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Nigeria
Schülerinnen frei - viele Fragen offen

Die Erleichterung ist groß: Die meisten der von der Terror-Miliz Boko Haram entführten nigerianischen Schülerinnen sind wieder in ihr Heimatdorf Dapachi gebracht worden. Die Hintergründe sind bisher unklar - ebenso die Frage, welche Lehren aus dem erneuten Entführungsdrama gezogen werden.

Von Jens Borchers | 22.03.2018
    Das Bild zeigt die Schule in Dapche/Nigeria, aus der mehr als 100 Schülerinnen entführt wurden.
    Die Entführung von mehr als 100 Schülerinnen aus der Schule in Dapchi nahm für die meisten ein glimpfliches Ende (dpa-Bildfunk / AP / File TV)
    Aisha Deri steht in einem Pulk von Menschen im Dorf Dapchi. Sie war entführt worden, jetzt ist sie wieder frei und unverletzt. Von allen Seiten kommen Fragen, vor allem eine: Warum haben sie euch freigelassen?
    "Sie haben gesagt, weil wir Muslima sind", so antwortet die Schülerin. Niemand weiß in diesem Moment, warum die meisten der 110 von Boko Haram entführten Schülerinnen heute am frühen Morgen wieder in ihr Heimatdorf Dapchi gebracht wurden. Und niemand will das in diesem Moment so genau wissen. Alhaji Deri, der Vater von Aisha, sagt einem Reporter der Nachrichtenagentur AFP:
    "Als ich von der Freilassung hörte, habe ich erstmal auf eine Bestätigung gewartet. Aber dann, 10, 20 Minuten später, war das Dorf plötzlich voll mit Menschen die beteten und sich freuten."
    Details der Freilassung unklar
    Die Details, wie die Schülerinnen heute Morgen gegen acht Uhr zurück ins Dorf kamen, werden unterschiedlich erzählt. Sie seien von ihren Kidnappern in Lastwagen vor ihre Schule gefahren und dort abgesetzt worden, sagen die einen. Nigerias Informationsminister Lai Mohammed hatte in der weit entfernten Hauptstadt Abuja eine andere Version:
    "Viele der Mädchen sind nicht an einer einzigen Stelle freigelassen worden, sondern an verschiedenen Punkten der Straße. Von dort gingen sie zu ihren Eltern."
    Es ist noch nicht ganz klar, wie viele Schülerinnen jetzt wieder frei sind. Knapp über hundert sollen es sein. Unbestätigten Meldungen zufolge seien fünf Mädchen während und kurz nach der Entführung ums Leben gekommen. Wo und wie - das zählt zu den vielen offenen Fragen nach der Freilassung der Mädchen.
    Angeblich kein Lösegeld
    Dass ein Lösegeld gezahlt wurde, bestreitet Nigerias Regierung. Aber natürlich stellt sich dann die Frage, aus welchem Grund die Terrormiliz Boko Haram die jungen Frauen freigelassen hat. Ebenso so unklar ist, warum sie mit ihren Lastwagen offenbar unbehelligt zumindest sehr nahe an das Dorf Dapchi heranfahren konnten, um ihre Geiseln freizulassen. Denn seit der Entführung Mitte Februar ist das Dorf von Militäreinheiten gesichert. Die griffen heute Morgen anscheinend nicht ein.
    Vorwürfe gegen Nigerias Sicherheitskräfte
    Die Freude über die Rückkehr der Schülerinnen überstrahlt das alles bisher. Aber früher oder später wird die Regierung auf die Vorwürfe antworten müssen, die Isa Sanusi von Amnesty International in Nigeria erhoben hat. Die Sicherheitskräfte hätten vor dem Kidnapping in Dapchi nicht auf Warnungen reagiert. Auch danach hätten sie ein miserables Bild abgegeben, sagt Sanusi:
    "Da ging erstmal alles durcheinander: Anfangs bestritten sie die Entführung, dann räumten sie sie ein und beschuldigten sich gegenseitig. Genau so war es auch bei der Entführung der Schülerinnen in Chibok 2014. Deshalb haben wir den Eindruck, man hat seitdem nichts dazu gelernt. Und das ist nicht zu entschuldigen."
    Für den Moment zeigt Nigerias Regierung nur Erleichterung. Befreundete Staaten hätten mitgeholfen, die Freilassung der Schülerinnen möglich zu machen. Namen nannte der Informationsminister nicht. Ob aus dem neuerlichen Entführungsdrama in Nigeria nach diesem glimpflichen Ende Lehren gezogen werden, das ist jetzt noch nicht abzusehen. Angekündigt war eine intensive Untersuchung der Vorgänge. Bisher jedenfalls.