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Niederlande wollen keine Spaltung der EU

Der niederländische Europaminister Frans Timmermanns warnt vor einer Spaltung der Europäischen Union im Verfassungsstreit. Europa werde mit kleinen Schritten gebildet. "Bei diesen kleinen Schritten ist es wichtig, dass jeder diese Schritte auch mitmachen kann", sagte Timmermanns.

Moderation: Christiane Kaess |
    Christiane Kaess: Die Niederlande waren das zweite Land, in dem das Referendum für eine europäische Verfassung mit Nein beantwortet wurde. Und ebenso wie in Frankreich steht die nationale Regierung jetzt vor der bizarren Situation, dass sie für einen neuen europäischen Vertrag ist, aber so einen Vertrag auch der Bevölkerung schmackhaft machen muss. Und so steht zum Beispiel in der Regierungsvereinbarung der amtierenden niederländischen Koalition, dass sich ein neuer Vertrag in Inhalt, Umfang und Namen von dem ursprünglich abgelehnten Text eindeutig unterscheiden muss. Ein Hauptgrund, warum es mittlerweile nicht mehr um eine Verfassung geht. Es wird jetzt über einen Reformvertrag oder Änderungsvertrag gesprochen.

    Ich habe vor der Sendung den niederländischen Europaminister Frans Timmermanns von der Arbeitspartei gefragt, ob über diesen neuen Vertrag in den Niederlanden wieder ein Referendum abgehalten wird.

    Timmermanns: Das wissen wir noch nicht. Es hängt auch vom Inhalt ab. Wir werden erst mal sehen, was herauskommt, wie dieser Vertrag aussieht, und dann werden wir uns auch noch in Holland beraten lassen. Im Endeffekt wird das Parlament entscheiden, ob wir Ja oder Nein ein Referendum bekommen. Das kann ich einfach jetzt noch nicht sagen.

    Kaess: Aber so wie ich Sie verstehe bleibt ein Risiko bestehen, dass dieser neue Vertrag noch einmal abgelehnt wird in einem Referendum?

    Timmermanns: Ja. Das Risiko bleibt immer bestehen, aber es hängt natürlich vom Inhalt ab. Wenn es ein klassischer Änderungsvertrag ist ohne, sagen wir mal, staatliche Elemente, wird es weniger wahrscheinlich. Wenn es ein Änderungsvertrag ist, der vom Inhalt her identisch ist mit der Verfassung, dann wird es wahrscheinlicher.

    Kaess: Der niederländische Außenminister Maxime Verhagen hat gesagt, dass die Niederlande es sich gar nicht mehr erlauben können, noch einmal Nein zu sagen. Hat er Recht?

    Timmermanns: Ich glaube, dass ich derjenige bin, der das gesagt hat. Aber was ich damit gemeint habe, ist, dass wir bei einem zweiten Nein nicht damit rechnen können, dass die anderen Mitgliedsstaaten dann einfach sagen werden, ach Holland, ihr sagt wieder Nein, wie können wir euch diesmal helfen. Das wird nicht noch ein zweites Mal so gehen.

    Kaess: Merken Sie denn, dass die Geduld der anderen Mitglieder schon abgenommen hat, denn die Rede von Ministerpräsident Balkenende vor dem EU-Parlament vor kurzem ist heftig kritisiert worden und zum Beispiel von einem österreichischen Parlamentsabgeordneten als "nationale Kriegserklärung" interpretiert worden?

    Timmermanns: Das ist vollkommener Blödsinn von Herrn Voggenhuber, der immer glaubt, dass er Europapolitik machen kann. So geht das einfach nicht. Ich habe auch nicht den Eindruck, dass wie sich das Europaparlament damals benommen hat das exemplarisch ist für die Lage in Europa. Mir ist aufgefallen, dass die niederländische Position doch als konstruktiv gesehen wird und dass die anderen Mitgliedsstaaten davon überzeugt sind, dass die niederländische Regierung einfach das Nein, was wir gehabt haben, auch beobachten muss und danach handeln muss. Das ist einfach so. Wir haben ein Nein gehabt, und das führt jetzt dazu, dass wir daraus auch bestimmte Konsequenzen ziehen müssen.

    Kaess: Herr Timmermanns, die niederländische Bevölkerung ist europaskeptisch. Das haben Sie gerade schon gesagt. Da müssen Sie als Regierung drauf Rücksicht nehmen. Was Sie aus dem Vertrag heraushandeln wollen, das sind aber vor allem Symbole so wie die Flagge oder eine europäische Hymne. Reicht das denn, um die Niederländer von dem neuen Text zu überzeugen?

    Timmermanns: Erstens ist die niederländische Bevölkerung nicht euroskeptisch. Das Problem ist, dass die niederländische Bevölkerung die Überzeugung bekommen hat, dass das Europa zu schnell geht, zu schnell erweitert wird, zu schnell zu neuen Politiken geht, ohne dass wir da noch Kontrollen haben. Was wir klarstellen müssen ist, was die Aufgaben der EU sind und was die Aufgaben bleiben der Mitgliedsstaaten, damit die EU sich nicht beschäftigt mit Sachen, die wir selber besser zu Hause machen können. Das ist ein Anliegen, was sehr lebt in Deutschland und was auch in Holland sehr wichtig ist.

    Zweitens: Die Anliegen der niederländischen Regierung sind nicht kosmetisch. Sie haben auch damit zu tun, dass wir wollen, dass die Rolle der nationalen Parlamente verstärkt wird. Wir wollen auch, dass die Kriterien, die dazu führen, dass neue Mitgliedsstaaten dazu kommen können, dass die im primären Recht aufgenommen werden. Wir wollen auch, dass die sozialen Dienstleistungen garantiert werden auf der europäischen Ebene. Und wir wollen auch, dass es eine genauere Begrenzung der Kompetenzen gibt zwischen EU und Mitgliedsstaaten. Das sind alles inhaltliche Anliegen, nicht nur kosmetische.

    Kaess: Sie sagen, es ist keine Kosmetik. Das sieht die niederländische Opposition ein bisschen anders. Die wirft Ihnen vor, Sie würden die Bevölkerung belügen oder täuschen. In welche Bedrängnis bringt Sie das?

    Timmermanns: Ich fühle keine Bedrängnis. Wir waren gerade jetzt im Parlament. Keine Oppositionspartei hat behauptet, dass wir lügen würden und dass es nur Kosmetik sein würde. Nur eine Partei, eine Rechtspartei, hat behauptet, wir tun nicht genug, aber diese Partei wirbt auch für die Auflösung des Europäischen Parlaments. Das sind Anliegen, womit die Leute ganz außerhalb der europäischen Diskussion kommen. Das sind nicht die Anliegen der niederländischen Regierung. Dass diese Partei unzufrieden ist, finde ich eigentlich eher schön als schlecht.

    Kaess: Herr Timmermanns, Sie haben gerade schon ein bisschen die Änderungen angesprochen, die die Niederlande durchsetzen möchten. Da geht es zum Beispiel um so etwas wie eine Rote Karte für nationale Parlamente. Das heißt, dass ein Drittel der nationalen Parlamente Gesetzesvorschläge der EU-Kommission ablehnen kann. Wird der neue Text das berücksichtigen?

    Timmermanns: Das weiß ich nicht. Das hängt davon ab, welchen Kompromiss wir erreichen können. Wir haben schon diese Gelbe Karte in der Verfassung. Was wir wollen, ist, dass diese Gelbe Karte noch etwas stärker in den Vertrag aufgenommen wird. Das ist keine Rote Karte, denn eine Rote Karte hieße, dass jedes Parlament das Recht hätte Vorschläge zurückzuschicken. Das wollen wir nicht. Es geht jetzt um ein Drittel der nationalen Parlamente. Es gibt auch andere Varianten; die haben wir auch vorgeschlagen. Es geht uns grundsätzlich darum, dass die Rolle der nationalen Parlamente noch etwas stärker wird als, was schon in der Verfassung steht.

    Kaess: Wenn das nicht berücksichtigt wird jetzt auf dem EU-Gipfel, werden die Niederlande dann ihr Veto einlegen gegen den neuen Text?

    Timmermanns: Wissen Sie, mit einem Veto ist es so: Jedes Land hat sein Veto, aber man spricht nie darüber. Das heißt, wenn man schon vorher sagt, hier oder hier setzen wir ein Veto ein, dann ist das Veto eigentlich schon weg. Man muss klarstellen, dass jeder weiß, dass man ein Veto hat, aber man kann besser nicht darüber reden, wann man das einsetzen wird. Für uns ist es wichtig, dass wir auf einer konstruktiven Weise zu einem Kompromiss kommen, aber unsere Möglichkeiten, zum Kompromiss zu kommen, sind beschränkt, denn wir müssen damit rechnen, dass die niederländische Bevölkerung Nein zur Verfassung gesagt hat.

    Kaess: Aber aus dem, was Sie sagen, leite ich ab, dass Sie auch im Notfall zu einem Veto greifen würden?

    Timmermanns: Es ist klar, dass die niederländische Regierung mit einem Kompromiss nach Hause kommen muss, woraus man deutlich lesen kann, dass wir gestritten haben, um dem Nein der Bevölkerung auch gerecht zu werden.

    Kaess: Die Niederlande haben auch ein Problem mit der so genannten Grundrechte-Charta in dem neuen Text. Die soll nach Ihrem Wunsch aus dem Text gestrichen werden. Allerdings will eine Mehrheit der Staaten, dass sie verbindlich bleibt. Warum bestehen Sie darauf?

    Timmermanns: Auch die niederländische Regierung will, dass die Rechte, die in der Charta stehen, verbindlich werden. Das ist nicht unser Problem. Unser Problem ist nur, dass wir versprochen haben, dass der neue Vertrag ein klassischer Änderungsvertrag ist, und zu so einem Vertrag gehört keine Charta. Aber die Rechte, die in der Charta stehen, die müssen verbindlich in den Vertrag aufgenommen werden.

    Kaess: Warum können sie dann nicht mit im Vertrag stehen?

    Timmermanns: Weil sich das nicht gehört in einem klassischen Änderungsvertrag, wo wir einfach angeben, was die neuen Spielregeln sind. Dazu kommt noch, dass wir versprochen haben, dass der neue Vertrag auch viel kleiner sein muss als die Verfassung war. Wenn wir die Charta verbindlich machen mit einem Artikel, haben wir die Rechte gesichert, ohne dass wir diese ganze Charta auch aufnehmen müssen.

    Kaess: Sie bekommen in diesem Punkt Unterstützung von Großbritannien. Werden Sie versuchen da zusammenzuarbeiten?

    Timmermanns: Wir sind bereit, mit jedem zusammenzuarbeiten, der auch unsere Anliegen unterstützen wird.

    Kaess: Also das heißt, Sie werden versuchen, Ihre Anliegen auch zusammen mit Großbritannien durchzusetzen?

    Timmermanns: Und auch mit anderen Ländern, die auch dieser Auffassung sind.

    Kaess: Den Haag will auch, dass die Kriterien von Kopenhagen für die EU-Erweiterung im Vertrag verankert werden. Das haben Sie bereits angesprochen. Warum ist das wichtig?

    Timmermanns: Wissen Sie, so wie in den meisten Mitgliedsstaaten ist die Unterstützung der Bevölkerung bei der Erweiterung nicht so stark wie vorher. Die Leute haben den Eindruck, dass wir bei der Erweiterung unsere eigenen Spielregeln nicht einhalten. Ich will, dass die EU klarstellt, dass diese Regeln für uns sehr wichtig sind. Es ist also kein Anliegen, das dazu führen muss, dass es schwieriger wird, neue Mitgliedsstaaten aufzunehmen. Es ist einfach ein Anliegen, das dazu führen muss, dass die EU ihre eigenen Spielregeln besser einhält.

    Kaess: Herr Timmermanns, die Angst vor einem europäischen Super-Staat besteht in den Niederlanden so wie auch in einigen anderen Mitgliedsländern. Das prominenteste Beispiel ist momentan Polen, das eine Forderung aufgestellt hat nach einer anderen Stimmenverteilung. Premier Kaczynski behauptet, dass viele Länder damit nicht zufrieden sind, aber allein Polen hätte den Mut, darüber zu sprechen. Stimmt das?

    Timmermanns: Das ist mir nicht aufgefallen. Ich habe nur gespürt, dass es nur einen Mitgliedsstaat gibt, der davon redet. Andere Mitgliedsstaaten sind eigentlich zufrieden mit der doppelten Abstimmung, und ich glaube, das ist auch ein gerechtes System, das man nicht ändern sollte.

    Kaess: Es haben jetzt 18 Staaten der Verfassung so zugestimmt, wie sie ist. Finden Sie es gerechtfertigt, dass eine Minderheit der Staaten die Mehrheit blockiert?

    Timmermanns: Na ja, es ist einfach so: Dies ist ein Vertrag, und man bekommt nur einen Vertrag, wenn alle 27 Länder damit einverstanden sind. Deshalb glaube ich, dass alle Anliegen genauso wichtig sind und dass wir einen Kompromiss finden müssen, womit alle 27 glücklich mit sind und wo wir alle sagen können, hiermit geht Europa weiter, hiermit können wir die vielen Aufgaben aufnehmen, die vor uns stehen: Klimawandel, Außenpolitik, Energiepolitik. Das sind alles Sachen, wo Europa sich intensiver mit beschäftigen muss.

    Kaess: Auch wenn eine Minderheit der Staaten damit gegen eine Mehrheit steht?

    Timmermanns: Na ja, es ist nun einfach so, dass dies ein Vertrag ist und wir brauchen die Zustimmung aller Länder und aller nationalen Parlamente, um diesen Vertrag auch zu einem europäischen Vertrag zu machen.

    Kaess: Herr Timmermanns, zum Schluss: Der italienische Premier Prodi hat gesagt, wenn die Verfassung nicht zu Stande kommt, dann muss Europa geteilt werden in europaskeptische und europapositive Länder. Hat er Recht?

    Timmermanns: Er hat damit Unrecht. Ich glaube, Europa wird gebildet mit kleinen Schritten, nicht mit großen Schritten. Bei diesen kleinen Schritten ist es wichtig, dass jeder diese Schritte auch mitmachen kann. Ich glaube, nach der Erweiterung brauchen wir ein Europa, das an der internen Kohäsion arbeitet, und nicht ein Europa, das wieder auseinander fällt.

    Kaess: Und wenn es auseinander fällt, wo sollen dann die Niederlande stehen? Bei den Skeptikern oder bei den Europapositiven?

    Timmermanns: Die Niederlande werden immer in der Spitze Europas stehen.

    Kaess: Der niederländische Europaminister Frans Timmermanns war das, Mitglied der Arbeitspartei.