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Niemand kann sagen, "welche Lösung am Ende herauskommt"

Erst Gespräche mit den Grünen, keine Ausschließeritis der Linken, eine große Koalition unter SPD-Führung - die NRW-SPD ist im Koalitionsstress. Landesvize Ott lässt alle Optionen offen - ermuntert aber die FDP, sich zu bewegen.

    Jochen Spengler: Große Koalition, oder Rot-Rot-Grün. Nach dem Scheitern von Schwarz-Gelb bei der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen pokern CDU und SPD um die Macht in Düsseldorf. Beide Parteien haben gleich viele Sitze. Eine Zeitung hat geschrieben, die CDU ist auf SPD-Niveau abgestürzt. Aber die CDU hat 0,1 Prozentpunkte mehr Stimmen bekommen, liegt also minimal vorne.
    Ein wenig erinnert die Situation an die Bundestagswahl 2005, oder auch an die Landtagswahl in Hessen 2008. Die CDU liegt knapp vor der SPD, kann aber mit der FDP ebenso wenig eine Regierung bilden wie die Sozialdemokraten mit den Grünen. Ein Bündnis von CDU, FDP und Grünen wollen die Grünen nicht, ein Bündnis von SPD, Grünen und FDP will die FDP nicht. Es bleibt also nur Rot-Rot-Grün, oder die Große Koalition. 2005 hatte Noch-Kanzler Gerhard Schröder nach der Wahl folgendermaßen getönt:

    O-Ton Gerhard Schröder: Ich fühle mich bestätigt, für unser Land dafür zu sorgen, dass es auch in den nächsten vier Jahren eine stabile Regierung unter meiner Führung geben wird.

    Spengler: Mit seinem Auftritt bewirkte Schröder vor allem eines: Die Union scharte sich wieder eng um die angeschlagene Angela Merkel. Die wurde am Ende Kanzlerin einer großen Koalition. – Am Telefon ist jetzt Jochen Ott, stellvertretender SPD-Vorsitzender in Nordrhein-Westfalen und SPD-Chef in Köln. Guten Morgen, Herr Ott.

    Jochen Ott: Guten Morgen!

    Spengler: Warum machen SPD-Politiker immer die gleichen Fehler?

    Ott: Im Gegenteil! Hannelore Kraft hat überhaupt keinen Fehler gemacht, sondern sie hat darauf hingewiesen, dass Jürgen Rüttgers abgewählt worden ist. Wir haben die gleiche Sitzzahl im Parlament und es ist wohl eindeutig, dass der Wähler in Nordrhein-Westfalen jedenfalls Jürgen Rüttgers nicht mehr als Ministerpräsident haben will, und jetzt geht es darum, wie es in einer Demokratie üblich ist, auszuloten, wie eine Regierung unter Führung von Hannelore Kraft gebildet werden kann.

    Spengler: Der Fehler liegt darin, dass ein Führungsanspruch reklamiert wird, auch wenn man nicht stärkste Partei geworden ist.

    Ott: Das ist kein Fehler, und zwar aus folgendem Grund: Wir sind ja, was die Parlamentssitze angeht, gleich stark, und interessanterweise haben wir ja in Schleswig-Holstein die Situation, dass der CDU-Ministerpräsident keine Stimmenmehrheit hat, aber mehr Überhangmandate, und damit wird der Anspruch auf eine Regierungsbildung für Schwarz-Gelb begründet. Also man muss da schon ein bisschen konsequent bleiben. Ich denke, es ist der richtige Ansatz, jetzt deutlich zu machen, Schwarz-Gelb ist abgewählt, diese Regierung hat keine Zukunft in NRW, und jetzt muss geguckt werden – sicherlich nicht einfach -, wie man denn weiter nach vorne gehen kann.

    Spengler: Herr Ott, das hat für Sie nichts mit politischem Anstand zu tun, zu respektieren, dass man leider nur zweiter Sieger geworden ist?

    Ott: Noch mal: Wir haben beide 67 Sitze im Landtag ...

    Spengler: Aber Sie haben 6000 Stimmen weniger!

    Ott: Ja, selbstverständlich. Aber es geht am Ende um die Frage, eine Mehrheit im Parlament zu bilden, und ich finde, was viel schlimmer im Moment ist, dass alle möglichen Parteien erklären, mit wem sie alles nicht regieren wollen. Wenn wir in einem Fünf-Parteien-System scheinbar angekommen sind, dann muss man unter Demokraten sich die Frage stellen, wie soll hier in Zukunft ein Land regiert werden, und es kann ja nicht die Lösung darin bestehen, dass grundsätzlich immer nur eine große Koalition die Lösung ist, sondern es muss möglich sein, dass die Parteien miteinander reden und eine Regierung ausloten, und das wird jetzt geschehen. Der wichtigste Partner sind für uns die Grünen, und deshalb sprechen wir mit denen auch zuerst.

    Spengler: Heißt das, wenn die SPD den Führungsanspruch reklamiert, eine große Koalition mit der CDU scheidet eigentlich definitiv aus?

    Ott: Ich bin der festen Überzeugung, dass alle Lösungen, die in der SPD gewählt werden, natürlich schwierig sind, weil es gibt viele Mitglieder, die der Meinung sind, niemals mit der CDU, es gibt andere Mitglieder, die sagen, niemals mit der Linken, es gibt dritte, die sagen, niemals mit der FDP, und umgekehrt ist das in anderen Parteien auch so. Das zeigt ja, wenn Wahlergebnisse eben so sind, wie sie sind, nämlich so knapp, und wenn es keine klaren Mehrheiten gibt, dass es nicht einfach und schwierig wird. Aber welche Lösung am Ende herauskommt, kann zum jetzigen Zeitpunkt niemand sagen. Deshalb ist der Ansatz richtig, den Hannelore Kraft gewählt hat und den wir gestern in den Gremien auch klar bestätigt haben: Es geht um Inhalte, es geht darum, wo kriegen wir die Punkte, mit denen wir Wahlkampf gemacht haben und die ja in allen Umfragen auch bei den Kompetenzen uns deutlich vorne gesehen haben, in der Bildungspolitik beispielsweise, in der Frage der Kommunalfinanzen, in der Frage der Korrektur der Bundespolitik, was Kopfpauschale und Atomausstieg angeht, wo kriegen wir da eine Mehrheit hin und wo kriegen wir unsere Inhalte durchgesetzt. Dann müssen wir am Ende sehen, was geht.

    Spengler: Herr Ott, es müssen sich in der Politik ja auch immer Partner verstehen, die müssen ja irgendeinen Draht zueinander haben. Ist das für Sie denkbar, mit einer CDU inklusive Rüttgers zusammenzuarbeiten?

    Ott: Ich glaube, das deutlichste Ergebnis des Wochenendes war, dass Rüttgers abgewählt worden ist. Und die Art und Weise, wie er sich am Sonntagabend aus dem Landtag verkrümelt hat, hat ja das Übrige dazu getan. Ich meine, er hat ja im Grunde genommen damit symbolisiert oder symbolisch deutlich gemacht, dass er selbst sich sozusagen vom Platz nimmt. Deshalb denke ich, dass Jürgen Rüttgers mit Sicherheit nicht Ministerpräsident dieses Landes bleiben kann, jedenfalls nicht mit Stimmen der SPD.

    Spengler: Das war eigentlich nicht meine Frage. Meine Frage war: Würden Sie mit ihm überhaupt zusammenarbeiten können?

    Ott: Wie gesagt, in einer Situation, in der es keine klaren Mehrheiten gibt, muss mit jedem am Ende des Tages geredet werden, aber unser Hauptansprechpartner sind jetzt die Grünen. Die Gespräche finden bald statt, um zu gucken, wie gehen wir gemeinsam weiter vor. Wir haben immer gesagt, das ist unser Wunschpartner. Jetzt reicht es nicht für Rot-Grün allein, leider, aber wir werden dann mit den Grünen gemeinsam Stück für Stück in den Gesprächen ausloten, wo die Inhalte am besten umzusetzen sind, und dann muss man das Endergebnis abwarten.

    Spengler: Also Rot-Rot-Grün, was Sie nicht ausschließen. – Sie haben sich ja mal mit der NRW-Chefin der Linken, mit Katharina Schwabedissen, zum Essen verabredet. Da hat Ihre Partei ziemlich sauer reagiert. Klopft man Ihnen inzwischen auf die Schulter, weil Sie die Kontakte geknüpft haben?

    Ott: Erstens war es ein Kaffee und zweitens ist es ja sehr amüsant, wie das auch damals schon von dem einen oder anderen bewertet wurde. Ich glaube, dass das Entscheidende am Ende ist, dass man Menschen kennt, kennenlernt, dass man weiß, was wollen die inhaltlich, und dann muss man abwägen, kann man mit diesen eine verlässliche Regierung bilden. Es geht einerseits um Inhalte, aber natürlich um Stabilität für Nordrhein-Westfalen, und dazu hat Hannelore Kraft ja ihre Einschätzung abgegeben. Nur zum jetzigen Zeitpunkt bei solchen Wahlergebnissen, die ja, wie wir sehen, in Deutschland jetzt scheinbar häufiger der Fall sind, macht es einfach keinen Sinn, frühzeitig mit Ausschließerietis vorzugehen, und was die FDP angeht, muss man einfach sagen, die FDP hat jetzt eine Blaupause dafür, wie es ihr gehen wird auch nach der Bundestagswahl, und wenn sie sich weiter einseitig in babylonische Gefangenschaft der CDU begibt, dann wird sie demnächst gegen die Grünen auf Bundesebene ausgewechselt. Deshalb ist es auch für die FDP, glaube ich, sehr lohnend, darüber nachzudenken, ob man nicht an der einen oder anderen Stelle auch mal über den Schatten springt und die alte liberale Tradition, die ja nicht nur marktradikal war, sondern auch liberal im Sinne der Bürgerrechte, ob man diese Seite nicht noch mal stärker betont, weil da gibt es ja durchaus Gemeinsamkeiten.

    Spengler: Also eine Ampel mit Grünen und FDP, das verstehen wir wohl, wäre Ihnen lieber als ein rot-rot-grünes Bündnis. – Wir sprechen mit Jochen Ott, dem stellvertretenden SPD-Vorsitzenden von Nordrhein-Westfalen. – Herr Ott, um noch mal auf den Kaffee mit der NRW-Chefin der Linken zurückzukommen. Welche Erkenntnis hatten Sie denn nach dem Kaffeetrinken? Kann man mit denen regieren?

    Ott: Ich hatte das ja damals immer wieder deutlich gemacht. Wir haben die Situation, dass Die Linke für sich die Frage nicht geklärt hat. Deshalb haben sowohl die Grünen als auch Hannelore Kraft immer wieder deutlich gemacht, dass die Linken ihr eigenes Verhältnis zur Verantwortung klären müssen. Wie gesagt, zum jetzigen Zeitpunkt geht es für die SPD in Nordrhein-Westfalen darum, deutlich zu machen, wir wollen in diesem Land eine stabile und eine inhaltlich starke Regierung bilden, und um das vernünftig hinzubekommen, gibt es jetzt Gespräche zunächst mal mit den Grünen. Alles Weitere sieht man dann.

    Spengler: Es wird dann auch Gespräche mit den Linken geben?

    Ott: Wir haben ja von Anfang an gesagt, dass wir sprechen werden, und jetzt zunächst geht es darum, mit den Grünen auszuloten, wie sieht es denn inhaltlich aus, und dann muss man am Ende abwarten, wie die Grünen und wir zu welchem Ergebnis wir kommen, mit wem wir sprechen, wie wir sprechen, mit welchen Inhalten, welche Inhalte wir in den Vordergrund stellen. Wie gesagt, da müssen wir ein bisschen Geduld haben. Ich denke, es wird in den nächsten Tagen und Wochen viele Möglichkeiten geben, Dinge zu wägen, zu besprechen. Und was ganz wichtig ist für diese SPD, die ja von einer – das darf man nicht vergessen – wirklich bedrohlichen Situation im Herbst letzten Jahres das Vertrauen von vielen Menschen entzogen bekommen hat, diese SPD hat sich bei dieser Wahl wieder gefangen. Man kann die Wahlergebnisse nicht vergleichen mit der letzten Landtagswahl, sondern man muss gucken, wo wir herkommen: von dem Ergebnis der Bundestagswahl, viele Menschen, die wir enttäuscht haben. Deshalb ist es ganz besonders wichtig, dass wir jetzt unsere Inhalte, das, was wir versprochen haben, eben möglichst in einer Regierung auch umsetzen können und daran arbeiten, dass wir unser verloren gegangenes Vertrauen systematisch weiter aufbauen, so wie Hannelore Kraft das in den letzten Wochen auch geschafft hat.

    Spengler: Würden Sie denn dieses Vertrauen wieder riskieren, wenn Sie jetzt doch mit der Linken zusammenarbeiteten?

    Ott: Ich glaube, wir werden, egal welche Lösung am Ende dabei herauskommt, immer einen Teil der Menschen damit sozusagen nicht zufrieden machen. Es gibt jetzt schon in den Parteizentralen in Nordrhein-Westfalen E-Mails von Leuten, die sagen, niemals Große Koalition, es gibt andere, die mailen, niemals mit der Linken, es gibt dritte, die werden mailen, niemals mit der FDP. Das ist das Problem in solchen Situationen, weil in einer Volkspartei viele, viele Menschen unterschiedliche Vorstellungen haben. Deshalb ist es ja so wichtig, dass die Sozialdemokratie ihre Inhalte in den Mittelpunkt stellt, und da geht es eben um die Gebührenfreiheit von der Kita bis zum Studium, da geht es um die Frage eines längeren gemeinsamen Lernens, da geht es um die Ablehnung der Kopfpauschale im Bundesrat und den Stopp des Ausstiegs aus dem Ausstieg bei der Atomenergie. Wenn wir diese Punkte umgesetzt kriegen, dann ist das wichtig und richtig, und mit wem, das wird man jetzt ausloten.

    Spengler: Jochen Ott, stellvertretender SPD-Vorsitzender in NRW. Danke für das Gespräch, Herr Ott.

    Ott: Bitte schön!