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"Nicht sehr gesund für die Demokratie"

Nach Einschätzung des französischen Politikwissenschaftlers Henri Ménudier hat der Ausgang der Parlamentswahl weitreichende Konsequenzen für sein Heimatland. Frankreich werde nun von den Konservativen klar dominiert, die Opposition sei sehr schwach. "Das ist natürlich nicht sehr gesund für die Demokratie", sagte der Wissenschaftler von der Universität Sorbonne in Paris.

Moderation: Bettina Klein |
    Bettina Klein: Mit einer äußerst komfortablen Mehrheit wird indes der französische Präsident in Zukunft regieren können. Erwartungsgemäß hat seine Partei, die UMP, gut 40 Prozent der Stimmen gestern bei der ersten Runde der Parlamentswahlen bekommen. Das endgültige Ergebnis, die endgültige Mandatsverteilung, all dies steht in Frankreich erst nach der zweiten Runde fest, am kommenden Sonntag also. Doch an der Tendenz wird sich nichts mehr ändern. Was des Präsidenten Freude, ist der Opposition Gram. Sie spricht von einem Tsunami, der durchs Land fege, und manch Beobachter in Frankreich warnt vor einer Allmacht des bürgerlichen Lagers.

    Besteht diese Gefahr und wenn ja, worin genau? Das möchte ich jetzt besprechen mit Professor Henri Ménudier, Politikwissenschaftler an der Sorbonne in Paris. Einen schönen guten Morgen!

    Henri Ménudier: Guten Morgen!

    Klein: Monsieur Ménudier, stimmen solche starken Bilder wie "ein Tsunami hat die Opposition tatsächlich mit Gewalt weggespült"?

    Ménudier: Das stimmt insofern ja, weil: Zum ersten Mal werden wir in Frankreich nur zwei Fraktionen in der Nationalversammlung haben. So etwas haben wir noch nicht erlebt. Wir sind mit einer grundsätzlichen Veränderung der politischen Landschaft konfrontiert, und das wird natürlich Konsequenzen haben für das weitere politische Leben in unserem Land.

    Klein: Worin bestehen nach Ihrer Meinung die wichtigsten Konsequenzen daraus?

    Ménudier: Die wichtigste Konsequenz ist, dass die Zahl der Fraktionen nur auf zwei reduziert wird. Wir werden nur zwei Fraktionen haben: eine übermächtige Regierungsfraktion UMP plus "Neues Zentrum" und daneben wird es eine sozialistische Fraktion mit Hospitanten. Die anderen politischen Gruppen werden keine Fraktion bilden können, weil: In Frankreich braucht eine Gruppe mindestens 20 Abgeordnete, um eine solche Fraktion zu bilden. Das bedeutet also, dass diese kleinen Gruppen, Kommunisten, Grünen, Neue Mitte und so weiter, finanziell gesehen sehr schlecht ausgestattet sein werden. Die Redezeit wird sehr stark reduziert. Das Mitspracherecht in der ganzen Organisation der Arbeit in der Nationalversammlung wird also sehr stark reduziert. Das heißt also, das politische Leben der Nationalversammlung wird stark reduziert werden.

    Klein: Aber eine Opposition bleibt ja bestehen, die Sozialisten nämlich. Das heißt, von einer Entmachtung kann ja eigentlich keine Rede sein?

    Ménudier: Nein, aber zunächst mal muss man verstehen, was passiert ist. Für die Sozialisten ist das ja nicht nur, dass sie verloren haben. Warum? Weil sie die Wahlniederlage zunächst von Frau Ségolène Royal als Kandidatin für das Amt des Präsidenten der Republik noch nicht verkraftet haben. Dann gibt es sehr viele interne Machtkämpfe in der Partei. Die Partei wusste, dass sie diesen Wahlkampf verlieren würde. Deswegen hat sie eigentlich einen defensiven Wahlkampf geführt. Dazu kommt noch die Tatsache, dass einige bekannte Sozialisten den Präsidenten Sarkozy unterstützen wie beispielsweise der jetzige Außenminister Kouchner. Die Lage ist für die Sozialisten also wirklich katastrophal.

    Klein: Schauen wir kurz auf die Wahlbeteiligung. Die war relativ gering mit 61 Prozent, jedenfalls viel geringer als bei den Präsidentschaftswahlen. Vielleicht hat der eine oder andere auch gedacht, das ist im Prinzip schon gelaufen das Rennen. Nun spricht die Sozialistin Ségolène Royal davon, Frankreich sei traurig und deswegen nicht zu den Wahlurnen gegangen. Spricht da vor allem eine Verliererin?

    Ménudier: Ja. Frau Royal möchte eigentlich den Wählern nur Mut machen und sagen, ihr seid jetzt nicht zur Wahl gegangen für die Wahl des Parlaments, aber ihr habt jetzt eine zweite Chance. Aber gerade was Sie erwähnt haben, zeigt ja, wie groß das politische Unbehagen in Frankreich ist, denn die Wahlenthaltung jetzt bei dem ersten Wahlgang der Wahl zur Nationalversammlung beträgt fast 40 Prozent. Das ist ein Rekord in der ganzen Geschichte der fünften Republik, das heißt seit 1958. Vor fünf Jahren war die Wahlenthaltung nur 35,6 Prozent. Ich glaube, wenn so viele Menschen nicht zur Wahl gehen, das bedeutet, dass es irgendwo ein Problem gibt, weil sie wussten, Sarkozy ist als Präsident mit einer starken Mehrheit gewählt worden, und nun gibt es eine Logik in den Institutionen der fünften Republik: Wenn die Parlamentswahlen so nahe an den Wahlen des Präsidenten der Republik zusammenhängen, dann gibt es eigentlich eine Bestätigung.

    Deswegen, für viele Wähler war diese Wahl eigentlich schon vorher gelaufen. Wir haben auch beobachten können, dass in den drei, vier Wochen, wo Sarkozy Präsident ist, dann übernimmt er praktisch die ganze Macht. Er ist also gleichzeitig Präsident der Republik, der Regierungschef und Minister. Dann sagen sich natürlich viele Leute, warum sollten wir überhaupt noch zur Wahl gehen?

    Klein: Das Volk steht ja aber doch wohl mehrheitlich hinter Sarkozy und seiner Partei. Das sagen zumindest Umfragen. 67 Prozent der Franzosen, so heißt es, seien durchaus zufrieden mit seinem Stil, auch mit seinem Führungsstil. Wie passt das zu dem verbreiteten Unbehagen, das Sie jetzt angesprochen haben?

    Ménudier: Das heißt, die Erwartungen sind natürlich enorm. Die Franzosen freuen sich schon, dass er so aktiv ist, dass er allgegenwärtig ist. Aber die Erwartungen sind enorm, besonders im sozialen und wirtschaftlichen Bereich. Jetzt wird es natürlich schon ein großes Problem für Sarkozy geben, ob er überhaupt in der Lage sein wird, diese vielen Erwartungen, diese sehr hohen Erwartungen irgendwie zu erfüllen. Sollte es nicht dazu kommen, dann wird es schon eine Krise geben. Die Franzosen unterstützen das, aber auf der anderen Seite gibt es auch viele Franzosen, die daran denken, es ist nicht gut, dass eine Partei so viel Macht besitzt, dass eine Partei die wichtigsten Funktionen in der Republik so stark beherrscht, das Amt des Präsidenten der Republik, Regierung und Parlament.

    Die sozialistische Opposition hat nur jetzt eine Möglichkeit, um aktiv zu sein. Das ist in der Regionalpolitik, wo mehr Regionen in Frankreich von den Sozialisten regiert werden als von der Rechten. Man kann hier aber keinen Vergleich mit der Bundesrepublik machen. In der Bundesrepublik spielen die Länder eine wichtige Rolle. Bei uns spielen die Regionen politisch gesehen eigentlich eine Nebenrolle. Also Sie sehen: Wir haben heute ein Land, das wirklich von einer Partei total dominiert ist, und wo die Opposition doch sehr schwach sein wird. Das ist natürlich nicht sehr gesund für die Demokratie.

    Klein: Die Einschätzung von Professor Henri Ménudier, Politikwissenschaftler an der Sorbonne in Paris. Danke Ihnen für das Gespräch, Herr Ménudier.

    Ménudier: Auf Wiederhören.