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Niedersachsens SPD will Wulff-Affäre erneut vor den Landtag bringen

Nach dem vorzeitigen Aus des Ältestenrates der niedersächsischen Landesregierung zum Fall Wulff gibt die oppositionelle SPD nicht nach. Fraktionschef Stefan Schostock will das Thema wieder in den Landtag bringen - ohne einen möglichen Gang zum Staatsgerichtshof auszuschließen.

Das Gespräch führte Dirk-Oliver Heckmann | 21.12.2011
    Bettina Klein: Wir schauen noch einmal zurück auf den gestrigen Nachmittag in Hannover. Der Ältestenrat des Landtages dort hatte sich zu einer Sondersitzung getroffen, auf Antrag der Opposition, und wollte versuchen, Fragen zu klären rund um den Kredit von Christian Wulff, damals aus seiner Zeit als Ministerpräsident. Die Sitzung war nach einer Viertelstunde beendet, denn CDU und FDP, die die Mehrheit in diesem Gremium haben, sahen sich nicht in der Situation, dazu etwas beizutragen, und fanden, der Ältestenrat sei nicht das geeignete Gremium, diesen Fragen nachzugehen.

    Wir haben es gerade in diesem Beitrag gehört: CDU-Fraktionschef Björn Thümler hatte gesagt, die Opposition missbrauche den Ältestenrat für parteipolitische Zwecke. Mein Kollege Dirk-Oliver Heckmann hatte Gelegenheit, gestern Abend darüber mit Stefan Schostok zu sprechen. Er ist der SPD-Fraktionschef im niedersächsischen Landtag. Die Opposition missbraucht den Ältestenrat für parteipolitische Zwecke. Weshalb machen Sie das, war seine erste Frage.

    Stefan Schostok: Mitnichten, um den Ältestenrat zu missbrauchen. Wir haben eine ganz klare Einschätzung gehabt, dass der Ältestenrat wie in anderen Themen auch einfach eine Zuständigkeit hat. Der Ältestenrat ist ja ein Gremium letztendlich des Präsidenten und der Ältestenrat unterstützt den Präsidenten bei der Wahrnehmung seiner Aufgaben, zum Beispiel bei dem Thema Wahrung der Würde und der Rechte des Parlamentes. Das ist für mich eine eindeutige Grundlage dafür, dass man eben auch das Parlament betreffende Gegenstände da diskutieren und erörtern kann, sich auch Auskünfte einholen kann, zum Beispiel vom Gesetzgebungs- und Beratungsdienst, und dass man dann auch beraten kann, wie man dem parlamentarisch dann weiter nachgeht, wenn eben auch Rechte des Parlaments berührt sind.

    Dirk-Oliver Heckmann: Aber Ihnen, Herr Schostok, geht es ja auch um mögliche Verstöße gegen bestehende Gesetze, und da sagt Herr Thümler, zuständig sei hier bei der Gewaltenteilung eben der Staatsgerichtshof, und dieser Weg steht Ihnen jetzt offen. Würden Sie den gehen?

    Schostok: Wir haben weitere Wege, die wir parlamentarisch gehen können. Hier geht es darum, dass Auskünfte durch die Landesregierung erteilt werden. Ein Ministerpräsident und ein ehemaliger Ministerpräsident, sie werden immer auch Mitglieder des Parlaments bleiben. Das heißt, unsere niedersächsische Verfassung gilt da weiterhin und wir werden die Instrumente zum Beispiel der Anfragen oder auch der dringlichen Anfragen – da muss die Landesregierung nämlich unmittelbar antworten -, die werden wir Mitte Januar dann auch benutzen, direkt dann in einer Landtagssitzung. Hier ist eine Chance verpasst worden, die Auskunftsmöglichkeiten zu nutzen, die auch hier der Ältestenrat hat.

    Heckmann: Aber den Weg zum Staatsgerichtshof, den scheuen Sie?

    Schostok: Nein, das kann ich nicht sagen, dass ich den scheue. Es gibt doch viel weitergehende Möglichkeiten, die wir jetzt alle prüfen. Wir sind natürlich Fraktionen in einem Parlament und wir prüfen natürlich erst mal alle parlamentarischen Gegenstände, alle parlamentarischen Möglichkeiten, um uns dann nicht dem Vorwurf aussetzen zu lassen, dass wir nicht erst mal alle parlamentarischen Möglichkeiten genutzt hätten.

    Heckmann: Und dazu, Herr Schostok, gehört ja theoretisch jedenfalls auch ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss. Grüne und Linke erwägen das. Sie sind da noch zurückhaltender?

    Schostok: Die Grünen sagen, das ist im Rahmen der Möglichkeiten, das ist eine Möglichkeit. Das sehen wir genauso, dass das eine Möglichkeit ist. Aber auch hier gilt: Wenn man nicht alle parlamentarischen Möglichkeiten genutzt hat, Auskünfte einzuholen, dann sollte man nicht mit dem letzten Instrument als erstem anfangen. Hier sind vom Bundespräsidenten Auskünfte erteilt worden, die hat uns noch nicht mal die Landesregierung zur Verfügung gestellt. Der Bundespräsident hat Auskünfte zu den Urlaubsreisen erteilt. Das ist eine kleine Anfrage, die wir an die Landesregierung vor sechs Tagen gestellt haben. Die sind bis heute noch nicht beantwortet. Der Bundespräsident selber hat da schon Auskunft gegeben. Also hier sieht man: Das ist auch ein landtagsimmanentes Thema und es ist auch ein regierungsimmanentes Thema.

    Heckmann: Bei dem Kredit, den Christian Wulff bei Frau Geerkens angeblich jedenfalls aufgenommen hat, ist ja die Frage, ob das ein Verstoß gegen das Ministergesetz in Niedersachsen ist. Aber das würde ja nur der Fall sein, wenn es einen Amtsbezug gäbe bei dieser Gewährung des Kredites, und den hat es ja nicht gegeben, sagen zumindest Wulffs Anwälte.

    Schostok: Da wird der Geist des Ministergesetzes sehr eng ausgelegt. Es gibt ja entsprechende Verwaltungsvorschriften auch des Innenministeriums, dort gibt es entsprechende sehr konkrete Begriffsbestimmungen. Wenn man sich die anschaut, wenn man dort sich eine Passage genauer anguckt, gerade was die Frage von Vergünstigungen angeht, oder eben auch die Frage besonderer Vergünstigungen bei Privatgeschäften, zum Beispiel zinslose oder zinsgünstige Darlehen, dann ist die Lage relativ eindeutig schon. Jeder Beamte in Niedersachsen wird sich wundern, dass hier, sage ich mal, relativ locker und spitzfindig argumentiert wird, während der Anschein schon bei einem Beamten für ein Disziplinarverfahren reicht, also hier noch nicht mal eine rechtliche Prüfung vorgenommen werden kann. Insofern: Da bin ich ganz vorsichtig, was die Beurteilung angeht. Wir werden das natürlich auch rechtlich prüfen lassen.

    Heckmann: Bei den Urlaubsreisen, Herr Schostok, da ist ja möglicherweise auch kein Verstoß, wirklich kein juristischer Verstoß feststellbar, weil kein Amtsbezug hergestellt werden kann bei diesen Einladungen nach Florida beispielsweise oder nach Spanien. Bewegen wir uns also jetzt im Bereich von Geschmacksfragen?

    Schostok: So würde ich das noch nicht sagen. Wir bewegen uns sicherlich im Bereich von Widersprüchen. Wenn das Mitreisen einer Person, die einem einen privaten Kredit gegeben hat und der Privatkredit mit privaten Beziehungen begründet wird, aber gesagt wird, es bestünden keine geschäftlichen Beziehungen, aber diese Person dann bei einer höchst dienstlichen, nämlich von der Landesregierung ausgerichteten Wirtschaftsdelegation teilnimmt, da wird dann auf einmal gesagt, das sei dann keine private Geschichte. Also hier ist ein Unternehmer bei einer Delegationsreise der Landesregierung mit dabei gewesen. Diese Widersprüche müssen auch aufgeklärt werden.

    Heckmann: Kommen wir mal, Herr Schostok, zur Anzeigenkampagne für Wulffs Buch, die der Unternehmer Carsten Maschmeyer mitfinanziert hat, und das Ganze im Wahlkampf 2007. Da geht es um knapp 43.000 Euro. Wulff hat nach Angaben seiner Anwälte davon nichts gewusst. Glauben Sie das?

    Schostok: Im Prinzip glaube ich das erst mal. Ich habe keinen Anlass, daran zu zweifeln, wenn er das sagt. Wir haben ja schon einige Themen um Herrn Maschmeyer in der Öffentlichkeit gehabt. Herr Maschmeyer ist eine ziemlich schillernde Persönlichkeit, die anscheinend auch wenig Rücksicht darauf nimmt, seine Vorlieben auch für Personen oder für eine bestimmte Politik oder eben auch was Unterstützung von Gemeinwesen angeht, unterliegen irgendwie speziellen Bedingungen, ist mein Eindruck. Er tritt häufig als Förderer auf und hat ganz eigenwillige Spielregeln für sich dort. Manche können sich anscheinend auch nicht schützen davor.

    Heckmann: Und unter den Nutznießern war auch Gerhard Schröder.

    Schostok: Richtig.

    Heckmann: Ist also die SPD Teil eines doch recht fragwürdigen Netzwerks in Hannover?

    Schostok: Also ich unterstelle das jetzt nicht. Ich weiß, dass das ein großes Thema ist, wo von einem System in Hannover geredet wird. Ich weiß aber – deswegen sage ich das ausdrücklich auf Herrn Maschmeyer bezogen -, dass Herr Maschmeyer in vielen Interviews immer auch zum Besten gegeben hat, was er für unterstützenswürdig hält, und da auch im Prinzip gar keine Rücksicht darauf genommen hat, ob das gefragt oder abgefragt wird. System hieße, dass es ein System von Absprachen gibt, und das unterstelle ich nicht Herrn Wulff, das unterstelle ich auch nicht Herrn Schröder.

    Heckmann: Renate Künast von den Bündnis-Grünen, die sagt, diese Zahlung von Herrn Maschmeyer, diese 43.000 Euro für diese Anzeigenkampagne, die rieche doch sehr nach einer trickreichen Umgehung des Parteispendenrechts. Sehen Sie das auch so?

    Schostok: Ich habe auch das gelesen, was ich heute an Interviews dort gesehen habe, was auch aus dem Verlagsbereich herauskam. Er hat auf jeden Fall nach der Landtagswahl gesagt, er würde die Rechnungen übernehmen. So habe ich das jetzt den Zeitungen entnommen. Deswegen sage ich noch mal ausdrücklich: Herr Maschmeyer ist anscheinend jemand, der jedem und vielen gerne andeutet, was er gut findet, und dann unterstützend tätig wird. Was ich von Verlagsseite gehört habe, erscheint mir relativ plausibel, dass diese Kosten dann danach übernommen wurden, weil der Verlag behauptet ja auch, dass es sozusagen auch gang und gäbe sei. Das kann ich aber nicht beurteilen. Wir als Parteien – ich sage das jetzt mal -, wir, aber auf jeden Fall ich, wo ich ein Teil der SPD eben mitverantworte, wir fragen bei Spenden genau nach, welchen Zweck die Spenden haben. Eine Spendenhöhe in der Höhe muss auch ausgewiesen werden, die muss öffentlich gemacht werden. Wir unterliegen einem sehr strengen Spendenrecht.

    Heckmann: Aber wäre eine solche Zahlung eine trickreiche Umgehung des Parteispendenrechts?

    Schostok: Anscheinend hat Herr Maschmeyer nicht gefragt. Das hat er jedenfalls jetzt beauskunftet. Ich weiß, wenn man einen Wahlkampf macht, wirbt man als Partei um Spenden, und wir sind gehalten, Spenden auch zur Kenntnis zu nehmen und eben auch beschließen zu lassen durch Vorstände. Das Spendenrecht der Parteien ist da unheimlich streng. Deswegen gibt es auch fast überhaupt gar keine Verstöße mehr beziehungsweise Nachfragen. Mir ist schon lange kein einziger Fall mehr aufgetaucht, das wird auch immer öffentlich thematisiert. Hier halte ich das erst mal für eine Unterstellung, die erst mal belegt werden müsste.

    Heckmann: Herr Schostok, laut ARD-Deutschlandtrend halten 44 Prozent der Deutschen Wulff für nicht glaubwürdig, aber 70 Prozent sprechen sich gegen einen Rücktritt aus. Müssen Sie sich da nicht geschlagen geben?

    Schostok: Ich nehme das auf jeden Fall zur Kenntnis. Ich weiß, dass es das höchste Amt im Staate ist und dass man überhaupt hohen Staatsämtern gegenüber mit großem Respekt vorgehen sollte. Trotzdem bleibt natürlich eine Aufklärungspflicht einer Opposition. Ich möchte mir auch nicht die Vorwürfe machen lassen, dass ich nicht alle Fragen gestellt hätte. Ich akzeptiere das aber. Ich finde das auch gut, dass Deutschland dort eine große Stabilität eben auch seitens der Bürgerinnen und Bürger immer wieder beweist. Das ist jetzt eine Momentaufnahme. Ich hoffe, der Bundespräsident trägt auch noch was dazu bei, dass sich dieses Vertrauen dann auch wirklich bewahrheitet.

    Klein: Stefan Schostok, SPD-Fraktionschef im Landtag von Hannover, zu den Vorwürfen gegen Christian Wulff. Er sprach mit meinem Kollegen Dirk-Oliver Heckmann.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.