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Nickels warnt vor Verletzungen der Menschenwürde

Liminski: Die Briten geben das therapeutische Klonen frei, man ist versucht, den Alleingang oder das Vorpreschen Londons in die Worte des deutschen Romantikers Novalis zu kleiden, der über die Briten sagte: "Jeder Engländer ist für sich selbst eine Insel." Aber die pragmatisch neoliberale Haltung der Insulaner ist immerhin konsequent. Schon 2001 erging das Gesetz dazu, die Lizenz an die Universität von Newcastle ist nun die logische Folge. Ist sie auch ein Dammbruch? Was bedeutet das für das Klonen weltweit? Folgt nun ein Run der Forscher auf embryonale Stammzellen? Darüber wollen wir nun sprechen mit Christa Nickels, Vorsitzende des Ausschusses für Menschenrechte im Bundestag und Obfrau für die Grünen in der Enquetekommission "Ethik und Recht in der modernen Medizin". Guten Morgen, Frau Nickels.

Moderation: Jürgen Liminski |
    Nickels: Guten Morgen.

    Liminski: Frau Nickels, droht jetzt ein "rush and run" der Forscher auf menschliches Klonen, sozusagen ein Klondike?

    Nickels: Es ist ja so, wie Sie schon richtig sagten, die Briten haben schon 2001 den Rubikon weit überschritten. Aber wir haben hier doch eine sehr, sehr starke Allianz europäischer Staaten dagegen gehabt, die wirklich auch die Unteilbarkeit der Menschenwürde von Anfang an für alle Formen menschlichen Lebens verteidigt haben, bis dazu, dass wir ja im letzten Jahr bei den Verhandlungen für eine internationale Klonverbotskonvention, wenn Deutschland sich nicht in die Büsche geschlagen hätte mit einer Enthaltung, eine knappe Mehrheit für eine Mandatserteilung, für eine ganz klare Verbotskonvention hinzukriegen. Das stand bisher so und leider muss man sagen, ist das ein Menetekel, was wir jetzt erleben aus Großbritannien. Man muss wissen, dass in Wien, in Österreich über ein Fortpflanzungsmedizingesetz beraten wird, wo ein Entwurf von Februar das Verbot des therapeutischen Klonens und auch das Verbot der Prä-Implantations-Diagnostik aufzugeben scheint. Es ist so, dass auch im französischen Parlament ein Bioethikgesetz durchgegangen ist, wo es hier jetzt erstmal für fünf Jahre gestattet worden ist, Embryonen, so genannte überzähligen Embryonen im Rahmen der künstlichen Befruchtung für die Forschung zur Verfügung gestellt werden können, wobei hier das Klonen nicht freigegeben worden ist. So muss man auch sagen, das sind auch ganz gewichtige Verschiebungen im Vorfeld der neuen Verhandlungen auf der Ebene der Vereinten Nationen, die ja im Oktober wieder anfangen, wo sich hier wirklich auch global die Gewichte so verschieben, dass man sagen muss, die Verteidiger der Menschenwürdekonzeption und eben auch der sozialen Balance, die da eben auch wichtig ist, die drohen jetzt wirklich mit dem Rücken an die Wand geschoben zu werden.

    Liminski: Frau Nickels, was bedeutet das denn nun für diese UN-Konvention, die im Raume steht und die im Oktober wieder auf der Agenda steht? Der Alleingang der Briten zeigt ja, dass es keine einheitliche europäische Position gibt, Sie haben ja auch einige Staaten eben genannt. London hat nun vollendete Tatsachen geschaffen. Ist es noch sinnvoll, weiter lange zu diskutieren, stattdessen nicht lieber mit denen eine Konvention zu verabschieden, die gegen das Klonen sind?

    Nickels: Es ist ja so, dass wir versuchen müssen, die Staaten, die bisher auf internationaler Ebene für ein striktes Verbot jeglichen Klonens eingetreten sind, auch da wirklich bei dieser Position zu halten. Für mich ist auch diese Aufweichungstendenz erst recht kein Grund, jetzt mit den Wölfen zu heulen. Dazu geht es um zu viel Grundsätzliches, um unsere Art zu leben, miteinander umzugehen, Schwache auch in die Mitte zu stellen und nicht an den Rand zu drücken, was ja letzten Endes für alle eine gute Lebensqualität ist. Das heißt, dass wir uns jetzt wirklich sehr, sehr anstrengen müssen, damit wir deutlich machen, was hier passiert. Wir sind hier in Deutschland, für mich heißt das auch, dass wir als Parlamentarier, ich setze hier auch auf die sehr, sehr vielen Verbände, auf die Mobilität der Öffentlichkeit, dass wir auch noch mal richtig Rückenwind erzeugen müssen und unserer eigenen Regierung Beine machen müssen, dass die hier im Sinne der deutschen Rechtslage und der deutschen Parlamentsmehrheit sich auch einlässt auf der Ebene der Vereinten Nationen.

    Liminski: Der Präsident der Bundesärztekammer verlangt, so wie Sie und die meisten Mitglieder in der Enquetekommission, international verbindliche Abkommen. Wie realistisch ist das noch? Großbritannien, Belgien, China, Singapur, Südkorea wären dagegen, um nur einige zu nennen.

    Nickels: Es ist ja so, dass wir hier keine Einigkeit haben in der Staatengemeinschaft. Dann zu verlangen, wir müssen hier eine konsensuale Beschlussfassung haben, ist lächerlich. Wenn man wirklich alle unter einen Hut kriegen, die ganz verschiedene Auffassung in diesen grundsätzlichen Fragen haben, dann kann da nur eine Wischiwaschi-Resolution dabei herauskommen, die überhaupt nichts hilft und eher zur Verunklarung beiträgt unter deren Segel man dann alles verwischen kann. Hier muss man klar und deutlich sein und hier muss man gucken, dass man hier noch mal die Argumente schärft, dass man hier Legendenbildung auch wirklich beseitigt. Man kriegt ja hier auch immer wieder gesagt, dass sind Fundamentalisten, die hier diese Konzeption verteidigen. Das muss alles ausgeräumt und klargestellt werden, hier ist Klarheit geboten. Die Erfahrung zeigt ja auch, dass die Debatte, die ja in Deutschland sehr, sehr intensiv seit über zwanzig Jahren geführt wird, in vielen Staaten der Welt erst anfängt. Da muss man natürlich auch sehr intensiv daran arbeiten, dass das weitergeht, aber nicht, indem man vorher so eine Konvention light oder eine Resolution verabschiedet, die dann letzten Endes diejenigen fragen lässt, die bisher noch gar nicht diskutieren, was wollt ihr denn eigentlich?

    Liminski: Klarheit ist geboten, sagen Sie. Wie soll sich denn da die Bundesregierung verhalten? Soll man unverbindlich weiterdiskutieren, Erklärungen verabschieden, wie die Belgier das offensichtlich wünschen oder den Tatsachen der Briten andere, rechtliche Tatsachen entgegenstellen?

    Nickels: Wir haben andere rechtliche Tatsachen in Deutschland und die sind nicht einfach verordnet worden, sondern die sind in Sternstunden des Parlaments, wie man immer wieder sagt, erarbeitet worden. Es gibt einen Bundestagsbeschluss, der mit über 70-prozentiger Mehrheit im letzten Jahr noch mal gefasst worden ist, der die Bundesregierung auffordert, hier auf der Ebene der Vereinten Nationen klar Flagge zu zeigen. Das erwarte ich auch für die Verhandlungen, die im Oktober wieder losgehen!

    Liminski: Muss denn nicht auch eine breite Debatte in der Öffentlichkeit geführt werden? Nicht nur in der Koalition sondern in allen Parteien und in der Öffentlichkeit.

    Nickels: Es ist ja so, ich sagte schon, es ist im Bundestag mit breiter Mehrheit, die einzigen, die da jetzt wirklich aus der Reihe tanzen, ist die FDP, aber ansonsten haben sie breit durch die Fraktionen einen absoluten Konsens für diese deutsche Rechtslage. Ich bin ja nun in der fünften Legislaturperiode im Bundestag, das ist ein sehr kompliziertes Gebiet, aber ich habe Hunderte von Veranstaltungen seit den 80er Jahren bis heute mitgemacht, wo wirklich auch gerade die Verbände, die Behindertenverbände, die kirchlichen Verbände, die Bürgerrechtsverbände, die Frauenverbände intensiv, auch die Frauenbewegung, Veranstaltungen zu diesem komplizierten Thema machen, die gut besucht sind, die mit großem Ernst vorangetrieben werden. Die Öffentlichkeit ist das sehr, sehr erpicht drauf, auch Argumente deutlich gemacht zu bekommen. Wir kranken nicht an einer guten Debatte in der Öffentlichkeit oder im Parlament, wir haben ja auch eine Konsensbildung. Sondern wir kranken daran, dass immer wieder Apologeten so genannte Standortvorteile, die dann bei Licht gesehen auch keine sind, wir haben hier ja einen sehr guten Stand für die Genforschung hier in Deutschland, wir haben ja keine Standortnachteil, dass die immer wieder versuchen, mit wirklich Protegierung von wichtigen Politikern in den großen Parteien vor allen Dingen, diese Lage lächerlich zu machen, diese Rechtslage und anzuknacken.

    Liminski: Die Spitze der SPD und vielleicht auch Ihrer Partei, aber auch der Unionsspitze zeigen sich doch ziemlich verhalten in dieser Frage. Was erwarten Sie in dieser fundamentalen Frage von den Parteispitzen?

    Nickels: Das kann ich so nicht bestätigen. Wir haben ja auf dem Parteitag in Dresden noch mal einen, mit überwältigender Mehrheit gefassten Parteibeschluss, der hier noch mal die Bundesregierung glasklar auffordert, die deutsche Rechtslage zu verteidigen, auch im Sinne der Menschenwürde und der Verteidigung auch des Respekts vor jeglicher Form menschlichen Lebens, weil hier ein Aufweichen auch ohne weiteres übertragen werden kann und auch eine Rolle spielen kann im Zusammenleben. Das ist eine ganz eindeutige Beschlussfassung und ich kenne keine von uns, von den maßgeblichen Leuten, der hier öffentlich die andere Meinung vertritt. Allerdings macht mir sehr große Sorgen, dass gerade auch die CDU/CSU, gerade auch die Vorsitzende Frau Merkel, sich hierzu überhaupt nicht äußert, beziehungsweise in meinen Augen hier auch eine strategische Allianz mit Herrn Westerwelle einzugehen scheint und ihm hier das Feld überlässt, wohlwissend, dass, wenn sie hier selber ganz klar für die Aufweichung der deutschen Rechtsstandards eintreten würde, sie ihre eigene Partei spalten würde.

    Liminski: Noch einmal zur Sache selbst, Frau Nickels. London argumentiert, es gehe nur um therapeutisches Klonen. Wo ist denn überhaupt die Grenze, wo wird der Rubikon zum Unmenschlichen überschritten?

    Nickels: Hier muss man ganz klar sagen, die Technik des Klonens ist annähernd identisch, es werden hier Embryonen hergestellt. Auch wenn die Art der Erzeugung verschieden ist, es ist aber menschliches Leben in frühester Form in jedem Fall da, dass dann nur hergestellt wird, um dann abgetötet und vernutzt zu werden. Das ist nicht vereinbar mit unserer Vorstellung von Menschenwürde. Sie müssen auch ganz klar wissen, dass hier auch massenhaft Embryonen gebraucht werden, überzählige oder aber, da gibt es ja auch Rufe der Wissenschaft, frische, aus frischen Eizellen. Dazu braucht man Eizellenlieferantinnen in großem Maßstab. Hier ist der Rubikon in jeder Weise überschritten, das kann man nicht teilen. Was mich besonders erbost, ich bin 13 Jahre Fachkrankenschwester für Innere Medizin gewesen, hier wird ja auch immer wieder gesagt, gerade Diabetiker würden dadurch Vorteile haben, es gibt große Risiken bei therapeutischen Versuchen mit embryonalen Stammzellen, wir hatten dazu in der Enquetekommission im letzten Jahr noch eine Anhörung. Was wir brauchen, wir sind in Deutschland immer noch ein Land, wo sehr viele Diabetiker Amputationen erleiden, weil die Gefäßkrankheiten an den Füßen nicht ordentlich geleistet werden, weil es immer noch nicht eine flächendeckende, gute, leitliniengestützte, diabetische Versorgung gibt für Diabetiker. Wir haben immer noch keine vernünftige Prävention durch gute Ernährung. Es gibt keine flächendeckende gute Ernährung für Schulkinder und für Kindergartenkinder. Da beugt man wirklich der Volkskrankheit Diabetes vor, dafür wird das Geld nicht ausgegeben, das wäre vergleichsweise lächerlich, was da an Summen gebraucht würde. Und hier, weil hier wirklich vermeintliche Standortvorteile erdacht werden, werden Millionen eingesetzt im Namen der Gesundheit derjenigen, die heute nicht adäquat versorgt werden. Das erbost mich am meisten.

    Liminski: Gibt es denn Alternativen zur embryonalen Stammzellforschung? Sie haben eben nur von der Prävention gesprochen.

    Nickels: Es ist ja so, dass wir in vielen Bereichen der medizinischen Forschung immer weiter voranschreiten. Mukuviszidose zum Beispiel, ein Bereich, wo man sagt, da muss man durch die Prä-Implantations-Diagnostik dafür sorgen, dass solche Menschen gar nicht mehr geboren werden, hat durch einen normalen Fortschritt, medizintechnischen Fortschritt, medizinischen Fortschritt erreicht, dass diese Menschen doch gut behandelbar sind, dass sie mittlerweile auch weit über sechzig Jahre alt werden können. Die Medizin macht Fortschritte auch in der normalen therapeutischen Forschung, wir haben die adulte Stammzellenforschung, die auch auf einem guten Weg ist. Die embryonale Stammzellenforschung ist noch in allen Bereichen im Stadium der Grundlagenforschung und hier haben wir ja mit dem Stammzellengesetz ermöglicht, dass durch embryonale Stammzellenlinien, die vor einem Stichtag schon bestanden, also ohne dass wir eine Anreiz schaffen, neue Embryonen zu töten, dass hier auch für die Grundlagenforschung in Deutschland die Möglichkeit besteht. Das sind gute Voraussetzungen, die wirklich auch für die Forschung Rahmenbedingungen schaffen, die ethisch einwandfrei sind und wir stehen in Deutschland gut da im internationalen Vergleich.

    Liminski: Die Briten wollen klonen, die Menschenwürde steht auf dem Prüfstand. Das war Christa Nickels, Vorsitzende im Ausschuss für Menschenrechte und Obfrau für die Grünen in der Enquetekommission "Ethik und Recht in der modernen Medizin". Besten Dank für das Gespräch, Frau Nickels.

    Nickels: Wiederhören.