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"Niemand darf in diesem Land über dem Gesetz stehen. Das gilt auch für die Deutsche Telekom"

Der Chef des Deutschen Gewerkschaftsbundes, Michael Sommer, hat die Telekom vor dem Hintergrund der Spitzelaffäre kritisiert. Ein Konzern dürfe sich nur mit legalen Mitteln vor der Weitergabe vertraulicher Informationen schützen, sagte Sommer, dessen Telefongespräche als Telekom-Aufsichtsrat auch protokolliert wurden. Im Zweifelsfall müsse man als Konzern Strafanzeige stellen, so Sommer.

Michael Sommer im Gespräch mit Dirk Müller |
    Dirk Müller: Wer genau verantwortlich ist an der Spitze des Konzerns, bleibt noch unklar. Fest steht wohl: in den Jahren 2005 und 2006 sind bei der Telekom Telefondaten illegal erfasst und auch ausgewertet worden, um offenbar Verbindungen zwischen Aufsichtsratsmitgliedern und Journalisten herauszufinden. So sollte damit verhindert werden, dass vertrauliche Informationen weitergegeben werden. Die Staatsanwaltschaft ermittelt derzeit gegen Ex-Telekomchef Kai-Uwe Ricke sowie gegen den früheren Chef des Aufsichtsrates Klaus Zumwinkel.
    Opfer der Spitzelaffäre ist auch DGB-Chef Michael Sommer, dessen Daten ebenfalls illegal durchleuchtet worden sind. Er ist jetzt bei uns am Telefon. Guten Morgen!

    Michael Sommer: Guten Morgen. Ich grüße Sie, Herr Müller.

    Müller: Herr Sommer, wie haben Sie davon erfahren?

    Sommer: Am vergangenen Donnerstagabend hat mich Herr Obermann angerufen. Der hat mich davon informiert, dass nach seinen Informationen wohl seitens der Staatsanwaltschaft auch Verbindungsdaten von mir erhoben worden seien. Ich habe ihn dann gefragt nach Umfang und Zeitraum. Das konnte er mir nicht beantworten. Er konnte mir auch nicht beantworten, ob ich eine so genannte Quellperson oder eine Zielperson bin, wie das da wohl so heißt, also ob ich mit abgeschöpft worden bin oder ob ich ganz gezielt abgeschöpft worden bin. Ich weiß das alles nicht. Ich weiß nur definitiv von Herrn Obermann, dass ganz offensichtlich auch der DGB-Vorsitzende in seinem Kommunikationsverhalten ausgeforscht wurde, und das ist schon eine Nummer.

    Müller: Sie sind ja schon seit Monaten auch mit diesem Fall natürlich inhaltlich beschäftigt. Haben Sie insgeheim damit gerechnet, dass auch Sie betroffen sind?

    Sommer: Ja. Natürlich rechnen sie immer damit und Sie sehen ja auch, dass wir in einer Welt leben, wo ja manches möglich ist, was wir alles für unmöglich gehalten haben. Ich hätte es auch nicht wirklich für möglich gehalten, dass eine Lidl-Verkäuferin in ihrer Umkleidekabine oder wo sonst auch immer, in Nebenräumen einer Filiale bespitzelt wurde, dann anschließend Lidl auch bereitwillig Bußgelder bezahlt. Das sind alles Vorgänge; die sind unappetitlich und die zeigen, dass wir beim Arbeitnehmerdatenschutz wirklich Nachholbedarf haben. Und dass der DGB-Vorsitzende betroffen ist, ist schlimm. Ich kann wahrscheinlich damit umgehen. Eine Kollegin, die in einer Verkaufsfiliale betroffen ist, wird damit wahrscheinlich noch größere Probleme haben. Mit der fühle ich eigentlich noch mehr mit als mit mir selbst.

    Müller: Sie hatten ja bereits, Herr Sommer, mit anderen ehemaligen Arbeitnehmervertretern Anzeige gestellt. Haben Sie das Gefühl, dass das alles ernst genommen wird und dass man dort Fortschritte erzielt?

    Sommer: Das kann ich Ihnen nicht sagen. Wir haben Rechtsanwälte beauftragt, in unserem Fall Herrn Baum, den früheren Innenminister, und Frau Däubler-Gmelin, die frühere Justizministerin, die uns anwaltlich vertreten und die auch für uns Anzeige erstattet haben, die auch in Kommunikation mit der Staatsanwaltschaft stehen. Das was ich bislang erfahren habe, habe ich von Herrn Obermann in dem besagten Telefonat erfahren. Er rief mich gestern noch mal an, um mir zu sagen, dass er auch dieses Telefonat als Entschuldigung empfunden hat. Ich sage das ausdrücklich, damit das auch klar ist zwischen uns. Er hat sich gestern bei mir entschuldigt, hat sein erstes Telefonat auch schon als Entschuldigung verstanden. Damit ist der eine Teil erledigt. Der andere Teil ist natürlich: der Fakt bleibt, dass ich abgehört worden bin beziehungsweise dass meine Verbindungsdaten überprüft worden sind, was auch immer. Ich weiß es ja nicht genau. Von der Staatsanwaltschaft weiß ich bislang nichts und das ist ein Fall, der sich auf jeden Fall nicht wiederholen darf. Denn Sie müssen ja eins sehen: der Beruf eines DGB-Vorsitzenden besteht unter anderem darin, dass sich viele Menschen an mich wenden, vertraulich auch, die Probleme haben, mit denen ich dann telefoniere. Die rufen bei mir im Büro an, ich rufe die dann zurück oder was auch immer, kümmere mich um deren Probleme, sage denen etwas zu oder auch nicht. Ich telefoniere mit Regierungsmitgliedern, ich telefoniere mit Botschaftern ausländischer Staaten und ich weiß nicht, ob das irgendjemand was angeht, womit der DGB-Vorsitzende telefoniert, mit wem wann und wie. Auch eine private Firma geht das nichts an und niemand darf in diesem Land über dem Gesetz stehen. Das gilt auch für die Deutsche Telekom"

    Müller: Werden Sie jetzt in irgendeiner Form, wenn es um Telefonate geht, wenn es auch um das Vermitteln von vertraulichen Informationen geht, auch mit Blick auf andere Unternehmen, mit Blick auf Ihre tägliche Arbeit, Ihr Verhalten ändern?

    Sommer: Das wäre das schlimmste, was man tun kann. Ich sage Ihnen ganz ehrlich: mein Beruf besteht zum großen Teil auch aus Kommunikation und ich muss kommunizieren können. Was ich ändern will, ist die Praxis in diesem Land, dass es ganz offensichtlich einige Menschen gibt, die meinen, sie stünden über dem Gesetz und sie könnten zum Beispiel andere überprüfen lassen. Das darf in diesem Land nur der Staat beziehungsweise die Staatsanwaltschaft auf richterliche Anordnung beziehungsweise in einem Strafverfahren. Das muss sich ändern, nicht mein Kommunikationsverhalten darf sich ändern oder das Verhalten einer Verkäuferin, das Verhalten eines Menschen, der irgendwo draußen im Außendienst ist und überprüft wird, oder was auch immer, sondern es geht darum, dass es hier nach Recht und Gesetz geht und jeder sich in diesem Land darauf verlassen können muss.

    Müller: Jetzt müssen wir, Herr Sommer, natürlich auch einmal über die andere Seite reden. Wir lassen einmal die rechtliche Komponente der Auseinandersetzung, die Illegalität dessen, was passiert ist, weg. Vertrauliche Informationen weitergeben, das ist ja nun auch häufig ein Problem. Sie haben ja auch gerade geschildert, dass die Vertraulichkeit für Sie ein wesentliches Gut ist, dass Kommunikation so wichtig ist. Es gibt immer wieder - da müssen die Medien sich auch an die eigene Nase fassen - Informationen, die von den Medien, von den Journalisten lanciert werden und die man eigentlich nicht hätte lancieren dürfen, weil es eben in vertrauter Runde zunächst einmal besprochen worden ist. Ist das tatsächlich auch für Sie ein Problem?

    Sommer: Ich halte das generell für ein Problem in diesem Land, diese Form von Durchstechereien und von Informationsweitergabe und dem Versuch, über Dritte Politik zu machen, und Ähnliches mehr. Ich halte das für eine wirkliche Fehlentwicklung. Im konkreten Fall, um das zu sagen: Natürlich muss ein Unternehmen sich schützen und muss auch in der Lage sein, dass seine Daten vertraulich behandelt werden. Ich fühle mich übrigens als Aufsichtsrat der Telekom diesem Ziel auch verpflichtet. Ich sage das ausdrücklich. Deswegen würde ich auch Daten nicht weitergeben. Aber wenn ein Unternehmen den Eindruck hat, dass das passiert, dann muss es dem mit legalen Mitteln nachgehen. Im Zweifelsfall muss es Strafanzeige stellen. Was es nicht machen darf, was das Unternehmen auf gar keinen Fall machen darf, ist sozusagen das Recht oder das Unrecht in die eigene Hand nehmen und dann zu überprüfen. Das geht auf gar keinen Fall. Im Übrigen sage ich noch mal: Ich glaube auch, dass wir in diesem Land wieder eine Kultur entwickeln müssen, wo Vertraulichkeit Vertraulichkeit ist und wo man nicht versucht, über Dritte oder über Durchstechereien Politik, Wirtschaftspolitik oder sonst irgendetwas zu machen.

    Müller: Sie müssen uns kein konkretes Beispiel nennen, Herr Sommer. Aber ich habe Sie schon richtig verstanden, dass Sie auch ganz oft überrascht sind, wenn Sie die Zeitungen aufschlagen oder auch Fernsehen schauen. Dann müssen Sie sich die Augen reiben und sagen, woher wissen die das jetzt.

    Sommer: Ja. Ich bin jetzt im sechsten Jahr DGB-Vorsitzender. Ich habe da schon einiges erlebt, was mich manchmal schon erstaunt, auch aus dem eigenen Haus, und wo ich dann schon verstehen kann, dass der eine oder andere sich fragt, muss denn das sein. Nur es nützt alles nichts. Es geht in diesem Land immer noch danach, dass wir zum einen nach Recht und Gesetz leben müssen. Das ist der eine Teil. Der zweite Teil ist der, dass ich zu den vielleicht altmodischen Menschen gehöre, die immer noch meinen, dass es Werte und Güter in diesem Land gibt, die es zu verteidigen gibt. Dazu gehört auch die Vertraulichkeit der Information, auch die Vertraulichkeit des gesprochenen Wortes, wenn es vertraulich ist, und dass ich persönlich Durchstechereien einfach nicht mag.

    Müller: Bei uns heute Morgen im Deutschlandfunk DGB-Chef Michael Sommer. Vielen Dank für das Gespräch, Herr Sommer. Auf Wiederhören!

    Sommer: Bitte schön.