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"Nicht übermäßig pessimistisch sein"

Nach Einschätzung des Wirtschaftswissenschaftlers Michael Hüther wird Deutschland die Verwerfungen auf den internationalen Finanzmärkten verkraften. "Es wird Schleifspuren in der deutschen Konjunktur geben", aber die Wirtschaft werde nicht abgewürgt, sagte Hüther, Direktor des Instituts der Deutschen Wirtschaft in Köln.

Moderation: Dirk Müller | 18.09.2007
    Dirk Müller: Für die Finanzwelt ist es längst ausgemachte Sache. Wenn heute Abend die amerikanische Notenbank Fed über die Zinsen entscheidet, gibt sie grünes Licht für eine Lockerung des Zinssatzes, also für eine Senkung. Neunmal in Folge hatten die Währungshüter den Leitzins unverändert bei 5,25 Prozent belassen als Mittel gegen grassierende Inflationsängste. Jetzt ist alles anders. Jetzt geht es um die Konjunktur, die weiter einbrechen könnte wegen der anhaltenden Hypotheken- und Immobilienkrise in den USA und auch in Großbritannien. Viele fürchten eine große bis riesengroße Delle, aber auch für die wirtschaftliche Entwicklung in Deutschland. So sieht inzwischen selbst Wirtschaftsminister Michael Glos dunkle Wolken am Konjunkturhimmel aufziehen.

    Bei uns am Telefon ist nun Professor Michael Hüther, Direktor des Instituts der Deutschen Wirtschaft in Köln. Guten Morgen!

    Michael Hüther: Schönen guten Morgen!

    Müller: Herr Hüther, kann die amerikanische Notenbank die Fehler der Vergangenheit wettmachen?

    Hüther: Nun, sicherlich nicht mit einer Entscheidung und es ist in den Beiträgen ja deutlich geworden, auch jetzt bewegt sich die amerikanische Notenbank auf einem schmalen Grat. Denn auf der einen Seite schaut sie auf die Konjunkturrisiken, und die sind - das sehe ich auch so - größer geworden. Wir haben über die Immobilienkrise eine mögliche Belastung des privaten Verbrauchs, und wenn der schwächelt, dann haben wir bei den zwei Dritteln, die er Anteil an der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage in den USA hat, ein nachhaltiges Problem.

    Auf der anderen Seite kann es nicht sein, dass eine Notenbank Fehlverhalten im Bereich der Finanzwelt einfach ausgleicht, einfach kompensiert, denn natürlich ist es zu Fehlverhalten gekommen. Hier sind Kredite verbrieft worden, die man schon erst gar nicht hätte vergeben dürfen, geschweige denn hätte verbriefen sollen. Insofern ist es etwas, was auf beide Probleme antworten muss. Bisher hat die amerikanische Notenbank durch die Bereitstellung von Liquidität ja der Nervosität im Interbankenmarkt Rechnung getragen. Das hat ähnlich die Europäische Zentralbank getan, und das war auch richtig. Die Frage ist nur, zu welchem Preis man das tut, und hier sollte man nicht ohne Not große Schritte tun. Dass man 25 Basispunkte senkt, meine ich, ist eingepreist und wenn man die Fed in der Vergangenheit zum Maßstab nimmt, dann wird sie das jetzt auch tun. Aber sie kann nicht ohne Not sozusagen die Preise senken für das Risiko, das die Banken selbst eingegangen sind.

    Müller: Aber nun sagen Kritiker, wenn die Fed das macht, diese Senkung - davon gehen ja fast alle aus -, dann greift sie ein. Dann reguliert sie im Grunde wieder und macht das Geld billiger, so dass das gleiche Problem noch mal entsteht.

    Hüther: Sie hat ja immer wieder die Möglichkeit gegenzusteuern. Insofern ist das ja keine Ewigkeitsentscheidung, die sie heute trifft, sondern eine, die auf den Zeitpunkt bezogen ist. Ähnlich war es im Herbst 1998, als damals vor dem Hintergrund der Hedgefonds-Krise, Long-Term Capital Management, die Fed die Notenbankzinsen senkte, aber dann im Grunde zu lange dieses niedrige Niveau gehalten hat. Das wird ja im Augenblick als Kulisse und als Erinnerung hervorgerufen, dass man dergleichen nicht tun sollte, denn das war damals die Basis für die Blase an den Aktienmärkten. Im Grunde muss es jetzt darum gehen, diese Krise einzudämmen, die Liquiditätsversorgung der Wirtschaft weiter möglich zu machen durch entsprechende Bereitstellung von Notenbankgeld, aber die Zinsen nicht ohne Not weiter zu senken, sondern hier ein Signal der psychologischen Entlastung zu senden. So sehe ich das heute.

    Müller: Psychologische Entlastung sagen Sie. Was heißt das in der Praxis? Wenn die Fed die Zinsen senkt, macht das tatsächlich etwas aus in der Praxis?

    Hüther: Wir wissen ja, dass in den USA die Notenbankzinsen sehr viel schneller durchwirken auf die Zinsen, die von den Kunden eingefordert werden. Das hat vor allen Dingen auch im Immobilienmarkt eine höhere Bedeutung, denn die Krise, über die wir reden, ist ja nicht eine Krise des kompletten Immobilienmarktes und der kompletten Hypothekenfinanzierung, sondern derjenigen bei den schlechten Risiken im Subprime-Segment und dort, wo halt flexibel finanziert wurde, wo also fort die Marktkonditionen durchwirken. In dem Sinne kann natürlich ein Notenbankzins, wenn er gesenkt wird, auch durchwirken und hier Entlastung in den Budgets der privaten Haushalte auslösen, die diese Kredite haben. Andererseits muss man auch sagen: Wer hier Kredite aufgenommen hat, ohne die Risiken richtig zu sehen, der muss es auch spüren. Also auch hier darf die Notenbank nicht ohne Not einfach Risiken aus der Welt nehmen. Das wäre eine Illusion, und sie würde genau das tun, was Sie ansprachen, nämlich mittelfristig Probleme aufbauen. Aber sie kann jetzt in einem Schritt, in dem viele das Problem größer sehen als es tatsächlich ist, denn wir haben einmal die Krise im Hypothekenmarkt und wir haben zum anderen die Vertrauenskrise im Interbankenmarkt, also in dem Markt zwischen den Banken, wo die sich gegenseitig Geld leihen. Diese zweite Ebene, die muss im Grunde beruhigt werden.

    Müller: Herr Hüther, reden wir über die Situation in Europa und in Deutschland. Wie groß ist die Gefahr, dass Deutschland von diesem ganzen Sog nach unten erfasst wird?

    Hüther: Zunächst ist Deutschland relativ gut aufgestellt aus zwei Gründen. Zum einen ist die deutsche Wirtschaft in den letzten zwei Jahren kräftig expandiert. Das hat vor allen Dingen mit gewonnener Wettbewerbsfähigkeit zu tun. Das heißt, wir holen von den Weltmärkten Einkommen nach Deutschland. Das hat hier Beschäftigung entstehen lassen in beachtlicher Weise. Wir haben Engpässe am Arbeitsmarkt, und darüber sollte der Prozess auch längerfristig halten. Das heißt, wir sind angesichts unserer hohen Wettbewerbsfähigkeit nicht belastet.

    Das zweite ist, dass die Finanzmarktstabilitätstests, die die Bundesbank, die die Europäische Zentralbank in den letzten Jahren durchgeführt hat, alle eindeutig bewiesen haben, dass das deutsche Finanzsystem krisenresistent ist, natürlich wenn die Balken vom Himmel fallen, ist es immer etwas anderes, aber unter den wahrscheinlichen Risiken, die man beschreiben kann. Deswegen muss man hier nicht übermäßig pessimistisch sein. Es wird Schleifspuren in der deutschen Konjunktur geben, aber es wird nicht für sich genommen die deutsche Wirtschaft abwürgen.

    Müller: Nun sagen, Herr Hüther, die Skeptiker, es gibt einen starken Euro, so stark wie noch nie. Es gibt einen schwachen Dollar, so schwach wie lange nicht mehr. Das hängt ja miteinander zusammen. Es gibt Ölpreisrekord-Niveau. Das alles ist schlecht für die deutsche Konjunktur.

    Hüther: Das ist durchaus richtig, aber auch hier gilt: die deutschen Unternehmen können das sehr viel besser abfedern als viele andere Unternehmen in Europa in anderen Ländern. Das hat zu tun mit den Restrukturierungen der vergangenen Jahre. Unsere Wettbewerbsfähigkeit ist keine, die primär über den Preis geht, sondern eine Wettbewerbsfähigkeit über das spezifische Kundenversprechen und die Qualitätszusage. Insofern können wir mit den Wechselkursen ganz gut umgehen. Ich sehe das auch eher unter dem Gesichtspunkt der Schwankungsintensität des Wechselkurses denn des Niveaus. Wir bewegen uns zwischen 1,35 und 1,40. Das ist eigentlich nicht das Problem.

    Beim Ölpreis gilt: Natürlich ist er mit 80 Dollar auf einem historischen Höchststand, aber unsere Sortimentsstruktur in unseren Produkten macht uns gerade wiederum anteilig positiv betroffen von der Situation in den erdölexportierenden Ländern. Die brauchen insbesondere unsere Maschinen und unsere Ausrüstungsgegenstände. Insofern ist es ja ein nachfragegetriebener Effekt auf dem Ölmarkt, der über ein gewisses Recycling des Öl-Dollars, wie wir das früher genannt haben, in der Tat Deutschland zugute kommt. Also wir haben hier abfedernde Mechanismen, aber richtig ist: Man muss das sehr genau im Auge haben. Hier wachsen die Bäume nicht in den Himmel. Wer gedacht hat, die deutsche Volkswirtschaft könne sozusagen im Selbstlauf mit über 2,5 Prozent wachsen, der muss das jetzt zurücknehmen.

    Müller: Professor Michael Hüther, Direktor des Instituts der Deutschen Wirtschaft in Köln. Vielen Dank für das Gespräch und auf Wiederhören.

    Hüther: Sehr gerne.