Dienstag, 16. April 2024

Archiv

Nickolas Butler: "Ein wenig Glaube"
Satan in Amerikas Heartland

Nickolas Butler hat auch seinen neuen Roman wieder in der US-amerikanischen Provinz angesiedelt. Eine Familiengeschichte, die von religiöser Radikalisierung erzählt und der Ohnmacht, mit der man ihr begegnet. Diesem Anspruch wird Butler allerdings nur zum Teil gerecht.

Von Christoph Schröder | 06.08.2020
Der Schriftsteller Nickolas Butler und sein Roman „Ein wenig Glaube“
Der Schriftsteller Nickolas Butler und sein Roman "Ein wenig Glaube" (Buchcover Klett-Cotta, Autorenportrait Olive Juice Studios)
Lyle Hovde hat den Glauben an Gott verloren, seit sein Sohn im Alter von neun Monaten gestorben ist. Das liegt bereits Jahrzehnte zurück, und doch ist dieses Ereignis ein Bruch im Leben von Lyle und seiner Ehefrau Peg. Einige Jahre nach dem Tod des Kindes und mehrere Fehlgeburten später haben Lyle und Peg sich entschlossen, ein Kind zu adoptieren. Über Umwege erfuhren die beiden seinerzeit von einem jungen Mädchen, das ein Kind auf einer Toilette geboren hat. Lyle und Peg adoptierten den Säugling und gaben ihm den Namen Shiloh. Ein Entschluss, der ihre Ehe rettete.
In der ersten Szene von Nickolas Butlers Roman schrubben der mittlerweile 65 Jahre alte Lyle und sein fünfjähriger Enkel Isaac, der Sohn von Shiloh, gemeinsam einen Grabstein mit Stahlwolle und Spülmittel. Ein generationenübergreifendes Ritual. Darüber hinaus auch ein plakativer und wenig subtiler Einstieg.
Enttäuschte Liebeshoffnungen
"Ein wenig Glaube", das bemerkt man relativ schnell, verhandelt so aktuelle wie spannende Themen, scheitert allerdings an der sprachlichen und gedanklichen Schlichtheit der Figuren und der vorhersehbaren Handlungsführung. Enervierend ist auch Butlers Hang zu Lebensweisheiten aus dem Poesiealbum:
"An dem Grad der Güte eines Menschen lässt sich bekanntlich besonders gut bemessen, wie leicht er oder sie in der Lage ist, sich mit anderen Menschen anzufreunden oder sie vielleicht sogar zu lieben."
Butlers Roman erzählt von enttäuschten Lebenshoffnungen, von Erwartungen, die von einer Generation an die nachfolgende Generation herangetragen werden. Vor allem aber von einer religiösen Radikalisierung. Das Verhältnis zwischen Lyle und Peg und ihrer Adoptivtochter Shiloh war trotz des liebevollen Umfeldes, in dem das Kind aufwuchs, stets schwierig. Isaac, Shilohs Sohn, ist ein uneheliches Kind. Wer der Vater ist, hat Shiloh nie verraten. Doch eines Tages steht sie gemeinsam mit Isaac vor der Tür des Hauses in Wisconsin, in dem Lyle und Peg auf ihren Lebensabend zusteuern.
In den Fängen einer obskuren Religionsgemeinschaft
Alles könnte doch noch gut werden in diesem vertrackten Familiengefüge, so glaubt Lyle. Ein Irrtum, wie sich zeigen wird. Denn während Isaac regelmäßig Schwächeanfälle erleidet, stellt sich heraus, dass Shiloh sich einer obskuren religiösen Gemeinschaft angeschlossen hat.
Die Entfremdung zwischen Shiloh und ihren Eltern wächst. Lyle und Peg kämpfen darum, den Zugriff auf ihren Enkel Isaac nicht zu verlieren, der von der Religionsgemeinschaft zu einer Art Wunderheiler stilisiert wird, gleichzeitig aber immer stärkere Symptome einer Erkrankung zeigt. Ärztliche Behandlung lehnt die Gemeinde um ihren charismatisch-smarten Chefprediger Steven kategorisch ab. Nur das Gebet wird als Therapie akzeptiert.
Schließlich gipfelt der Streit, den Lyle und Peg auf der einen und Shiloh auf der anderen Seite um den Umgang mit Isaac austragen, in einem Wutausbruch der religiös indoktrinierten Shiloh gegenüber ihrem Vater:
"Du bist die Wurzel des Übels, du bist die Krankheit. Du bist die Schwachstelle. Satan ist durch dich hindurchgegangen und hat so den Weg zu Isaac gefunden."
Familiengeschichte nach einer wahren Begebenheit
"Ein wenig Glaube" ist einer wahren Begebenheit nachempfunden, die sich so ähnlich im Jahr 2008 zugetragen haben soll. Es ist eine komplexe Gemengelage aus Abhängigkeit, Traumatisierung, Pathologisierung, falschen Zuschreibungen und moralischen Dilemmata, die in diesem Stoff steckt. Nickolas Butler ist der Komplexität seiner Geschichte nicht gewachsen. Das Ergebnis ist eine trübe Idylle, die die Atmosphäre der Fernsehserie "Unsere kleine Farm" ausströmt. Die Serie wird tatsächlich einmal halbironisch als Referenz im Text genannt, als wollte Butler sich selbst gegen den Vorwurf des Seifigen imprägnieren.
Butlers Landschaftsbeschreibungen sind zwar verklärend, doch noch das Anschaulichste in diesem Roman. Die Erörterungen über Religion dagegen geraten flach und banal, und allzu oft muss man sich ins Gedächtnis rufen, es hier mit einem Buch aus dem 21. Jahrhundert zu tun zu haben.
An der Geschichte verhoben
Butlers Roman zeigt Menschen, deren einfache Gedankenwelten in einer unoriginellen Sprache abgebildet werden. In einer so kitschigen wie plakativen Wendung am Schluss steht Lyle ausgerechnet in einem brennenden Paradiesgärtlein unter Apfelbäumen - und findet vielleicht doch noch zu Gott zurück:
"Er dachte an seinen Enkelsohn, der dort draußen in diesem kalten, aseptischen Krankenhauszimmer lag, und er betete, dass sie noch einmal einen Tag zusammen im Obstgarten erleben würden, dass er von seiner Arbeit aufschauen würde, und dort wäre er dann, sein so unglaublich wunderbarer Enkel."
Die gesellschaftliche Sprengkraft und die sozialen Auswirkungen religiöser Radikalisierung werden in "Ein wenig Glaube" nicht sichtbar. Stattdessen beschränkt Nickolas Butler sich auf den privaten Fokus einer Familiengeschichte. Auch das ist ein Indiz dafür, dass sich hier ein Autor an seiner Geschichte schlichtweg verhoben hat.
Nickolas Butler: "Ein wenig Glaube".
Aus dem Amerikanischen von Dorothee Merkel.
Klett-Cotta Verlag, Stuttgart, 382 Seiten, 17 Euro.