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"Nichtstun ist keine Option"

Der CDU-Gesundheitspolitiker Jens Spahn mahnt bei der Gesundheitsreform zur Eile. Er fordert eine vernünftige Finanzierungsperspektive bis zur Sommerpause. Neben Einsparungen müsse auch die Einnahmenseite über höhere Zusatzbeiträge verbessert werden.

Jens Spahn im Gespräch mit Stefan Heinlein | 19.06.2010
    Stefan Heinlein: Für die CDU sitzt mit am Verhandlungstisch in Berlin der gesundheitspolitische Sprecher der Bundestagsfraktion Jens Spahn. Ihn habe ich gestern Abend in einer Verhandlungspause gefragt, wie die Stimmung bei den Beratungen ist?

    Jens Spahn: Die Stimmung ist gut, wir arbeiten sehr konstruktiv, wir arbeiten in der Sache und haben uns auch vorgenommen, das jetzt als ein Zwischenschritt zu einer Gesamtlösung mit einem vernünftigen Ende zu versehen.

    Heinlein: Also niemand redet mehr von Wildsau oder Gurkentruppe?

    Spahn: Das Einzige, was es gibt, ist Gurkensalat, der schmeckt auch gut, aber ansonsten ist das wirklich eine sehr sachliche, auch sehr konstruktive Zusammenarbeit. Alle drei Koalitionsparteien haben ein Interesse am Kompromiss.

    Heinlein: Ist es schon ein Erfolg, dass man jetzt wieder miteinander und nicht mehr übereinander redet?

    Spahn:
    Das ist natürlich ein Schritt nach vorne, dass wir jetzt von der öffentlichen Auseinandersetzung mit nicht immer ganz glücklicher Wortwahl zurückgekehrt sind an den Verhandlungstisch, dass wir in der Sache, wie ich finde, auch mit sehr guten Vorschlägen - etwa was die Einsparungen angeht - bis jetzt miteinander reden und dass auch alle zeigen, dass sie gewillt sind, die Herausforderung anzunehmen, nämlich das größte Defizit der gesetzlichen Krankenversicherung von zehn Milliarden im nächsten Jahr.

    Heinlein: Eine gute und eine sachliche Diskussion, sagen Sie. Hat sich denn die FDP schon damit abgefunden, dass die CSU die Kopfpauschale für erledigt erklärt hat?

    Spahn: Also am Ende glaube ich gehen alle drei Koalitionsparteien auch mit der nötigen Offenheit in dieses Gespräch hinein und keiner möchte am Ende auch ein Ergebnis vorwegnehmen, sondern das müssen wir gemeinsam erarbeiten. Und dann hat es auch die nötige Akzeptanz bei allen. Klar ist, wenn die Beitragssätze stabil bleiben sollen, wenn der Bundeszuschuss, also der Steuerzuschuss nicht steigen kann angesichts der Situation des Bundeshaushaltes, dann geht es fast nur um eine Weiterentwicklung der Zusatzbeiträge. Und wie man die auch sozial ausgewogen gestalten kann, darüber wollen wir reden. Aber wie gesagt: erstmal in einem Zwischenschritt.

    Heinlein: Das heißt also, mit Sparen allein wird dieses Milliardenloch im kommenden Jahr nicht zu stopfen sein, es wird eine Kopfprämie geben?

    Spahn:
    Mit Sparen alleine werden Sie das Defizit von zehn Milliarden Euro nicht beseitigen können. Wir wollen bei den Zuwächsen, darum geht es im nächsten Jahr, etwa vier Milliarden Euro einsparen über alle Bereiche – Krankenhäuser, Ärzte, Zahnärzte, aber auch die Verwaltungskosten der Krankenkassen. Und die Lücke, die dann noch bleibt, wird natürlich dann auch eine zusätzliche Belastung bringen. Jetzt streiten wir darüber, wie wir die am vernünftigsten so gestalten, dass sie insbesondere Geringverdiener nicht zusätzlich trifft.

    Heinlein: Wie könnte denn eine solche vernünftige Lösung aussehen, um zusätzlich sechs Milliarden Euro, wenn ich richtig gerechnet habe, hineinzubekommen in das System?

    Spahn: Wer konstruktive Beratung will, darf das Ergebnis nicht vorwegnehmen. Insofern seien Sie mir nicht böse, wenn ich jetzt natürlich hier keine konkreten Vorstellungen entfalte. Aber ich bin sicher, wenn alle wissen, wenn wir bis zur Sommerpause keine Lösung haben, droht dem System ein Stück weit auch der Kollaps, weil die Krankenkassen keine Möglichkeiten haben, ihr Defizit für sich selbst noch zu decken. Alle wissen also, wir brauchen eine Lösung, und das sorgt auch für den nötigen Einigungsdruck.

    Heinlein: Sie haben im Vorfeld der Klausur Sparvorschläge gemacht, in der Tat. Wie viel lässt sich denn dadurch einsparen? Vier Milliarden?

    Spahn:
    Wir haben gestern im Deutschen Bundestag beschlossen ein Pharmasparpaket, das bringt bis zu eineinhalb Milliarden Euro, das ist also schon Gesetz sozusagen. Wir beraten über Einsparungen in den Zuwächsen bei Krankenhäusern, Ärzten und anderen Bereichen von bis zu zwei Milliarden – da sind wir schon bei dreieinhalb Milliarden – und dann werden wir noch schauen, wo es weitere Bereiche gibt, wo wir zusätzlich sparen beziehungsweise Zuwächse begrenzen können. Aber ich finde, wir kommen hier sehr, sehr gut, sehr, sehr konstruktiv in diesen Fragen voraus.

    Heinlein: Wie groß ist denn die Begeisterung bei Ihren Kollegen von der CSU und von der FDP über Ihre Sparvorschläge? Die CSU hat ja im Vorfeld bereits gesagt, sie will am Hausarztmodell festhalten. – Sie wollen es abschaffen?

    Spahn: Nein, über das Hausarztmodell ist in unseren Vorschlägen von der CDU-Seite gar nicht die Rede. Wir haben auf Basis dieses Modells verhandelt, auch Vorschläge der anderen beiden Parteien sind eingeflossen, wie das eben bei Kompromissen sein soll. Am Ende bringt jeder von sich aus Blickwinkel ein, aber am Ende wollen wir auch das Ergebnis zusammentragen. Und solange ist nichts beschlossen, bevor nicht alles beschlossen ist sozusagen. Es ist ein fließender Prozess. Aber ich lege noch mal großen Wert darauf, es läuft sehr konstruktiv unter Beteiligung aller drei Parteien.

    Heinlein: Können Sie uns denn zumindest verraten, ob es nur um das Sparen geht im kommenden Jahr oder auch Sie auf dieser Klausur über die grundsätzlichen Reformen reden? Oder werden diese erst mal auf die lange Bank geschoben?

    Spahn:
    Nein, wir werden auch über die verschiedenen Optionen über Möglichkeiten in der Finanzierungsreform natürlich reden. Wir werden hier sicherlich nicht abschließen können, weil natürlich auch die Partei- und Fraktionsvorsitzenden am Ende bei so einer wichtigen politischen Frage einzubinden sind; aber natürlich wollen wir in der Sache auch schauen, was kann gehen, was kann nicht gehen. Aber das jetzt erst mal intern und nicht, wie in den vergangenen Wochen, öffentlich.

    Heinlein: Braucht es ein Machtwort der Kanzlerin, um im Streit dann letztendlich eine Lösung herbeizuführen – Kopfpauschale, ja oder nein?

    Spahn: Es braucht den erklärten Willen aller drei Koalitionsparteien, einen guten Kompromiss zu finden. Und ich stelle fest, den gibt es.

    Heinlein: Halten Sie denn persönlich eine Kopfpauschale oder eine Gesundheitsprämie - das ist ja unterschiedlich in der Aussprache - für sozial gerecht: 30 Euro oder mehr für jeden, egal ob Manager oder Arbeiter?

    Spahn:
    Na ja um 30 Euro geht es ja so oder so nicht, da darf man jetzt auch nicht jeder Überschrift in der Zeitung Glauben schenken. Am Ende steht im Koalitionsvertrag, wir wollen den Einstieg in eine lohnunabhängige Finanzierung, damit nicht nur die 28 Millionen abhängig Beschäftigten in diesem Land mit ihren Arbeitgebern die gesetzliche Krankenversicherung finanzieren, und wie dieser Einstieg ausschauen, darüber reden wir eben. Wie gesagt, ich will da keine Ergebnisse vorwegnehmen.

    Heinlein: 30 Euro, das war nicht eine Überschrift in der Zeitung, sondern ein Vorschlag von Minister Rösler, wenn ich es richtig im Gedächtnis habe. Was geschieht denn, wenn der Minister, der FDP-Minister abermals mit seinen Vorschlägen nun vor die Wand fährt?

    Spahn: Es ist für die Koalition insgesamt wichtig und auch für die drei Koalitionsparteien, dass da am Ende jetzt ein vernünftiger Kompromiss steht. Die Menschen haben zu Recht die Erwartung, dass die von ihnen gewählte Regierung in den entscheidenden Sachfragen, in den politischen Fragen auch Lösungen präsentiert. Und deswegen wollen wir das bis zur Sommerpause tun. Das ist eine Teamarbeit hier.

    Heinlein: Wie wichtig ist denn das Thema Gesundheit für den Fortbestand der Koalition? Im Vorfeld hieß es ja durchaus, es wäre ein Schicksalstag, eine Schicksalsfrage für die Koalition.

    Spahn:
    Die Gesundheitspolitik ist seit Jahren im Übrigen, das war auch schon in der Großen Koalition so, eines der zentralen Politikfelder, auch eines der zentralen Streitfelder in nahezu jeder Konstellation, zum Teil auch innerhalb der Parteien, weil es eben im Grunde 80 Millionen Menschen direkt betrifft und vier bis fünf Millionen Beschäftigte, und es auch ein Thema mit viel Emotionen ist. Insofern ist es natürlich für diese Koalition wie auch für die Vorgängerkoalition ein sehr, sehr wichtiges Thema, weil es ein zentrales Politikfeld ist. Und das wollen wir auch lösen und da wollen wir auch zeigen, dass wir handlungsfähig sind.

    Heinlein: Sie wollen zeigen, dass Sie handlungsfähig sind. Ist das auch notwendig, ist der Verhandlungsdruck besonders hoch, weil jetzt die ersten Krankenkassen bereits vor der Pleite stehen?

    Spahn: Der Handlungsdruck ist sehr groß mit Blick auf das nächste Jahr, Nichtstun ist ja auch keine Option: Wir haben ein Defizit von bis zu zehn Milliarden Euro, die Kassen sind nach bestehender Rechtslage nicht in der Lage, das nötige Geld, das sie brauchen, zu generieren. Und damit die drei Betriebskrankenkassen, die derzeit im Gespräch sind, sich nicht sozusagen zu einem Flächenbrand entwickeln, braucht es jetzt auch eine vernünftige Finanzierungsperspektive für die Krankenkassen bis zur Sommerpause.

    Heinlein: Rechnen Sie also tatsächlich mit einer Einigung noch vor der Sommerpause?

    Spahn:
    Da wir diese Einigung dringend brauchen, Nichtstun keine Option ist, rechne ich mit einer Einigung und gerade die konstruktive Verhandlung der letzten Stunden machen mich doch optimistisch.

    Heinlein: Zur Gesundheitsklausur der Koalition war das der gesundheitspolitische Sprecher der CDU-Bundestagsfraktion Jens Spahn. Wir haben das Gespräch vor dieser Sendung aufgezeichnet und inzwischen ist klar: Die Klausur wird heute nicht fortgesetzt, jetzt beraten die Fraktionen. Erst Mitte kommender Woche soll es dann weitergehen.