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Niederländische Parlamentswahl
Wahlkampf in der Trabantenstadt Almere zeigt Gräben auf

Eigentlich funktioniert das multikulturelle Miteinander in der niederländischen Kleinstadt Almere, auch wenn die rechtspopulistische Freiheitspartei PVV die größte Fraktion im Stadtrat ist. Mangels Koalitionspartner sitzt sie in der Opposition. Ob die PVV bei der niederländischen Parlamentswahl am kommenden Mittwoch siegen wird, bleibt abzuwarten.

Von Christiane Kaess | 08.03.2017
    Während einer Wahlkampfveranstaltung in Almere, Niederlande, posiert Geert Wilders mit Anhängern für ein Selfie. 03.10.2015.
    Der Parteichef der rechtspopulistischen PVV mit Anhängern bei einer Wahlkampfveranstaltung im niederländischen Almere. (AFP / ANP / Jeroen Jumelt)
    Romeo Lobo läuft gut gelaunt durch die Büros der Stadtverwaltung. Der Sozialarbeiter, der sich um Jugendliche kümmert, die auf der Straße rumhängen, bezeichnet sich als Auge und Ohr von Almere. Und der große, stämmige, dunkelhäutige Mann sagt von sich:
    "Ich bin sozusagen ein Cocktail. Ich mache da immer Witze drüber. Ich bin in den Niederlanden geboren, mein Vater kommt von den Antillen und meine Mutter aus Surinam."
    Für seine Arbeit mit problematischen Jugendlichen spiele deren Herkunft keine Rolle, betont Lobo immer wieder. Für die rechtspopulistische Freiheitspartei PVV schon: Nachdem im letzten Sommer Jugendliche ausländischer Herkunft in einem Stadtviertel Busse mit Steinen beworfen hatten, sprach die PVV in Almere von Shariavierteln und Palästina in den Poldern. Für Romeo Lobo zeigt das nur:
    "Dass wir sehr schnell abstempeln und stigmatisieren. Aber schauen wir uns doch mal an, wie viele unterschiedliche Kulturen hier in Almere zusammen wohnen – viel mehr als in anderen Regionen. Das bringt viele schöne Geschichten mit sich. Nachbarn, die sich kennenlernen, interkultureller Austausch. Wenn sich dann ein paar Jungen in einem Viertel daneben benehmen, dann müssen wir uns das anschauen. Natürlich gibt es Vorfälle, die wir nicht tolerieren dürfen, aber dafür gibt es die Polizei."
    "Jeder ist ständig am Senden, niemand am Empfangen"
    Während Lobo erzählt, kommt Evita zu Besuch. Die 22-Jährige hat die langen schwarzen Haare zum Pferdeschwanz gebunden. Sie erzählt, wie der Sozialarbeiter ihr vor zehn Jahren geholfen hat, wieder ihren Weg zu finden. Die Scheidung ihrer Eltern hatte sie als Zwölfjährige aus der Bahn geworfen. Sie schwänzte die Schule, trieb sich auf der Straße rum. Ohne Romeo Lobo, so sagt sie, wäre sie nicht dahin gekommen, wo sie heute ist: Lehrerin an einer internationalen Schule. Evita glaubt sehr wohl, dass es Probleme im Zusammenleben in Almere gibt, allerdings nicht wegen Migranten oder Jugendlicher auf der Straße, sondern:
    "Weil wir einander nicht verstehen und uns nicht zuhören wollen. Die älteren Menschen, egal ob Anhänger der Rechtspopulisten oder nicht, haben ein bestimmtes Bild von Jugendlichen auf der Straße und die Jungen von den Alten. Und jeder hört nur auf seine eigene Meinung. Jeder ist ständig am Senden, aber niemand am Empfangen. Man ist nur am Schreien, dass sich was verändern muss, anstatt an einer Lösung zu arbeiten."
    In der Fußgängerzone der Innenstadt streiten sich Möwen um Brotkrümel. Fassaden aus Glas und Beton säumen die langgestreckten Einkaufsstraßen. Eine Frau mit türkisem Kopftuch radelt auf einem schwarzen Hollandrad über den Rathausplatz. Ein junger Mann mit roten Locken und Kopfhörern schlendert vorbei. In einer Einkaufspassage laufen zwei ältere Männer auf einen Billigsupermarkt zu. Ihre Namen wollen sie nicht nennen. Aber warum sie die rechte PVV wählen, wollen sie gern erklären. Sie finden: Alles ist ungerecht.
    Das Gefühl der älteren Generation, benachteiligt zu sein
    "Wir haben hart gearbeitet – 49 Jahre lang – und für unsere Pension bezahlt. Und die Typen, die früher im Park rumhingen und auf der Straße, die sind jetzt auch so alt wie wir und denen wird allen geholfen."
    Sein Freund rückt den grauen Schal um den Hals zurecht und fügt hinzu:
    "Die PVV und Wilders sagen einfach, was die Menschen bewegt: die Ungerechtigkeit. Die Falschen müssen die Rechnung bezahlen. Es betrifft mich zwar nicht, aber ich kenne Menschen in Almere, die acht oder zehn Jahre warten mussten auf eine günstige Mietwohnung. Und dann sind Flüchtlinge vorgezogen worden! Und die haben noch gar nichts bezahlt!"
    Sie fühlen sich unsicher in Almere, erzählen die Beiden - wegen Drogenabhängiger und betrunkener Jugendlicher auf dem Weg zur Diskothek. Anstand gebe es kaum mehr. Außerdem seien die Renten nicht mehr erhöht worden. Die Alten bezahlten für alles.
    "Im Parlament sitzt eine Generation – die ist im Wohlstand geboren. Die konnten gratis studieren, sogar bis sie 30 waren. Wir sind im Krieg oder kurz nach dem Krieg geboren und saßen mit 50 Kindern in einer Klasse. Wir mussten mit 14 arbeiten. Jetzt schreien alle: Es gibt Armut! Wir hatten auch nichts, wir mussten mit einem Stück Seil auf der Straße spielen. Das hat uns nicht geschadet. Wir mussten zufrieden sein mit dem, was wir hatten."
    Jerzy Soutekouw schließt die Türe zum Ratsaal von Almere auf. Der Fraktionsvorsitzende der Partei der Arbeit erklärt, wer wo sitzt im Halbrund des Stadtparlaments. Wie im ganzen Land haben die Sozialdemokraten auch hier viele Sitze eingebüßt und kommen mit sozialen Themen nicht mehr an. Soutekouw bestätigt die langen Wartezeiten auf Sozialwohnungen in Almere.
    Rechtspopulisten würden Probleme benennen, aber keine Lösungen bieten
    "Wir würden am liebsten bauen, bauen, bauen. Aber wir sind auch abhängig von Wohnungsbaugesellschaften, die dabei in den Niederlanden bestimmend sind. Und da können wir nicht so viel Gas geben, wie wir wollen. Das Interessante dabei ist: Wir hätten am liebsten 30 Prozent Sozialwohnungen in der Stadt. Die PVV ist dagegen und sagt: wir finden, dass es viel zu viel sozialen Wohnungsbau gibt. Ich frage mich dann immer: glauben die Menschen wirklich, dass die PVV was für sie tut? In diesem Fall ist das überdeutlich nicht so."
    Soutekouw glaubt, dass die Rechtspopulisten die Probleme gut benennen, aber keine Lösungen haben. Außerdem sieht er, dass auch in Almere die PVV mit Themen punktet, die in der Stadt nur am Rande eine Rolle spielen, aber Ängste wecken.
    PVV macht sich Ängste der Menschen zunutze
    "Entwicklungen, die wir überall in der Welt sehen, vor allem in Westeuropa. Der Zustrom von Asylsuchenden, islamistische Gewalt. Wir haben alle die Bilder von zum Beispiel Paris im Kopf. Und weil das bekannte Orte sind, wird das auch hier als Unsicherheit empfunden. Und diese Unsicherheit über eine sich ändernde Welt, wenn es dann um Kriminalität geht oder Terror, das greift die PVV auf."
    Die PVV in Almere lehnt ein Interview ab mit der Begründung, man spreche nur mit lokalen Medien.
    Beim lokalen Radio-und Fernsehsender Omroep Flevoland berichten Maaike van den Bosch und Odeke de Jonge seit Jahren über die Rechtspopulisten.
    Teil der Menschen in Almere fühlt sich durch PVV vertreten
    Die PVV gehe nicht anders mit Journalisten um als andere Parteien – meint van den Bosch. Aber der Ton im Stadtrat habe sich verändert. Obwohl – so meinen die Journalistinnen – die Partei oft inhaltlich sinnvolle Kritik einbringe, überspitze sie dann mit provokanten Einwürfen. Meistens zum Islam oder zu Migranten. Die beiden sehen aber durchaus für die PVV einen berechtigten Platz in Almere.
    "Die PVV kanalisiert bestimmte Gefühle. Wir haben in Almere zwar eine Diskussion gehabt über Asylsucher, aber es wurden keine Schweineköpfe vor Moscheen gelegt, oder bei Flüchtlingswohnungen die Fenster eingeworfen. Ich denke, dass es gut ist, dass die PVV im Stadtrat sitzt, denn es gibt einen Teil der Menschen hier, die sich durch sie vertreten fühlt."
    Am Abend sitzt Sozialarbeiter Romeo Lobo in einem Gemeindezentrum mit acht Jugendlichen an einem großen Holztisch. Alle von ihnen kommen aus anderen Kulturen. Sie beraten, wie sie ein Musikfestival in der Stadt organisieren, bei dem auch noch unbekannte junge Musiker auftreten können.
    Jugendliche mit Migrationshintergrund fühlen sich wohl in Almere
    "Wir sind jung. Wir sind alle unter 17, 18. Und Teenager lieben Feste." Erklärt Shaquille. Pilot oder Fluglotse möchte er werden und geht auf eine entsprechende Schule. Er hat sich nicht sehr mit Politik beschäftigt, aber die PVV findet er nicht gut. Sie motiviere die Leute dazu, zu diskriminieren. Über ihn als einzigen dunkelhäutigen Schüler in seiner Klasse hätten die anderen auch schon mal gelacht, erzählt Shaquille. In Almere fühlt er sich wohl:
    "Das ist hier sicher keine unruhige Stadt. Es ist eine schöne Stadt. Die meisten jungen Leute kennen sich. Natürlich passieren kriminelle Dinge, aber 90 Prozent von Almere ist nur positiv."
    Und sollte die PVV doch eines Tages in der Stadt das Sagen haben? Sozialarbeiter Romeo Lobo bleibt gelassen: "Dann werde ich noch immer mit Jugendlichen arbeiten, um der PVV ein objektives Bild davon zu geben, was sich auf der Straße abspielt."