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Niedersachsen
Abkehr vom Turbo-Abitur

In Niedersachsen sollen Schüler wieder neun Jahre am Gymnasium verbringen - diese Marschroute hat Kultusministerin Frauke Heiligenstadt vorgegeben. Doch vor allem die Eltern sehen das kritisch.

Von Torben Hildebrandt | 21.02.2014
    Niedersachsens Kultusministerin Frauke Heiligenstadt (SPD) am 19.02.2014 im Landtag in Hannover während der Landespressekonferenz.
    Niedersachsens Kultusministerin Frauke Heiligenstadt kündigt die Rückkehr zu G9 an. (picture alliance / dpa)
    Monatelang zögerte SPD-Politikerin Heiligenstadt mit einer Entscheidung – und das, obwohl Verbände, Eltern und die Opposition in Niedersachsen fast wöchentlich Vorschläge für eine Abitur-Reform präsentierten. Nun ist es klar: Niedersachsen beerdigt das Turbo-Abi. Dafür bekommt die Ministerin viel Beifall – von Teilen der Wirtschaft, von Verbänden und auch vom Landeschef der Lehrer-Gewerkschaft GEW, Eberhardt Brandt:
    "Das ist immer gut, wenn die politische Führung sich entscheidet, oder eine Grundsatzentscheidung trifft. Dann, denke ich, kann in wenigen Wochen das fertige Konzept stehen."
    Im August 2015 soll die Reform beginnen, eingebaut in ein neues Schulgesetz. Die Elternräte der Gymnasien begrüßen die grundsätzliche Rückkehr zu G 9. Verbandsgeschäftsführerin Petra Wiedenroth kritisiert aber, dass Heiligenstadt keinen genauen Zeitplan und keine Details vorgestellt hat:
    "Wir hätten deutlich mehr von der Ministerin erwartet, eine Tendenz zu einer Bereitschaft ist für uns keine klare Aussage."
    Sorgfalt vor Eile
    Damit spielt Wiedenroth auf eine Pressekonferenz der Kultusministerin vor zwei Tagen an. Frauke Heiligenstadt versuchte dabei krampfhaft, Einzelheiten zu umschiffen:
    "Ich habe – äh - eine grundsätzliche Tendenz deutlich gemacht, dass es eine Systemumkehr geben kann zu einem Abitur nach neun Jahren in Niedersachsen."
    Die Kultusministerin will die Ergebnisse einer Expertengruppe zum Abitur abwarten – Sorgfalt vor Eile, das ist ihre Devise. Schließlich sei G8 überstürzt eingeführt worden – einen ähnlichen Fehler will sie vermeiden. Das lassen die Elternräte der Gymnasien nicht gelten. Mit gutem Willen sei die Abi-Reform bereits zum nächsten Schuljahr, also in einigen Monaten möglich gewesen, meint Petra Wiedenroth:
    "Die Ministerin hätte die Chance gehabt, Entlastungen für Zehntausende Schülerinnen und Schüler zu schaffen – und diese Chance hat sie vertan, das muss man ganz deutlich sagen."
    Was auf Eltern, Schülern und Lehrer zukommt, darüber herrscht in Niedersachsen Rätselraten. Starke Schüler sollen weiter die Möglichkeit erhalten, schneller mit dem Gymnasium fertig zu werden – Fachleute diskutieren ein Abitur im eigenen Takt und ein Überspringen von Jahrgängen.
    Kein Hauruckverfahren
    Wie genau das klappen kann, steht nicht fest. Zudem berät die Expertengruppe darüber, ob die Zahl der Klausuren und Prüfungsfächer reduziert werden kann. SPD-Bildungspolitiker Claus-Peter Poppe verteidigt diesen gründlichen Weg:
    "Wir können mit einem Hauruckverfahren nichts gewinnen. Ein Reinstolpern jetzt schon zu 2014 wäre völlig unangemessen. Wir brauchen die Zeit für ein vernünftiges Gesetzgebungsverfahren, dann kann das 2015 gut durchdacht seinen Weg gehen."
    Der Verband der Elternräte fürchtet, dass dabei am Ende ein "Abitur light" herauskommt. Wenn die Landesregierung weniger Stress verspricht, dann dürfe das nicht zu einer Entwertung des Abiturs führen, sagt Verbandsvertreterin Wiedenroth:
    "Unter Entstressen versteht das Ministerium weniger Leistungsanforderungen, weniger Prüfungsfächer, weniger Überprüfungen im Allgemeinen; die Abschaffung der Schullaufbahnempfehlungen stehen zur Frage – und das wollen wir natürlich nicht."
    Ministerin Heiligenstadt hält diese Sorgen für unbegründet. Die SPD-Politikerin sagt aber auch nicht, was sie unter weniger Stress versteht. Bis Ende März will die Expertengruppe einen Abschlussbericht vorlegen, erst danach will die Kultusministerin Antworten liefern.