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Nigeria
Erstes Chibok-Mädchen frei

Vor zwei Jahren verbreitete sich die Nachricht nahezu weltweit: Im nigerianischen Ort Chibok hatten Kämpfer der Terrorgruppe Boko Haram 219 Schülerinnen entführt, von denen anschließend lange Zeit jede Spur fehlte. Nun ist eine der jungen Frauen wieder frei. Offenbar hat sie ein Kind von einem der Kämpfer.

Von Jens Borchers | 19.05.2016
    Ein Frau protestiert für die Befreiung der von Boko Haram entführten Mädchen.
    Ein Frau protestiert für die Befreiung der von Boko Haram entführten Mädchen. (imago stock&people)
    Seit April 2014 sind sie verschwunden – 219 Schülerinnen aus dem Ort Chibok im Nordosten Nigerias. Mehr als zwei Jahre lang konnten die nigerianischen Sicherheitskräfte diese jungen Frauen nicht finden. Klar war nur: Sie sind in der Gewalt der radikalislamistischen Terrormiliz Boko Haram. Am Dienstag ist jetzt erstmals eine der jungen Frauen gefunden worden. Ein Funken Hoffnung, auch für die Eltern der meisten anderen Entführten.
    Über zwei Jahre haben Eltern und Aktivisten demonstriert und gefordert, gebetet und gebettelt – und jetzt ist endlich wenigstens eine der entführten jungen Frauen wieder frei. Hosea Abana ist einer der Sprecher der Chibok-Gemeinschaft, also derjenigen, die sich für die Befreiung der Schülerinnen eingesetzt haben. Abana bestätigt – Amina Ali ist frei:
    "Ja, das ist Amina", sagt Hosea Abana. Leute aus ihrem Dorf haben sie eindeutig identifiziert. Wie die junge Frau freikam, ist noch keineswegs geklärt. Als 17-Jährige war sie entführt worden. Offenbar wurde die jetzt 19 Jahre alte Frau am Dienstag im Grenzgebiet zwischen Nigeria und Kamerun gefunden. Sie habe Brennholz gesammelt. Im Sambisa-Wald, einem riesigen, extrem unübersichtlichen Gebiet. Sie wurde von Mitgliedern einer freiwilligen Bürgerwehr entdeckt, die dort Patrouille gehen, berichtet der Sprecher der Chibok-Gemeinschaft.
    "Ihr geht es gut", sagt Hosea Abana. "Allerdings hat man uns gesagt, sie habe gestillt. Man habe sie mit einem Baby gefunden."
    Aus zahlreichen Quellen ist bekannt, dass die Boko-Haram-Kämpfer junge Frauen zwangsverheiraten und sexuell ausbeuten. Oft haben befreite Entführungsopfer Kinder von ihren Vergewaltigern. Genau das hatten auch die Eltern der Chibok-Mädchen befürchtet. Jetzt gibt es den ersten klaren Beleg dafür. Mehr als zwei Jahre lang hatten Nigerias Sicherheitskräfte auch mit ausländischer Unterstützung nach den Chibok-Schülerinnen gesucht. Ohne Erfolg. Mit Amina Ali haben sie jetzt eine Zeugin, die eventuell wichtige Informationen geben kann. Hosea Abana, der Sprecher der Chibok-Gemeinschaft, hatte oft gehört, wahrscheinlich habe Boko Haram die Schülerinnen in unterschiedliche Zeltlager gebracht. Amina Ali hat offenbar etwas Anderes berichtet:
    "Nein, sie sind alle zusammen", hat sie gesagt! Hosea Abana wird laut und erregt. Alle sind okay – bis auf sechs, die gestorben sind.
    Die jetzt befreite Amina Ali wird vielleicht sagen können, wer genau die jungen Frauen sind, die umkamen. Das wird bitter sein für die betroffenen Eltern. Und es wird den Angehörigen der 212 Chibok-Schülerinnen, die immer noch in der Gewalt von Boko Haram sind, Hoffnung geben. Denn bisher wussten sie nicht einmal sicher, ob ihre Töchter überhaupt noch leben.
    "Ja, sie leben tatsächlich", sagt Hosea Abana. "Und jetzt müssen sie gefunden werden. Das hat uns große Hoffnung gegeben."
    Nigerias Armee hatte in den zurückliegenden Monaten immer wieder Erfolge gemeldet: Man habe Entführungsopfer befreit. Man habe sie in ihre Heimatdörfer gebracht. Ein Mädchen aus Chibok war bisher nie dabei. Erst jetzt haben Mitglieder einer Bürgerwehr offenbar zufällig eine der Chibok-Schülerinnen gefunden. Amina Ali ist bereits in ein Militärlager in der Nordost-Region Nigerias gebracht worden. Dort soll sie befragt werden.
    Wenn sie dann irgendwann nach Hause kommen wird mit ihrem Baby, dann wird sie es voraussichtlich nicht leicht haben. Frauen, die aus Boko-Haram-Gefangenschaft frei gekommen sind, werden häufig von ihren Dorfgemeinschaften nicht mehr akzeptiert. Weil befürchtet wird, dass sie Sympathien für Boko Haram hegen, eventuell sogar bereit wären, Attentate zu verüben. Eine zweite schwere Bürde für die Frauen, die gerade aus Boko-Haram-Gefangenschaft kommen.
    Immerhin: Eine Chibok-Schülerin ist nach mehr als zwei Jahren wieder frei. Und die Eltern und Aktivisten werden weiterhin die Befreiung der anderen 212 jungen Frauen fordern.