Wesen der Partei: Wie viel NSDAP steckt in der NPD?

    Oskar Niedermayer: Meiner Ansicht nach noch relativ viel, obwohl die NPD natürlich aus offensichtlichen Gründen, zum Beispiel auch um einem möglichen Verbotsverfahren zu entgehen, dies in ihrer Parteiprogrammatik und in Äußerungen ihrer Funktionäre natürlich durchaus bemäntelt.

    Heinemann: Sie haben gesagt: "noch relativ viel". Heißt das: Tendenz abnehmend?

    Niedermayer: Nein, es ist nicht eine abnehmende Tendenz, aber die NPD hat sich natürlich auch weiterentwickelt. Sie ist jetzt mit der NSDAP nun wirklich nicht mehr zu vergleichen. Sie hat eine rechtsextremistische, demokratiefeindliche Ideologie, die aber durchaus etwas Neues ist. Insbesondere verbindet sie jetzt in den letzten Jahren die traditionellen Elemente wie eben Ausländerfeindlichkeit und völkisches Demokratieverständnis, antipluralistisches Demokratieverständnis jetzt viel stärker als früher auch mit einer antikapitalistischen Haltung, mit Reminiszenzen an Antiamerikanismus und deckt daher auch sehr viel stärker dann als früher auch Interessen und Motive in Ostdeutschland ab, wo sie ja jetzt tatsächlich große Erfolge feiert.

    Heinemann: Ist die NPD die neue Ostpartei?

    Niedermayer: Nein, sie ist nun nicht, bei weitem nicht, die neue Ostpartei. Die PDS oder Linkspartei.PDS ist immer noch die Ostpartei. Man darf ja nicht vergessen: Erfolge der NPD bewegen sich zwischen fünf und sieben Prozent. Das ist also noch keine Volkspartei. Das ist auch noch keine ostdeutsche große Regionalpartei. Aber die Tatsache, dass sie in zwei Landtagen jetzt vertreten ist, in den ostdeutschen Bundesländern, ist natürlich schon etwas, was zu denken gibt. Und was auch die demokratischen Parteien zu Reaktionen herausfordern muss.

    Heinemann: Im Osten tritt die NPD ja auf als eine Art "braune Hamas". Das heißt, sie ist über die Verbreitung ihres Gedankenguts hinaus in Vereinen anwesend, leistet vorgebliche Hilfestellungen in Lebensfragen. Müssen die demokratischen Parteien Entsprechendes tun?

    Niedermayer: Das müssen sie auf jeden Fall. Das ganz große Problem ist, dass sich viele Menschen in Ostdeutschland alleingelassen fühlen mit ihren Problemen, gerade von den etablierten Parteien. Das hat früher auch durchaus der PDS geholfen in Ostdeutschland, dass sie sich als eine Partei geriert, die eine "Kümmerer"-Partei ist, im positiven Sinne des Wortes, sich also um das normale Alltagsleben der Leute kümmert. Und da steigt die NPD zunehmend jetzt ein. Sie ist zunehmend aktiv in Bürgerinitiativen, in Vereinen, sie bietet Jugendfreizeit-Gestaltungsmöglichkeiten an. Und das ist etwas, wo sich die anderen Parteien viel stärker darum kümmern müssen noch.

    Heinemann: Herr Niedermayer, in Teilen Vorpommerns gebe es heute einen Mangel an Zivilisation, schreibt heute die "FAZ". Ist der Erfolg der NPD eine Folge davon, dass das klassische Bürgertum dort langsam verschwindet?

    Niedermayer: Ja die Frage ist, ob es dieses klassische Bürgertum in den ostdeutschen Bundesländern in der Ausprägung, wie es von Westdeutschland her bekannt ist, jemals gegeben hat. Das ist die große Frage nach eben 40 Jahren Diktatur in der DDR. Es hat, denke ich, schon stark auch etwas damit zu tun, mit der Vermittlung von bestimmten Werten, die man durchaus auch - zum großen Teil eben - als "bürgerliche Werte" ansehen kann. Und in diese Lücke stößt insbesondere bei der Jugend dann durchaus auch die NPD, die sich in manchen Landstrichen eben durchaus als "normaler" Teil - jetzt in Anführungszeichen - der Jugendkultur schon etabliert hat.

    Heinemann: Herr Niedermayer, stärker als in anderen Ländern ist Familie in Deutschland immer stärker ein Unterschichtenphänomen. Das heißt, die bildungsfernen Schichten, sogenannten, bekommen mehr Kinder als das Bürgertum oder die Mittelschicht. Was bedeutet das für die Zukunft für extremistische Parteien?

    Niedermayer: Das bedeutet, dass ein Potenzial für diese Parteien, das sich zusammensetzt nicht nur aus Leuten niedriger Bildung, sondern eben auch aus Leuten, die zusätzlich noch entweder arbeitslos sind oder von Arbeitslosigkeit bedroht, auch geringe Einkommensschichten, dass sich dieses Potenzial, was wir "Modernisierungsverlierer" nennen in der Wissenschaft, zunehmend entfernt von den etablierten Parteien.

    Dass die SPD, die eigentlich historisch dieses Potenzial immer aufgefangen hat, heutzutage eben nicht mehr die bevorzugte Partei dieses Potenzials ist. Und dass - wie wir bei der letzten Bundestagswahl gesehen haben - dieses Potenzial eben auch stark anfällig ist für populistische Argumentationsweisen. Und angesprochen wurde bei der Bundestagswahl auf der einen Seite von der Linkspartei PDS, eben gerade auch mit Lafontaine und seiner Art, im Wahlkampf aufzutreten, und auf der anderen Seite eben noch viel stärker von der NPD. Und dies bedeutet, dass sich die etablierten Parteien genau um diese Bevölkerungsschicht jetzt in Zukunft sehr viel stärker kümmern müssen, ihnen das Gefühl wieder geben müssen, akzeptiert zu sein, mitgenommen zu werden, damit der NPD hier der Boden entzogen wird.

    Heinemann: Im Fernsehen ist häufig zu beobachten, dass Moderatoren mit Politikern der NPD anders umgehen als mit den Vertretern der demokratischen Parteien. Manch einer gefällt sich darin, seine Ablehnung demonstrativ zur Schau zu tragen. Wie sollten Ihrer Meinung nach Presse, Funk und Fernsehen mit Rechtsradikalen umgehen?

    Niedermayer: Es ist natürlich ganz schwierig für Medienvertreter, mit diesen Leuten so umzugehen wie mit anderen Politikern. Das verstehe ich auch sehr gut, weil es mir genauso schwer fällt. Aber andererseits hat sich jetzt in der Vergangenheit gezeigt, dass weder die Strategie des Totschweigens noch die Strategie der rein moralischen Entrüstung irgendetwas bringt, sondern man muss sich eben auch als Medienvertreter wie auch als Politiker darauf einlassen, diese Leute mit sinnvollen politischen Argumenten anzugreifen und zu entlarven. Man darf es sich insofern auch nicht ganz so einfach machen, nur moralische Entrüstung zu zeigen.