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"Niedersachsen könnte keinen Einfluss mehr geltend machen"

Nach der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs in Sachen Volkswagen-Gesetz sind nach Ansicht von Wolfgang Kilian, Wirtschaftsrechtler der Uni Hannover, die direkten Auswirkungen in einigen Bereichen noch unklar. Das Gericht habe nur über einzelne Punkte des Gesetzes geurteilt, es aber keineswegs gekippt. Denkbar wäre, dass das Land Niedersachsen nicht mehr im Aufsichtsrat vertreten wäre und damit auch keinen Einfluss mehr hätte, betonte Kilian.

Moderation: Sandra Schulz |
    Schulz: Freie Fahrt für Porsche. Auf der Suche nach einem passenden Stilmittel mussten sich die Schlagzeilen-Redakteure gestern nicht viele Gedanken machen. Ein Bild aus dem Bereich Verkehr lag nach der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs gestern, das Volkswagen-Gesetz zu kippen, ja mehr als nahe. Der Richterspruch hat heute schon ein juristisches Nachspiel. Das Arbeitsgericht in Ludwigsburg verhandelt über eine einstweilige Verfügung des VW-Betriebsrats, der sich um sein Recht auf Mitbestimmung sorgt.
    Zahlreiche Fragen sind noch offen nach dem Richterspruch von gestern. Einige davon möchte ich nun Professor Wolfgang Kilian stellen, Wirtschaftsrechtler der Universität in Hannover. Guten Tag!

    Kilian: Guten Tag!

    Schulz: Herr Kilian, es heißt ja - das ist auch im Bericht eben angeklungen -, dass das VW-Gesetz nach dem gestrigen Richterspruch aus Luxemburg nicht vollständig gestrichen werden müsse, sondern dass es Stellen gibt, die auch zu retten sind. Welche Teile sind das?

    Kilian: Es gibt einige Vorschriften, die gar nicht Gegenstand des Verfahrens waren. Im Verfahren war das Höchststimmrecht, das Entsenderecht und zwei andere Punkte angegriffen worden. Insofern musste der Europäische Gerichtshof nur dazu Stellung nehmen, nicht insgesamt zum VW-Gesetz. Es gibt auch keine Aussage, dass es gestrichen werden muss, aufgehoben wird. So etwas könnte der EuGH gar nicht festlegen.

    Schulz: Es hat bislang das Land Niedersachsen ja auch ein Mitspracherecht bei Standortschließungen. Bleibt es dabei?

    Kilian: Das hängt davon ab, ob ein niedersächsischer Vertreter überhaupt noch in den Aufsichtsrat kommt. Das könnte ausgeschlossen werden durch einen Mehrheitsbeschluss in der Hauptversammlung. Wenn die Mehrheit der anwesenden Aktionäre gegen die Entsendung von Vertretern des Landes Niedersachsen stimmen würde, dann könnte es sein, dass im Aufsichtsrat kein Vertreter des Landes Niedersachsen sitzt, obwohl 20 Prozent der Aktien bei Niedersachsen liegen. Demnach könnte Niedersachsen keinen Einfluss mehr geltend machen.

    Schulz: Was für die Belegschaft eher eine bedrohliche Nachricht wäre. Der IG-Metall-Vorsitzende Schmoldt hat ja das Land Niedersachsen schon aufgefordert zu handeln. Der niedersächsische Ministerpräsident Wulff allerdings hält dagegen, dass der Einfluss, den man mit den 20 Prozent der Aktien habe, ausreiche. Welchen rechtlichen Einfluss hat das Land?

    Kilian: Durchsetzen gegen den Willen von Porsche, wenn die Mehrheit dort liegt, kann das Land nichts. Höchstens im gemeinsamen Bestreben, eine vernünftige Lösung auch unter Berücksichtigung der Geschichte hinzubekommen, das könnte ein freiwilliger Kompromiss sein. So wird es im Moment auch dargestellt und vielleicht geht es ja auch in diese Richtung.

    Was die Arbeitnehmerrechte betrifft, muss man deutlich unterscheiden. Auf der Ebene des Volkswagen-Konzerns, also einschließlich VW AG, wird die Mitbestimmung von dem Urteil nicht berührt. Was sich ändern könnte - und das ist auch der Gegenstand des Streits in Stuttgart vor dem Arbeitsgericht - ist die neu gebildete Porsche Automobil-Holding AG, die praktisch übergelagert ist über VW. Da fürchtet man in Zukunft, dass vielleicht dort die Hauptentscheidungen fallen und nicht mehr auf der Ebene des VW-Konzerns.

    Schulz: Steht rechtlich denn schon fest, dass Porsche diesen Schritt gehen kann? Es haben die Arbeitnehmer von VW ja angekündigt, rechtlich alle Schritte zu ergreifen, die möglich sind.

    Kilian: Ich kenne jetzt keine Details dieses einstweiligen Verfügungsverfahrens. Das ist ja auch nur ein vorläufiger Akt. Es wird aber ganz schwierig sein, denn es wird ja die Rechtsform der Europäischen Aktiengesellschaft gewählt und da gibt es eben die Möglichkeit, die Porsche beschritten hat, nämlich zunächst freiwillig zu versuchen, eine Regelung herbeizuführen. Das scheint in dieser Form, die angegriffen wird, geglückt zu sein. Oder subsidiär nur noch Anhörungs- und einfache Informationsrechte des Betriebsrats, aber keine echten Mitbestimmungsrechte mehr. Diese Möglichkeit besteht, wenn man die Rechtsform der SE, also der Europäischen Aktiengesellschaft, wählt.

    Schulz: Ein Richterspruch, der gleich heute juristische Konsequenzen hat und ein weiteres Verfahren nach sich zieht. Ist dieses Verfahren symptomatisch für das, was jetzt im Gleichklang oder im Einklang Porsche und VW zu erwarten ist?

    Kilian: Ich hoffe nicht. Bisher lief das mit der Mitbestimmung, jetzt mal von Skandalen abgesehen, bei VW eigentlich nicht schlecht. Auf der anderen Seite könnte es auch eine Überreaktion sein, denn man wird abwarten müssen, welche Entscheidungen jetzt auf der oberen Holding-Ebene überhaupt getroffen werden sollen, welche dann auf VW-Konzernebene zu treffen sind. Da steht ja noch die Vorschrift in der Satzung und auch im VW-Gesetz, dass praktisch bei wichtigen Entscheidungen zwei Drittel Mehrheit erforderlich ist. Von den 20 Delegierten im Aufsichtsrat sind ja 10 von Arbeitnehmerseite besetzt. Mit anderen Worten gegen den Willen der Arbeitnehmer könnte so eine Entscheidung nicht gefällt werden.

    Schulz: Jetzt wehrt sich die VW-Belegschaft dagegen, dass es ja in dem Aufsichtsrat drei VW-Vertreter geben soll und drei Porsche-Vertreter in der Arbeitnehmervertretung, was ein gewisses Ungleichgewicht abbilden würde vor dem Hintergrund, dass VW ja gut 320.000 Mitarbeiter hat und damit fast 30mal so viele Mitarbeiter wie Porsche. Ist das arbeitsrechtlich möglich?

    Kilian: Das ist eine schwierige Frage. Formal gesehen wird es wohl möglich sein. Allerdings von der Idee der Mitbestimmung, der Beteiligung der Arbeitnehmer her gesehen würde es dem Geist aller Regelungen widersprechen, denn es soll ja die Repräsentanz der gesamten Arbeitnehmerschaft abgebildet werden. Das wäre sicher nicht der Fall, wenn dieses Missverhältnis besteht.

    Schulz: Gibt es hier einen Konflikt zwischen dem europäischen Wirtschaftsrecht und dem, was im deutschen Arbeitsrecht als konsensfähig gilt?

    Kilian: Ja, das gibt es. Deshalb hat es ja auch über 20 Jahre gedauert, die Europäische Aktiengesellschaft als Strukturform einzuführen. Das war ausschließlich die Frage der Mitbestimmung, die eine Rolle gespielt hat, und der Kompromiss, der jetzt erzielt worden ist, mit einem gestuften Verfahren führt letztlich dazu, wenn man es formal technisch handhabt, dass immer nur ein Informations- und Beratungsrecht am Schluss heraus kommt, aber auf keinen Fall ein Vetorecht des Betriebsrats.

    Schulz: Und was ist der Ausweg aus diesem Konflikt? Brauchen wir ein europäisches Arbeitsrecht?

    Kilian: Die Frage wird sein, ob dafür eine Kompetenz besteht. Es gibt ja nur eine Kompetenz auf europäischer Ebene, wenn es grenzüberschreitende Vorgänge betrifft. Mit Recht hat auch das Urteil hier im VW-Prozess gezeigt, dass immer von Investoren aus dem Ausland die Rede ist. Porsche wird nicht erwähnt und der ganze Ablauf, der bisher uns vor Augen steht, ist ja eigentlich ein innerdeutscher Vorgang. Aber aus europäischer Perspektive, aus der Perspektive des Gerichts ging es darum, dass Investoren, also Hedgefonds, die ja tatsächlich auch den Anlass für den ganzen Streit gegeben haben, unter den herrschenden Bedingungen nicht an das Kapital heran kamen. So wenigstens die Meinung der Richter.

    Schulz: Informationen und Einschätzungen von Professor Wolfgang Kilian waren das, Wirtschaftsrechtler der Universität in Hannover. Vielen Dank Ihnen!

    Kilian: Vielen Dank auch. Auf Wiederhören!