Christine Heuer: Deutschland wird auch am Hindukusch verteidigt. Die Formel, mit der seinerzeit Peter Struck für Auslandseinsätze der Bundeswehr plädierte, hat sich ins nationale Gedächtnis eingebrannt. Seitdem sind ein paar Jahre ins Land gegangen. Und die Deutschen haben sich irgendwie daran gewöhnt, dass ihre Staatsbürger in Uniform in Afghanistan, im Kongo und sogar vor der libanesischen Küste im Auslandseinsatz sind. Mit den Schädelbildern aus Afghanistan, dem Streit über das Libanonmandat und den deutsch-israelischen Zwischenfällen der letzten Tage wird die Diskussion über Sinn und Ausgestaltung der Auslandseinsätze wieder breiter geführt.
Die Diskussion über Bundeswehreinsätze im Ausland geht weiter, nicht nur im gerade gehörten Beitrag von Wolfgang Vichtl, sondern jetzt auch im Deutschlandfunk im Interview mit dem FDP-Generalsekretär Dirk Niebel. Wir erreichen ihn in Israel, wo er sich gerade ein Bild vom Libanon-Einsatz der Bundeswehr macht. Guten Morgen, Herr Niebel!
Dirk Niebel: Guten Morgen, Frau Heuer!
Heuer: Erstaunliches ist von Ihnen zu hören. Wir sollten, schreibt die "Bild"-Zeitung als Meinungsäußerung von Ihnen, unsere Soldaten aus dem Libanon zurückholen. Ist die Situation vor Ort denn so dramatisch?
Niebel: Nun, es sind zweierlei Gründe, die mich zu dieser Aufforderung veranlasst haben. Erstens ist nach wie vor generell nicht auszuschließen, dass es zu einer direkten Konfrontation zwischen deutschen und israelischen Streitkräften kommt. Das war übrigens auch wirklich unredlich, dass manche Kolleginnen und Kollegen vorher gesagt haben, dies sei auszuschließen. Die Gegend ist hier einfach zu eng, und es ist einfach zuviel Militär, als dass man ausschließen könnte, dass man sich miteinander trifft. Und das zweite ist: Dieses Mandat ist kein uneingeschränktes Mandat, wie es die Bundesregierung vor der Entscheidung des Deutschen Bundestages zugesichert hat, das heißt, wir haben eine Art verkehrsberuhigte Zone vor der libanesischen Küste, in der unsere Schiffe nur ganz eingeschränkt agieren können. Und das ist etwas anderes, als was der Bundestag wollte. Darüber hinaus bin ich natürlich grundsätzlich immer noch der Ansicht, Deutschland hätte mehr zu bieten, um hier den Frieden zu stabilisieren, als Soldaten zu schicken.
Heuer: Lassen Sie uns auf den ersten Punkt kurz eingehen, die Zwischenfälle zwischen Israelis und Deutschen, die es in der Region gegeben hat. Ihre Gespräche, die Sie in Israel jetzt mit Politikern geführt haben, die haben Sie also nicht beruhigt?
Niebel: Es ist völlig klar, dass die deutschen und die israelischen Streitkräfte befreundete Streitkräfte sind. Aber es ist auch völlig klar, dass bei allen notwendigen Vorkehrungen, die jetzt offenkundig getroffen werden - man hätte so etwas vielleicht auch früher machen können - immer noch nicht generell verhindert werden kann, dass man miteinander in Konflikt gerät. Stellen Sie sich einfach vor, die Israelis finden heraus, wo ihre entführten Soldaten sind. Natürlich werden sie die befreien, das müssen sie, und ich finde das übrigens auch richtig. Auf der anderen Seite wäre es ein klarer Verstoß gegen die Waffenstillstandsvereinbarungen, und die Bundesmarine, die das sehen wird, müsste natürlich gegen Israel vorgehen, wovon ich hoffe, dass sie es nicht tun wird.
Heuer: Wieso müsste sie gegen Israel vorgehen?
Niebel: Der Auftrag der Marine ist es, das Waffenstillstandsabkommen durchzusetzen. Und das Waffenstillstandsabkommen bedeutet für die Bundesmarine dafür zu sorgen, dass die Hisbollah nicht wieder aufgerüstet wird, bedeutet aber auch die Sicherung der Souveränität des Staates Libanon. Und natürlich ist es ein neutrales Mandat gegen beide Konfliktparteien. Wir sehen das innerlich anders, das war auch immer die Argumentation der FDP. Wir können und wollen in diesem Konflikt gar nicht neutral sein, deswegen dürfen wir an diesem Mandat nicht beteiligt sein.
Heuer: Nun ist also, Herr Niebel, Ihre Partei, die FDP, dafür, die Marine aus der Region zurückzuholen nach Deutschland. Wie bitte soll das konkret gehen?
Niebel: Nun, zunächst einmal haben unsere Soldaten offenkundig nicht das Mandat, über das der Deutsche Bundestag entschieden hat. Die Bundesregierung hat, gerade auch weil in SPD- und CDU-Fraktion viele Kollegen sehr skeptisch waren, noch einmal auf ausdrückliche Nachfrage bestätigt, das ist ein uneingeschränktes Mandat. Jetzt stellt sich heraus, es gibt vier verschiedene Einsatzzonen vor der Küste Libanons, so dass in manchen Bereichen tatsächlich nur auf Anforderung der libanesischen Regierung gearbeitet werden kann, wenn man dort den Verdacht hat, dass geschmuggelt wird. Das ist etwas anderes, als das was der Bundestag entschieden hat, das heißt, dieses Mandat, mit dem die Bundeswehr vermeintlich losgefahren ist, entspricht nicht der Realität. Hier hat die Bundesregierung das Parlament und die Marine getäuscht, und das muss korrigiert werden. Das kann höchstens durch ein neues Mandat korrigiert werden, oder eben indem dieses nicht gegebene Mandat beendet wird.
Heuer: Das heißt also, wenn ich Sie richtig verstehe, Sie plädieren nicht nur dafür, die deutschen Soldaten aus der Region zurückzuholen, Sie möchten auch, dass das Mandat im Bundestag noch einmal neu abgestimmt wird.
Niebel: Nein, da ich von vornherein der Ansicht war, dieser Einsatz sollte ohne Beteiligung Deutschlands stattfinden, brauche ich jetzt keine neue Abstimmung.
Heuer: Also einfach zurückholen, und die Sache ist erledigt?
Niebel: Die Marine ist in den libanesischen Gewässern im Einsatz unter Vorspiegelung falscher Tatsachen. Die Bundesregierung hat hier definitiv das Parlament falsch informiert, hat sich das Mandat erschlichen, also ist es kein rechtmäßiges Mandat.
Heuer: Der politische Schaden für die Bundesregierung sollte sie die Soldaten zurückholen, wie Sie das fordern, Herr Niebel, dieser Schaden wäre ja beträchtlich. Mal ganz ehrlich: Ist das nicht bloß ein politisches Kalkül der FDP, mit dieser Forderung jetzt zu kommen?
Niebel: Überhaupt nicht, der politische Schaden, den hat die Bundesregierung zu verantworten, indem sie sich ein Mandat des deutschen Parlamentes erschlichen hat unter Vorspiegelung falscher Tatsachen. Und darüber hinaus ist es tatsächlich so, und ich bin immer noch fest davon überzeugt, wir könnten als Deutsche für die Sicherheit im Nahen Osten mehr tun, als Soldaten zu schicken. Es bedarf eines politischen Prozesses. Dieser politische Prozess muss ja von irgendjemanden begleitet werden. Weder Amerika und Russland, noch England und Frankreich haben ein ähnlich gutes Ansehen bei beiden Konfliktparteien in dieser Region wie Deutschland. Das heißt, wir sind das einzige größere Land, das einzige Land mit wirtschaftlicher und politischer Durchsetzungsfähigkeit, das diese Aufgabe übernehmen könnte.
Heuer: Herr Niebel, die Bundesregierung, die Sie so kritisieren, votiert in Person ihres Verteidigungsministers Jung jetzt für einen Rückzug deutscher Soldaten aus Bosnien. Finden Sie das denn wenigstens gut?
Niebel: Das haben wir von vornherein unterstützt. Das ist übrigens auch gar nicht so etwas Neues, die Truppenstärke in Bosnien wird schon seit Jahren reduziert. Und ein Einsatz, der schon über zehn Jahre dauert, muss ja irgendwann auch einmal aus der militärischen Phase endgültig in die zivile Phase überführt werden. Das soll kein sofortiger Abzug sein, aber eine stetige Reduktion der deutschen Truppenanteile in Bosnien ist einheitliche Position, soweit ich weiß aller Bundestagsparteien.
Heuer: Gleichzeitig, während sie diesen Rückzug aus Bosnien unterstützen, ist die FDP aber dafür, mehr Soldaten ins Ausland zu schicken. Erklären sie uns, wie das zusammenpasst.
Niebel: Das ist leider in den Agenturen anders kolportiert worden, was der Kollege Werner Heuer dort gesagt hat, als in dem Originalinterview. Wir sind nur der Ansicht, mehr Soldaten müssten befähigt sein ins Ausland zu gehen. Das bedeutet, die Belastung der Soldatinnen und Soldaten würde geringer werden, wenn wir dafür sorgen würden, dass nicht nur die ungefähr 10.000 Bundeswehrsoldaten, die heute befähigt sind für Auslandseinsätze jeder Art, sondern mehr der vorhandenen 250.000 Soldaten der deutschen Bundeswehr in der Lage wären, derartige Aufträge zu übernehmen.
Heuer: Aber wieso würde denn der einzelne Soldat entlastet? Der erlebt ja, wie zum Beispiel in Afghanistan, auch nichts anderes, wenn es mehr von seiner Sorte gibt.
Niebel: Die Anzahl und die Dauer der Einsätze des jeweiligen einzelnen Soldaten könnten verringert werden. Wir haben enorme Engpässe bei Spezialisten bei der Bundeswehr, insbesondere bei den Heeresfliegern, bei den Sanitätern, da ist das Ende der Fahnenstange eigentlich erreicht. Das ist übrigens auch einer der Gründe, weshalb die Bundesmarine jetzt im Mittelmeer ist und niemand anderes. Die Marine ist die einzige Teilstreitkraft, die kein eigenständiges UN-Mandat im Moment ausübt, deswegen war das der Rest, der noch ging. Aber im Endeffekt merken wir auch, dass die Soldaten insgesamt überfordert werden mit den Aufgaben, die man ihnen stellt. Wenn man das auf mehr Schultern verteilt, ist es nur vernünftig.
Heuer: Die Situation der Bundeswehr, die Auslandseinsätze, die Diskussion darüber, all das hat die Leitartikler in Deutschland auf den Plan gerufen. Viele von ihnen haben geschrieben, dass die deutschen Soldaten im Ausland von der deutschen Öffentlichkeit immer ein bisschen wie Sozialarbeiter gesehen wurden, dass man ausgeblendet hat, dass Soldaten töten und sterben können müssen. Sehen Sie das ähnlich, Herr Niebel, gibt es da eine andere Wahrnehmung der Öffentlichkeit, als es der Realität entspricht?
Niebel: Es ist oftmals so, gar nicht böse gemeint, aber das Bild des bewaffneten Sozialarbeiters oder Entwicklungshelfers ist natürlich ein sympathisches Bild, und wo immer das geht, hat die Bundeswehr ja auch versucht, dass die Aufträge so durchgeführt werden. Ich erinnere mich, als ich das erste Mal vor Jahren in Kabul war, da war die Prämisse "smile and wave", also "lächle und winke", und die deutschen Soldaten waren dort die Netten, die auch geholfen haben, aber - das wird oft vergessen - in einem äußerst unangenehmen und teilweise auch feindlichen Umfeld. Und der Beruf des Soldaten bringt es mit, auch gegebenenfalls kämpfen zu müssen. Ziel ist es immer zu verhindern, dass gekämpft werden muss. Aber es befähigt die Ausbildung den Soldaten tatsächlich dazu, das zu tun. Daran denkt man nicht so gerne. Dazu gehört im Zweifelsfall auch töten und getötet werden, das ist ein immanenter Bestandteil dieses Berufes.
Heuer: Der FDP-Generalsekretär Dirk Niebel war das im Interview mit dem Deutschlandfunk. Herr Niebel, vielen Dank.
Niebel: Gerne, Frau Heuer.
Die Diskussion über Bundeswehreinsätze im Ausland geht weiter, nicht nur im gerade gehörten Beitrag von Wolfgang Vichtl, sondern jetzt auch im Deutschlandfunk im Interview mit dem FDP-Generalsekretär Dirk Niebel. Wir erreichen ihn in Israel, wo er sich gerade ein Bild vom Libanon-Einsatz der Bundeswehr macht. Guten Morgen, Herr Niebel!
Dirk Niebel: Guten Morgen, Frau Heuer!
Heuer: Erstaunliches ist von Ihnen zu hören. Wir sollten, schreibt die "Bild"-Zeitung als Meinungsäußerung von Ihnen, unsere Soldaten aus dem Libanon zurückholen. Ist die Situation vor Ort denn so dramatisch?
Niebel: Nun, es sind zweierlei Gründe, die mich zu dieser Aufforderung veranlasst haben. Erstens ist nach wie vor generell nicht auszuschließen, dass es zu einer direkten Konfrontation zwischen deutschen und israelischen Streitkräften kommt. Das war übrigens auch wirklich unredlich, dass manche Kolleginnen und Kollegen vorher gesagt haben, dies sei auszuschließen. Die Gegend ist hier einfach zu eng, und es ist einfach zuviel Militär, als dass man ausschließen könnte, dass man sich miteinander trifft. Und das zweite ist: Dieses Mandat ist kein uneingeschränktes Mandat, wie es die Bundesregierung vor der Entscheidung des Deutschen Bundestages zugesichert hat, das heißt, wir haben eine Art verkehrsberuhigte Zone vor der libanesischen Küste, in der unsere Schiffe nur ganz eingeschränkt agieren können. Und das ist etwas anderes, als was der Bundestag wollte. Darüber hinaus bin ich natürlich grundsätzlich immer noch der Ansicht, Deutschland hätte mehr zu bieten, um hier den Frieden zu stabilisieren, als Soldaten zu schicken.
Heuer: Lassen Sie uns auf den ersten Punkt kurz eingehen, die Zwischenfälle zwischen Israelis und Deutschen, die es in der Region gegeben hat. Ihre Gespräche, die Sie in Israel jetzt mit Politikern geführt haben, die haben Sie also nicht beruhigt?
Niebel: Es ist völlig klar, dass die deutschen und die israelischen Streitkräfte befreundete Streitkräfte sind. Aber es ist auch völlig klar, dass bei allen notwendigen Vorkehrungen, die jetzt offenkundig getroffen werden - man hätte so etwas vielleicht auch früher machen können - immer noch nicht generell verhindert werden kann, dass man miteinander in Konflikt gerät. Stellen Sie sich einfach vor, die Israelis finden heraus, wo ihre entführten Soldaten sind. Natürlich werden sie die befreien, das müssen sie, und ich finde das übrigens auch richtig. Auf der anderen Seite wäre es ein klarer Verstoß gegen die Waffenstillstandsvereinbarungen, und die Bundesmarine, die das sehen wird, müsste natürlich gegen Israel vorgehen, wovon ich hoffe, dass sie es nicht tun wird.
Heuer: Wieso müsste sie gegen Israel vorgehen?
Niebel: Der Auftrag der Marine ist es, das Waffenstillstandsabkommen durchzusetzen. Und das Waffenstillstandsabkommen bedeutet für die Bundesmarine dafür zu sorgen, dass die Hisbollah nicht wieder aufgerüstet wird, bedeutet aber auch die Sicherung der Souveränität des Staates Libanon. Und natürlich ist es ein neutrales Mandat gegen beide Konfliktparteien. Wir sehen das innerlich anders, das war auch immer die Argumentation der FDP. Wir können und wollen in diesem Konflikt gar nicht neutral sein, deswegen dürfen wir an diesem Mandat nicht beteiligt sein.
Heuer: Nun ist also, Herr Niebel, Ihre Partei, die FDP, dafür, die Marine aus der Region zurückzuholen nach Deutschland. Wie bitte soll das konkret gehen?
Niebel: Nun, zunächst einmal haben unsere Soldaten offenkundig nicht das Mandat, über das der Deutsche Bundestag entschieden hat. Die Bundesregierung hat, gerade auch weil in SPD- und CDU-Fraktion viele Kollegen sehr skeptisch waren, noch einmal auf ausdrückliche Nachfrage bestätigt, das ist ein uneingeschränktes Mandat. Jetzt stellt sich heraus, es gibt vier verschiedene Einsatzzonen vor der Küste Libanons, so dass in manchen Bereichen tatsächlich nur auf Anforderung der libanesischen Regierung gearbeitet werden kann, wenn man dort den Verdacht hat, dass geschmuggelt wird. Das ist etwas anderes, als das was der Bundestag entschieden hat, das heißt, dieses Mandat, mit dem die Bundeswehr vermeintlich losgefahren ist, entspricht nicht der Realität. Hier hat die Bundesregierung das Parlament und die Marine getäuscht, und das muss korrigiert werden. Das kann höchstens durch ein neues Mandat korrigiert werden, oder eben indem dieses nicht gegebene Mandat beendet wird.
Heuer: Das heißt also, wenn ich Sie richtig verstehe, Sie plädieren nicht nur dafür, die deutschen Soldaten aus der Region zurückzuholen, Sie möchten auch, dass das Mandat im Bundestag noch einmal neu abgestimmt wird.
Niebel: Nein, da ich von vornherein der Ansicht war, dieser Einsatz sollte ohne Beteiligung Deutschlands stattfinden, brauche ich jetzt keine neue Abstimmung.
Heuer: Also einfach zurückholen, und die Sache ist erledigt?
Niebel: Die Marine ist in den libanesischen Gewässern im Einsatz unter Vorspiegelung falscher Tatsachen. Die Bundesregierung hat hier definitiv das Parlament falsch informiert, hat sich das Mandat erschlichen, also ist es kein rechtmäßiges Mandat.
Heuer: Der politische Schaden für die Bundesregierung sollte sie die Soldaten zurückholen, wie Sie das fordern, Herr Niebel, dieser Schaden wäre ja beträchtlich. Mal ganz ehrlich: Ist das nicht bloß ein politisches Kalkül der FDP, mit dieser Forderung jetzt zu kommen?
Niebel: Überhaupt nicht, der politische Schaden, den hat die Bundesregierung zu verantworten, indem sie sich ein Mandat des deutschen Parlamentes erschlichen hat unter Vorspiegelung falscher Tatsachen. Und darüber hinaus ist es tatsächlich so, und ich bin immer noch fest davon überzeugt, wir könnten als Deutsche für die Sicherheit im Nahen Osten mehr tun, als Soldaten zu schicken. Es bedarf eines politischen Prozesses. Dieser politische Prozess muss ja von irgendjemanden begleitet werden. Weder Amerika und Russland, noch England und Frankreich haben ein ähnlich gutes Ansehen bei beiden Konfliktparteien in dieser Region wie Deutschland. Das heißt, wir sind das einzige größere Land, das einzige Land mit wirtschaftlicher und politischer Durchsetzungsfähigkeit, das diese Aufgabe übernehmen könnte.
Heuer: Herr Niebel, die Bundesregierung, die Sie so kritisieren, votiert in Person ihres Verteidigungsministers Jung jetzt für einen Rückzug deutscher Soldaten aus Bosnien. Finden Sie das denn wenigstens gut?
Niebel: Das haben wir von vornherein unterstützt. Das ist übrigens auch gar nicht so etwas Neues, die Truppenstärke in Bosnien wird schon seit Jahren reduziert. Und ein Einsatz, der schon über zehn Jahre dauert, muss ja irgendwann auch einmal aus der militärischen Phase endgültig in die zivile Phase überführt werden. Das soll kein sofortiger Abzug sein, aber eine stetige Reduktion der deutschen Truppenanteile in Bosnien ist einheitliche Position, soweit ich weiß aller Bundestagsparteien.
Heuer: Gleichzeitig, während sie diesen Rückzug aus Bosnien unterstützen, ist die FDP aber dafür, mehr Soldaten ins Ausland zu schicken. Erklären sie uns, wie das zusammenpasst.
Niebel: Das ist leider in den Agenturen anders kolportiert worden, was der Kollege Werner Heuer dort gesagt hat, als in dem Originalinterview. Wir sind nur der Ansicht, mehr Soldaten müssten befähigt sein ins Ausland zu gehen. Das bedeutet, die Belastung der Soldatinnen und Soldaten würde geringer werden, wenn wir dafür sorgen würden, dass nicht nur die ungefähr 10.000 Bundeswehrsoldaten, die heute befähigt sind für Auslandseinsätze jeder Art, sondern mehr der vorhandenen 250.000 Soldaten der deutschen Bundeswehr in der Lage wären, derartige Aufträge zu übernehmen.
Heuer: Aber wieso würde denn der einzelne Soldat entlastet? Der erlebt ja, wie zum Beispiel in Afghanistan, auch nichts anderes, wenn es mehr von seiner Sorte gibt.
Niebel: Die Anzahl und die Dauer der Einsätze des jeweiligen einzelnen Soldaten könnten verringert werden. Wir haben enorme Engpässe bei Spezialisten bei der Bundeswehr, insbesondere bei den Heeresfliegern, bei den Sanitätern, da ist das Ende der Fahnenstange eigentlich erreicht. Das ist übrigens auch einer der Gründe, weshalb die Bundesmarine jetzt im Mittelmeer ist und niemand anderes. Die Marine ist die einzige Teilstreitkraft, die kein eigenständiges UN-Mandat im Moment ausübt, deswegen war das der Rest, der noch ging. Aber im Endeffekt merken wir auch, dass die Soldaten insgesamt überfordert werden mit den Aufgaben, die man ihnen stellt. Wenn man das auf mehr Schultern verteilt, ist es nur vernünftig.
Heuer: Die Situation der Bundeswehr, die Auslandseinsätze, die Diskussion darüber, all das hat die Leitartikler in Deutschland auf den Plan gerufen. Viele von ihnen haben geschrieben, dass die deutschen Soldaten im Ausland von der deutschen Öffentlichkeit immer ein bisschen wie Sozialarbeiter gesehen wurden, dass man ausgeblendet hat, dass Soldaten töten und sterben können müssen. Sehen Sie das ähnlich, Herr Niebel, gibt es da eine andere Wahrnehmung der Öffentlichkeit, als es der Realität entspricht?
Niebel: Es ist oftmals so, gar nicht böse gemeint, aber das Bild des bewaffneten Sozialarbeiters oder Entwicklungshelfers ist natürlich ein sympathisches Bild, und wo immer das geht, hat die Bundeswehr ja auch versucht, dass die Aufträge so durchgeführt werden. Ich erinnere mich, als ich das erste Mal vor Jahren in Kabul war, da war die Prämisse "smile and wave", also "lächle und winke", und die deutschen Soldaten waren dort die Netten, die auch geholfen haben, aber - das wird oft vergessen - in einem äußerst unangenehmen und teilweise auch feindlichen Umfeld. Und der Beruf des Soldaten bringt es mit, auch gegebenenfalls kämpfen zu müssen. Ziel ist es immer zu verhindern, dass gekämpft werden muss. Aber es befähigt die Ausbildung den Soldaten tatsächlich dazu, das zu tun. Daran denkt man nicht so gerne. Dazu gehört im Zweifelsfall auch töten und getötet werden, das ist ein immanenter Bestandteil dieses Berufes.
Heuer: Der FDP-Generalsekretär Dirk Niebel war das im Interview mit dem Deutschlandfunk. Herr Niebel, vielen Dank.
Niebel: Gerne, Frau Heuer.