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Niederlande
Wohnungsbaugesellschaften in der Kritik

Die Niederlande haben eine lange Tradition des sozialen Wohnungsbaus. 380 Wohnungsbaugesellschaften gibt es. Doch sie sind in Verruf geraten durch Selbstbereicherung, riskante Spekulationen und Verluste in Milliardenhöhe.

Von Kerstin Schweighöfer |
    Ein Radfahrer fährt in Maastricht (Limburg) durch die Altstadt.
    Die Altstadt von Maastricht. Jeder dritte Niederländer ist Mieter bei einer Wohnungsbaugesellschaft. (picture alliance / dpa / Oliver Berg)
    Warum er ausgerechnet einen Maserati haben wollte? Hubert Möllenkamp, ehemaliger Direktor der Amsterdamer Wohnungsbaugesellschaft Rochdale, muss einen Moment nachdenken. "Weil ich es ein schönes Auto fand", meint er dann. Möllenkamp gehört zu den ersten, die vor dem parlamentarischen Untersuchungsaussschuss erscheinen mussten. "Sonnenkönig" wurde der heute 65-Jährige auch genannt. Und "Mister Maserati". Weil er sich auf Kosten seiner Wohnungsbaugesellschaft einen teuren italienischen Leasingwagen geleistet hatte, inklusive Chauffeur. Kosten: 8.500 Euro pro Monat. Nur für das Wochenende, wohlgemerkt. Unter der Woche hatte er einen Dienstwagen. Einen Audi, ebenfalls mit Chauffeur.
    "Möllenkamp muss seinen moralischen Kompass verloren haben", meint Arnold Moerkamp, ein ehemaliger hoher Beamter vom Haager Wohnungsbauministerium, der ebenfalls vor dem Ausschuss ausgesagt hat: "Wie in aller Welt kann man einen Maserati fahren wollen, wenn man ein Unternehmen leitet, das eine soziale Aufgabe hat?"
    Der Maserati-Fahrer Möllenkamp muss sich in Kürze auch vor Gericht verantworten. Wegen Betrugs, Geldwäsche und Korruption. Es gebe genug Beweise gegen ihn, sagt Journalist Bart Mos vom Massenblatt "Telegraaf", der den Skandal bei Rochdale ans Licht brachte:
    "Möllenkamp nahm Schmiergelder an, ließ sich und seine Familie mit Luxusautos beschenken. Und er wohnte auf Kosten eines seiner Geschäftspartner in einer Luxusvilla in Spanien. Kurzum, dieser Mann hat eine Menge zu erklären.
    Wohnungsbaugesellschaften gibt es in den Niederlanden schon seit mehr als 100 Jahren, es handelt sich in der Hauptsache um Stiftungen. Gewinne müssen den Mietern zugutekommen und in den sozialen Wohnungsbau investiert werden. 1995 wurden die Gesellschaften verselbstständigt. Seitdem sind sie auf Privatdarlehen angewiesen und bekommen keine Subventionen mehr. Und seitdem ist vieles schief gelaufen: Die Gesellschaften verstrickten sich in dubiose Geschäfte, stürzten sich in riskante finanzielle Abenteuer, gönnten sich astronomisch hohe Gehälter: Erik Staal etwa, Direktor von Vestia, der größten niederländischen Wohnungsbaugesellschaft, verdiente zuletzt 500.000 Euro im Jahr.
    "Von ihrer eigentlichen Aufgabe, den sozial Schwächeren ein bezahlbares Dach über dem Kopf zu sichern, haben sie sich entfremdet", sagt Adri Duivesteijn, niederländischer Senator und Wohnungsbauexperte.
    "Mit der Verselbstständigung hat die Politik den Gesellschaften freies Spiel gelassen; seitdem haben sie sich von ihren Mietern entfernt. Das ist jetzt nicht mehr die Zielgruppe, das sind nicht mehr 'unsere Menschen', wie sie früher hießen. Nein, das sind jetzt Kunden. Alles eine Folge des neuen marktorientierten Denkens. Aus unseren Wohnungsbaugesellschaften sind in zunehmendem Maße Immobilienfirmen geworden."
    Die Rotterdamer Wohnungsbaugesellschaft Woonbron zum Beispiel verlor 250 Millionen Euro durch den Ankauf eines ehemaligen ausrangierten Dampfschiffes der Holland-Amerika-Linie. Vestia, die größte Gesellschaft, setzte mit Fehlspekulationen sogar zwei Milliarden in den Sand und brachte Vestia damit an den Rand des Abgrundes. Alles Geld, das eigentlich den Mietern zugute hätte kommen sollen. Der ehemaliger Vestia-Direktor Erik Staal wies vor dem Untersuchungsausschuss dennoch jegliche Verantwortung weit von sich:
    "Im Nachhinein frage ich mich natürlich schon, wie es so weit kommen konnte", meinte er.
    "Das Wort Reue allerdings kam nicht über seine Lippen. Reue sei ein schwieriges Wort", so Staal.
    Die Verhöre werden noch bis Mitte Juli dauern. Wie die Zukunft der Wohnungsbaugesellschaften aussieht, bleibt abzuwarten. Sie sollen sich in jedem Falle wieder auf ihre Kernaufgabe konzentrieren, den sozialen Wohnungsbau. Und sie müssen mit stärkeren Kontrollen rechnen, sagt Historiker Wouter Beekers, der sich auf die Geschichte des sozialen Wohnungsbaus in den Niederlanden spezialisiert hat:
    "Der Sektor muss wieder vertrauenswürdig werden. Etwa, indem Mieter, Gemeinderäte und andere Vertreter von Kommunen miteinbezogen werden. Damit sie bei Entscheidungen ein wichtiges Wort mitreden können."