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Nida-Rümelin

Limberg: Herr Professor Nida-Rümelin, 100 Millionen Euro beträgt das Aufbaupaket der Bundesregierung für die vom Hochwasser besonders geschädigten Länder Sachsen und Sachsen-Anhalt. Für die anderen betroffenen Länder hat die Kulturstiftung des Bundes Hilfe zugesagt. Reichen diese Mittel aus?

Margarete Limberg | 08.09.2002
    Nida-Rümelin: Also nach den Schätzungen der Kultusminister der betroffenen Gebiete - und das ist ganz überwiegend Sachsen, auch Sachsen-Anhalt - sollten die Mittel, wenn wir nicht Mitnahmeeffekte zulassen, ausreichen, jedenfalls, was jetzt die Behebung der unmittelbaren Schäden angeht. Natürlich muss man sich auch überlegen, Vorkehrungen zu treffen. Wer weiß, wann sich ein ähnliches Ereignis wiederholt, das Klima ist instabiler geworden. Also, noch einmal darauf zu setzen, noch mal 500 Jahre - das wäre leichtsinnig. Und das bedeutet in der Tat noch zusätzliche Kosten. Ich will aber auf eines hinweisen: Wir haben eigentlich eine sehr erfreuliche Kooperation da gehabt, keinen Streit um Quoten, die Auszahlung soll nach Bedarf erfolgen. Wir haben blitzschnell Soforthilfe bereitgestellt. Und stellen Sie sich vor: Wir haben am letzten Dienstag schon die Verteilung der Mittel für dieses Jahr entschieden. Das heißt, die Mittel stehen nicht nur zur Verfügung, sondern es ist schon klar, wer was bekommt.

    Limberg: Liegt dieses Einvernehmen, das ja nicht immer zwischen Bund, Ländern und Gemeinden herrscht, daran - an der Not einerseits und dem Geld des Bundes andererseits?

    Nida-Rümelin: Also, in anderen Bereichen gibt es ja durchaus Streit, wie Sie verfolgen. Ich glaube, es liegt zum Teil daran, dass wir eine sehr gut eingespielte Kooperation haben mit den Ländern - und zwar in diesem Programm, das nennt sich 'Kultur in den neuen Ländern'. Da geht es um die Infrastruktur; die ist ja ein Schwerpunkt der Arbeit der letzten Jahre gewesen. Und da hat sich das gut eingespielt. Da gibt es den Verbund mit den betroffenen Ländern - ich rede jetzt nicht von der Flutkatastrophe, sondern von den fünf neuen Ländern -, Partnern, mit denen wir exzellent zusammenarbeiten. Und dann gibt es eine gewisse Solidarität der Kultur untereinander, ganz unabhängig von Parteifärbung, und ich glaube - sage ich mal bescheiden - dass sich die letzten zwei Jahre jetzt doch auch die Atmosphäre zwischen Bund und Ländern im Bereich der Kultur ganz gut entwickelt hat und wir die üblichen Reibereien, die es ja früher gab, so nicht fortsetzen.

    Limberg: Sie haben ja schon angesprochen: Seit zwei Jahren sind Sie im Amt des Bundesbeauftragten für die Angelegenheiten der Kultur und der Medien - eine etwas umständliche Bezeichnung. Diese Einrichtung wurde ja zunächst, als sie vor vier Jahren geschaffen wurde, von den Ländern vor allem mit großem Misstrauen beäugt. Ist dieses Misstrauen vorbei und wird dieses Amt von Dauer sein - egal, wer die Regierung stellt und egal, wer es besetzt?

    Nida-Rümelin: Es sieht so aus. Sie haben völlig recht, das war hoch umstritten, und noch bis ins Jahr 2000 hinein gab es also heftigen Schlagabtausch zwischen einigen Bundesländern - nicht allen -, einigen Bundesländern, insbesondere des Südens, insbesondere Bayern und dem Bund in dieser Frage. Und es ist ja auffällig, das ist nicht nur ein Phänomen der letzten Wochen, sondern das hat sich nun deutlich verändert. Wenn man sich die Wahlprogramme der Parteien ansieht: In keinem Wahlprogramm ist die Abschaffung dieses Amtes vorgesehen, auch der Kulturausschuss hat sich bewährt. Also, ich glaube, dass alle unterdessen sehen, dass es völlig abwegig ist, eine stärkere kulturpolitische Verantwortung des Bundes als Bedrohung der Länder oder der Gemeinden im Bereich der Kulturpolitik zu sehen. Umgedreht wird ein Schuh draus: Wenn wir zum Beispiel Stiftungsneugründungen fördern durch ein verändertes Stiftungssteuerrecht - das haben wir getan, wir haben eine Explosion von Stiftungsgründungen gegenwärtig, fast 1.000 im letzten Jahr -, dann kommt das doch allen zugute, natürlich auch den Kommunen und den Ländern im Bereich Kultur. Oder Buchpreisbindung. Das sind alles Aufgaben, die kann nur der Bund wahrnehmen, abgesehen mal von europäischer Kulturpolitik und internationaler Kulturpolitik. Das stärkt die Kultur insgesamt, das sehen unterdessen so gut wie alle so. Und das sehe ich auch als ein Zeichen dafür an, dass dieses Amt insgesamt erfolgreich gearbeitet hat.

    Limberg: Eine Zeitung schrieb vor kurzem von Ihnen als 'einem Gutsherrn ohne Gut'; man könnte auch sagen 'König ohne Land'.

    Nida-Rümelin: Ja, da weiß ich nicht, wie die darauf kommen. Da sind 950 Millionen Euro, das sind immerhin 10 Prozent der gesamten Kulturförderung in Deutschland, die über meine Behörde laufen. Das ist eben nicht nur ein Staatsminister beim Bundeskanzler als Berater gewissermaßen im Kanzleramt, wie manche glauben, sondern ich bin ja zugleich Chef einer 'obersten Bundesbehörde', wie das so schön heißt, die überwiegend in Bonn angesiedelt ist und früher dem Innenministerium ganz überwiegend angehörte. Also, das ist einfach offenbar mangelnde Kenntnis der Zusammenhänge. Wir haben - im Gegenteil - gemeinsame Programme gestartet mit den Ländern, die sich sehr bewährt haben, in den neuen Ländern zumal, und wir nehmen eine Verantwortung für große nationale Aufgaben wahr: 75 Prozent der Stiftung Preußischer Kulturbesitz wird vom Bund gefördert, die Völklinger Hütte wird zur Hälfte vom Bund gefördert, zur Hälfte vom Saarland. Die großen Weltkulturerben - da sind wir bereit, uns zu engagieren. Also, das ist pure Propaganda, zu sagen, das hat keine Wirkung gehabt.

    Limberg: Würden Sie dafür plädieren, das Amt eines Bundeskulturministers einzurichten?

    Nida-Rümelin: Also, in der Größenordnung, in der wir jetzt sind, wäre das ein sehr kleines Bundesministerium. Und der Vorteil der jetzigen Lösung ist ja der, dass das Amt und der Amtsinhaber eng beim Bundeskanzler angesiedelt ist. Nun darf man sich das nicht so vorstellen, dass der Bundeskanzler sich permanent abstimmt; der hat ja natürlich noch ganz andere Aufgaben. Aber immerhin ist dadurch gesichert, dass das nicht zwischen den großen Blöcken - den großen Ressorts -, die viel höhere Etats haben, zerrieben wird. Von daher glaube ich, wäre der Vorschlag, ein eigenes Bundeskulturministerium im jetzigen Zuschnitt zu etablieren, eher schädlich. Er würde keine Stärkung der Kultur, sondern zumindest das Risiko einer Schwächung mit sich bringen.

    Limberg: Wie ist das Verhältnis des Kanzlers zur Kultur, abgesehen davon, dass er dieses Amt, das Sie jetzt innehaben, eingerichtet hat?

    Nida-Rümelin: Man muss unterscheiden zwischen dem, was eine Person antreibt, motiviert. Und so, wie ich das jetzt verfolgt habe, ist die bildende Kunst nun wirklich ein Thema, was den Kanzler nicht nur jetzt im Sinne von der einen oder anderen Ausstellungseröffnung interessiert, sondern was ihn persönlich beschäftigt, umtreibt. Er hat viele Freunde aus diesem Bereich, und das ist eine gute Voraussetzung, weil damit eine Sensibilität für die zeitgenössische Kunst besteht, die in der Politik nicht selbstverständlich ist. Und dann kommt dazu, dass unterdessen in der Kunstszene - wenn Sie sich mal umhören - allen klar geworden ist, dass ein Zurückfahren des kulturellen Engagements des Bundes, was ja der Kanzler im wesentlichen initiiert hat durch das Amt und dann der Bundestag durch den Kulturausschuss, dass das ganz verheerend wäre. Das erklärt auch, warum eine erstaunliche Breite von Künstlerinnen und Künstlern sich jetzt engagieren. Ich weiß nicht, ob Sie diese Aktion 'Tausend Unterschriften für Schröder' - oder wie das heißt - gesehen haben; das geht ja quer durch das Spektrum des kulturellen Lebens in Deutschland und seiner Repräsentanten. Das heißt, diese Kulturoffenheit, die neu ist auf Bundesebene, die es in der Form ja so nicht gegeben hat, die wird in der Kulturszene sehr wohl wahrgenommen.

    Limberg: Ein Projekt, das für Sie besonders wichtig ist und war, ist die Gründung einer Bundesstiftung für Kultur. Sie wurde im März dieses Jahres aus der Taufe gehoben. In diesem Jahr stehen dafür 13 Millionen Euro zur Verfügung, daraus sollen 2004 = 38,8 Millionen werden. Was kann diese Stiftung besser tun als die der Länder, die ja schon seit etlichen Jahres besteht?

    Nida-Rümelin: Die der Länder hat eine ganz andere Zielsetzung. Die Kulturstiftung der Länder beschränkt sich ja im Wesentlichen auf den Ankauf oder die Unterstützung des Ankaufs von Archiven und Museen, also Bewahrung des Kulturgutes. Das ist eine ganz wichtige Aufgabe. Deswegen haben wir ja in der Kulturstiftung des Bundes den Akzent anders gesetzt, nämlich auf Prozesse und Projekte zeitgenössischer Kunst, vor allem im internationalen Bereich des Austauschs und der Kooperation. Diese beiden Stiftungen ergänzen sich gut. Aber was die KSL - die Kulturstiftung der Länder - bislang gemacht hat, ist kein Ersatz für das, was wir jetzt in der Kulturstiftung des Bundes machen.

    Limberg: Sie plädieren für eine Fusion der beiden? Macht das Sinn, wenn die Aufgaben so unterschiedlich sind?

    Nida-Rümelin: Meine ursprüngliche Konzeption war - aber die Legende ist in der Welt und offenbar nicht mehr herauszubringen -, die Kulturstiftung des Bundes separat zu gründen. Ich wollte keine Fusion. Deswegen ist es besonders absurd, wenn es heißt, 'Nida-Rümelin hat sein Ziel noch nicht erreicht, weil die Fusion noch nicht erreicht ist'. Umgedreht wird ein Schuh draus: Es waren die Kultusminister der Länder, die gesagt haben, sie können sich so etwas nur vorstellen, wenn es gemeinsam in der Fusion der Kulturstiftung der Länder erfolgt. Und es ist letztlich ein Streit innerhalb der Länder oder einiger Länder. Die Ministerpräsidenten, das heißt die Chefs der Staatskanzleien haben dann gesagt: Nein, wir wollen kein neues Gemeinschaftsprojekt haben, und sie haben diesen Prozess, dem ich aufgeschlossen gegenüberstand - nämlich Fusion, wenn das gewünscht ist -, zunächst gestoppt. Aber jetzt sieht es so aus, dass wir bei der Entflechtung und Systematisierung der Kulturförderung bald einen Konsens haben werden, nicht im Grundsätzlichen vermutlich - ich bin der Meinung, der Bund hat eine nationale Verantwortung für die Kultur; das wird bestritten von einigen Ländern -, aber doch pragmatisch. Wir werden also Förderungen bestimmen, die zulässig sind, und andere, die unzulässig sind. Zielsetzung wäre, das im Dezember endgültig zu klären. Und dann kann durchaus ein Ergebnis sein, dass die Länder zwei gemeinsame Aufgaben akzeptieren, nämlich bei der Stiftung Preußischer Kulturbesitz nicht rauszugehen, was ich für sinnvoll hielte, nicht rauszugehen, weil das eine große nationale Aufgabe ist, und eine gemeinsame nationale Kulturstiftung in der Fusion KSL und KSB zu etablieren.

    Limberg: Sie haben ja schon das Verhältnis Bund/Länder angesprochen. Es scheint ja so, dass in den neuen Ländern die Offenheit für eine Rolle des Bundes in der Kultur größer ist als in den anderen Ländern. Wie erklären Sie sich das?

    Nida-Rümelin: Ja, das stimmt zweifellos - einmal in den neuen Ländern sicher deswegen, weil es eine DDR-Tradition einer stärkeren zentralen Verantwortung für die Kultur gab. Und nach der deutsch-deutschen Vereinigung - das steht auch im Einigungsvertrag, Artikel 35, so drin - war klar, dass diese zentrale Verantwortung zum Teil vom Bund übernommen werden muss. Das ist das so genannte 'Leuchtturmprogramm'. Der Bund ist also in den neuen Ländern stärker engagiert als in den alten - auf der Basis dieses Vertrages. Und hinzu kommt, dass es sich bei den neuen Ländern ja um relativ kleine Länder handelt - wenn Sie es vergleichen mit Nordrhein-Westfalen, Bayern, Baden-Württemberg. Und generell gilt, dass die kleineren Länder kooperationswilliger sind als die großen, auch deswegen, weil auch in kleinen Ländern oft große Kulturinstitutionen stehen, die für sie alleine kaum zu bewältigen sind - Völklinger Hütte, Saarland, ist ein schönes Beispiel dafür. Und deswegen waren in der Tat die Länder, die vor allem so stark auf Entflechtung drangen und den Konflikt auch eine Zeit lang, den wir ja rasch jetzt moderiert haben, hauptsächlich bestritten haben - das waren die Länder Bayern, Baden-Württemberg, auch Nordrhein-Westfalen.

    Limberg: Von der staatlichen Kulturförderung trägt Ihr Etat zehn Prozent, der der Länder und Gemeinden 90 Prozent. Das ist ja doch eine sehr kleine Rolle, die der Bund da hat.

    Nida-Rümelin: Ich will daran aber auch nichts ändern. Ich glaube, der Bund hat seine Hauptaufgabe bei der Kulturpolitik in der Gestaltung der Rahmenbedingungen; Stärkung der Künstler zum Beispiel, Künstlersozialversicherung - das ist die soziale Seite. Oder Urhebervertragsrecht, die Künstler in gleiche Augenhöhe zu den Kulturverwertern zu bringen, oder Buchpreisbindung, oder die Besteuerung ausländischer Künstler, Stiftungssteuerrecht, Stiftungszivilrecht: Das sind die großen Aufgaben des Bundes, also Gesetzgebung, Gestaltung der Rahmenbedingungen. Und 90 gegen 10 übersieht einen ganz wichtigen Punkt. Es sind überwiegend die Kommunen, nicht die Länder. Wenn Sie die Stadtstaaten zu den Kommunen hinzuzählen - also Hamburg, Bremen, Berlin -, dann sind wir bei über 60 Prozent der Kulturförderung, die von den Städten und Gemeinden verantwortet werden. Und wir müssen sehr darauf achten, dass die in der Lage sind, ihre kulturelle Verantwortung, ihre Gestaltungskraft auch auszuschöpfen. Deswegen setze ich mich dafür ein, dass die Gemeinden auch finanziell gestärkt werden - die Gemeindefinanzreform wird ein wichtiger Beitrag sein zur Kulturförderung -, und nicht etwa den Fehler zu machen, dass der Bund dort in die Förderung reingehen sollte, wo die Kommunen Schwierigkeiten haben, zum Beispiel bei den Theatern. Das wäre systemwidrig. Der Föderalismus in Deutschland ist die Basis eines kulturellen Reichtums, wie er weltweit seinesgleichen sucht, vielleicht mit der Ausnahme Österreichs und Frankreichs. Und wir sollten diesen Föderalismus stärken und nicht schwächen.

    Limberg: Aber dieser Reichtum ist ja eben durch die finanziellen Engpässe stark gefährdet. In einigen Gemeinden hat man doch das Gefühl, dass die Kultur auf bedrohliche Weise kaputtgespart wird. Sie haben gesagt, der Bund kann da nicht einspringen, die Bundesstiftung kann nicht die leeren Kassen der Länder und Gemeinden füllen. Was ist aber dann zu tun, um zu retten, was gerettet werden muss?

    Nida-Rümelin: Wir brauchen eine Diskussion darüber - ich habe sie ja mit angestoßen -, was eine Pflichtaufgabe und was freiwillig ist. Nun muss das nicht zwingend auch gesetzlich so überall gleich verankert sein, aber ich denke, das Bewusstsein dafür, dass der kulturelle Reichtum unseres Landes gefährdet ist, wenn die Kommunen ihre kulturpolitischen Aufgaben nicht mehr wahrnehmen, das muss wachsen. Wir sollten auch nicht zu viel jammern. Es gibt Schwierigkeiten, aber immerhin, diese 7,5 Milliarden und mehr, die Bund, Länder und Gemeinden für die Kultur ausgeben, ist eine beträchtliche Summe. Und wir brauchen daneben die Aktivierung der Bürgergesellschaft, um manches zu bewahren, was sich sonst nicht bewahren lässt. Wir sind da wesentlich vorangekommen, ich habe Stiftungskultur als ein Beispiel genannt; das geht ja gewaltig nach oben. Deswegen glaube ich, müssen wir die Gemeinden stärken in ihrer Rolle, wir müssen Voraussetzungen schaffen, dass die Gemeinden nicht so plötzlich mit riesigen Einnahmeausfällen konfrontiert sind wie in der Vergangenheit. Das ist ein wichtiger Beitrag. Und wir brauchen eine gute Balance, und deswegen wehre ich mich gegen diejenigen, die meinen, es gibt keine nationale Dimension der deutschen Kulturentwicklung. Wir dürfen dieses Thema auch nicht den Rechten überlassen. Natürlich sind die Kommunen für ihre Bevölkerung jeweils verantwortlich, die Länder für das jeweilige Gebiet. Aber es gibt darüber hinaus eine nationale Verantwortung, und da muss der Bund mit eine Rolle spielen, weil wir sonst im Bereich der Kultur tatsächlich kein Bundesstaat mehr wären, sondern lediglich ein Staatenbund. Und das, glaube ich, würde der Rolle der Kultur in unserer Bundesrepublik Deutschland, die ja ein Nationalstaat ist, zumindest nach der deutsch-deutschen Wiedervereinigung, ihr nicht gerecht werden.

    Limberg: Könnte Sie dieses Stichwort 'Pflichtaufgabe für Kultur in den Gemeinden' nochmal etwas konkretisieren?

    Nida-Rümelin: Also es geht darum - das sind übrigens Ländergesetze, nicht Bundesgesetz -, es geht darum, zu bestimmen, was gehört zu den Pflichtaufgaben und was zu den freiwilligen Aufgaben. Meine Erfahrung - ich war ja vorher Kulturreferent der Landeshauptstadt München, in diesen Jahren stieg übrigens das Budget um 40 Millionen Mark an, auf Dauer wurde Budget erhöht, nicht deswegen, weil die Stadt München in Geld geschwommen wäre, sondern weil eben neue Projekte 'auf Kiel' gesetzt wurden, die überzeugt haben. Das heißt, man kann gestalten in der Kommune. Und dort ist meine Erfahrung die gewesen, dass Einrichtungen, die zweifellos zu den Pflichtaufgaben gehören, das ist nach der bayerischen Gemeindeordnung zum Beispiel die Erwachsenenbildung - Münchener Volkshochschule, Stadtbibliothek -, dass die in der Dotierung der finanziellen Ausstattung sich leichter tun als Einrichtungen, die nicht diesen Status haben. Deswegen ist es in der Tat, denke ich, zu klären - das ist aber nicht eine Sache, die der Bund entscheiden kann, sondern das müssen die Länder unter sich klären -, ob es nicht der realen Rolle der Kultur und der Gemeinden als Träger der kulturellen Einrichtungen - Theater, Museen usw. - gerecht würde, wenn man das, was sie de facto tun, nämlich die kulturelle Grundversorgung der Bevölkerung, und da meine ich auch Hochkultureinrichtungen mit dieser kulturellen Grundversorgung, bereitzustellen, dass man das auch als klare Pflichtaufgabe - nicht nur als etwas, was man tun kann, aber auch lassen kann in finanziellen Krisenzeiten, sondern etwas, was man tun muss - zu definieren. Das, denke ich, wäre der Kultur dienlich. Aber wie gesagt, das müssen die Länder jeweils entscheiden für sich.

    Limberg: Ein schwerer Fall ist Berlin. Der Bund stellt ja schon viele hundert Millionen für die Hauptstadtkultur bereit. Es ist sicher auch unstrittig, dass der Bund hier eine besondere Verantwortung hat, Aber eine andere Frage, die sich stellt, ist ja, ob Berlin selbst sich seiner Verantwortung immer so bewusst ist. Ich denke da an den doch recht plötzlichen Ausstieg aus der Finanzierung der Museumsinsel. Das zeugte ja nicht gerade von großem Verantwortungsbewusstsein auf Berliner Seite.

    Nida-Rümelin: Also, Berlin ist natürlich in einer schwierigen Lage. Die ist zum Teil selbst verschuldet - über die Jahre hinweg. Auch nach der deutsch-deutschen Vereinigung sind offenbar die Zeichen der Zeit zunächst einmal noch nicht so recht verstanden worden, und die Stadt ist sehr stark in die Verschuldung hineingegangen. Zwei Drittel der Verschuldung ist erst nach der deutsch-deutschen Vereinigung aufgelaufen. Andererseits ist es so: Der Bund kann nicht die Kultur der Bundeshauptstadt Berlin nun einfach übernehmen. Berlin ist zugleich Land und Kommune. Der Bund trägt gegenwärtig über 300 Millionen Euro jährlich insgesamt bei, und das ist nicht mehr wesentlich ausbaufähig, da ist noch das eine oder andere denkbar, das kann aber nicht mehr in großen Schritten ausgebaut werden. Sie müssen sich mal vorstellen: Von meinem Etat, wenn Sie die Deutsche Welle ausklammern, ist etwa die Hälfte der Mittel in Berlin. Und das geht ja nicht, dass man das dann am Ende auf 70 oder 80 Prozent ausbaut. Deswegen muss nach wie vor diese kulturpolitische Verantwortung des Landes Berlin eine Rolle spielen. So plötzliche Aktionen, wie der Ausstieg zum Beispiel aus der Finanzierung der Museumsinsel, bereitet uns natürlich auch Probleme. Wir können ja auch nicht von Heute auf Morgen da einspringen und sagen: 'Hier, die Millionen lagen rum und jetzt können wir das zusätzlich mit finanzieren'. Aber immerhin, mein Eindruck ist, dass Berlin sich auf eine Zeit der verlässlichen Kooperation mit dem Bund einstellt - nach einigen Verwerfungen. Meine Hoffnung ist, dass wir dann auch die Systematisierung, die wir, glaube ich, mit wichtigen Schritten begonnen haben - Übernahme Jüdisches Museum, Gropiusbau, Haus der Kulturen der Welt, Berliner Festspiele zum Beispiel -dass wir das fortsetzen können.

    Limberg: Ist denn denkbar, dass da noch weitere Institutionen hinzukommen zu den von Ihnen genannten, die der Bund übernehmen kann?

    Nida-Rümelin: Das ist grundsätzlich denkbar. Aber natürlich, die finanziellen Möglichkeiten des Bundes sind beschränkt. Das werden also keine großen Schritte sein. Man muss sehr genau sich ansehen, welche Einrichtung eine nationale oder bundesweite Funktion in Berlin wahrnimmt. Sie kennen meinen Standpunkt: Ich rate davon ab, zum Beispiel Opern in Bundesverantwortung zu übernehmen. Das wäre ein Systembruch, wir haben kein einziges Theater, keine einzige Oper bislang in der Bundesverantwortung. Und mir scheint es auch ganz unplausibel zu sein, denn ein Argument war ja immer, die Balance, auch die Konkurrenz der drei Opern zu erhalten. Der Bund wurde kritisiert für die separaten 3,5 Millionen für Barenboim Dass man Barenboim in Berlin halten kann, dafür wurden ja 3,5 Millionen jetzt pro Jahr zur Verfügung gestellt - Mark noch. Das hat ein Ungleichgewicht der drei Opern nach sich gezogen. Ja, wenn der Bund eine Oper ganz übernähme, dann entsteht ja erst recht ein Ungleichgewicht. Also, das Argument ist auch gar nicht logisch nachvollziehbar. Also ich sage: Davon 'Finger weg', aber bei Einrichtungen mit nationaler Bedeutung - Deutsche Kinemathek etwa ist ein solches Beispiel. Auch die Rolle der Akademie der Wissenschaften und die Akademie der Künste, darüber könnte man reden, ob sie nicht mehr nationale Aufgaben mit wahrnehmen könnten, ohne dass andere Akademien, zum Beispiel die bayerische Akademie und andere, abgewertet werden dürften. Also, da bin ich für Gespräche offen und habe sie auch zum Teil schon geführt.

    Limberg: Noch eine Frage zum Berliner Kapitel. Da gibt es die 'Topographie des Terrors'. Da herrscht im Augenblick ein Baustopp, weil eine Baufirma Pleite gemacht hat. Man hat ja manchmal den Eindruck, als ob das nicht mehr hoch auf der Agenda steht, dies überhaupt noch zu vollenden und fertig zu stellen. Gibt es denn von Seiten des Bundes eine Garantie dafür, dass dieses Projekt zu Ende geführt wird?

    Nida-Rümelin: Also, da gilt das, was ich von Anfang an gesagt habe, unverändert. Wir sind bereit, die Hälfte der Kosten der 'Topographie des Terrors' zu tragen, vorausgesetzt, diese Kosten bleiben beschränkt. Wir hatten damals gesagt, 76 Millionen Mark, nicht mehr, weil das ja ein Fass ohne Boden zu werden drohte. Also, ich war nicht bereit, hier mich auf ein Spiel einzulassen, was nach oben offen ist. Und das gilt unverändert. Jetzt hat es eine Insolvenz gegeben, aber der Bund ist bereit - das sagen auch die die Bundesregierung tragenden Parteien, also die Fraktionen SPD und Grüne -, bis zur Hälfte die Finanzierung zu tragen der 'Topographie des Terrors', vorausgesetzt, die Kosten bleiben beschränkt.

    Limberg: Verzögerungen gibt es auch beim Holocaust-Mahnmal. Ist das gefährdet?

    Nida-Rümelin: Nein, das Holocaust-Mahnmal ist mit Sicherheit nicht gefährdet. Das war ja offenbar ein Verwaltungsfehler, der da unterlaufen ist, für das übrigens der Bund nichts kann. Das ist eine Sache der Berliner Behörden...

    Limberg: Schlamperei?

    Nida-Rümelin: Auf bayerisch würde man vielleicht sagen: Schlamperei. Vielleicht gibt es auch einfach eine Meinungsverschiedenheit, wie man das rechtlich richtig interpretiert, die Bestimmungen. Es darf nicht sein, dass deswegen jetzt dieses Projekt auf einmal als gefährdet gilt. Natürlich - der Zeitpunkt, zu dem es fertiggestellt wird, der kann dadurch sich verschieben. Das ist eine lange Vorgeschichte jetzt gewesen. Ob das nun ein paar Monate später am Ende kommt oder nicht, daran soll es also nicht scheitern.

    Limberg: Eine Frage zum Schluss. Werden Sie, wenn diese Koalition oder die SPD die nächste Regierung wieder stellt, in diesem Amt wiederzufinden sein?

    Nida-Rümelin: Ja, das sehen wir dann nach der Wahl. Erstens hängt es vom Wahlausgang natürlich ab. Ich würde sagen, also das ist dann alles nach dem 22. September zu entscheiden, wie das zusammengesetzt ist. Dann wird man auch über Arrondierungen des Amtes sprechen müssen und so weiter. Also, das ist jetzt zu früh, die paar Tage hat man vielleicht noch Geduld.