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Nikaia in Griechenland
Der Niedergang einer Gemeinde

Die Gemeinde Nikaia liegt nur zehn Kilometer von der Athener Innenstadt entfernt. Doch von urbanem Treiben ist hier nichts zu spüren: Die Krise hat den Ort kaputt gemacht. Leere Ladenlokale reihen sich aneinander. Die Menschen können sich nichts mehr leisten - und sehnen sich nach besseren Zeiten. 

Von Wolfgang Landmesser | 07.05.2016
    Männer sitzen auf Stühlen vor einer Wand mit abgeplatzter Farbe und Putz in einem Krankenhaus und warten.
    Krankenhaus in Nikaia: Auch das Gesundheitssystem leidet unter der Krise. (imago stock&people)
    Jiorgos Zapheiridis hat gerade neue Seiten auf die Bouzouki eines Freundes gezogen. Jiorgos ist Instrumentenbauer, spezialisiert auf das typisch griechische Zupfinstrument. Halb fertige Bouzoukia hängen ringsum in der Werkstatt, zwei Bouzouki-Bäuche hat er gerade von innen verleimt. Vor allem Läden in der Plaka, der Athener Altstadt, verkaufen seine Fabrikate. Zielgruppe sind Touristen:
    "Wegen der Krise verkaufen wir nur noch an Touristen. Die Griechen haben kein Geld mehr für solche Dinge - bei so vielen Arbeitslosen. Im Sommer läuft das Geschäft wie früher, aber im Winter kommt kein Mensch. Wir müssen Geduld haben."
    Seit 33 Jahren hat Jiorgos seine Werkstatt in Nikaia, einer Gemeinde etwa zehn Kilometer von der Athener Innenstadt entfernt. In der Plaka mit ihren Souvenirläden und Tavernen ist von der Krise kaum etwas zu spüren. Hier in Nikaia hat sie voll zugeschlagen. Auch der Souvlaki-Laden in der Nähe hat jetzt dicht gemacht, erzählt Jiorgos.
    "Den Souvlaki-Laden gab es 70 Jahre und wegen der Krise musste er schließen. Es gab dort gute Frikadellenspieße, aber zwei Euro pro Spieß ist zu teuer, wenn du nur 400 Euro verdienst, das können sich die Leute nicht mehr leisten."
    "Für die, die keine Arbeit haben, ist es schlimm"
    Ein Spaziergang durch Nikaia ist deprimierend. Überall stehen Ladenlokale leer - einige schon so lange, dass die Scheiben verstaubt sind und die Schilder "enoikiazetai" - "zu vermieten" halb abgerissen. Dazwischen gibt es immer wieder Häuser im Rohbau - vor der Krise angefangen und niemals fertiggestellt. Und alte Häuser, die einfach verfallen.
    In einer verkehrsberuhigten Seitenstraße treffe ich Maria und ihre Familie. Sie ist vor über 20 Jahren aus Usbekistan nach Griechenland ausgewandert, wo früher viele Griechen gelebt haben, erzählt sie. Lange hätten sie hier gut gelebt. Aber mit der Krise habe sich alles verändert, auch wenn sie selbst einigermaßen über die Runden komme.
    "Ich beziehe Rente, mein Sohn arbeitet, wir sind von der Krise nicht so stark betroffen. Aber für die, die keine Arbeit haben, ist es schlimm."
    Jiannis, einer ihrer beiden Söhne, ist Polizist und wohnt noch bei seiner Mutter. Nicht besonders schön, aber ruhig sei es in Nikaia, im Gegensatz zum Omoniaplatz in der Innenstadt zum Beispiel.
    Keinen Grund zur Klage also, meint er. Und seine Schwägerin Katerina schließt sich an. Ihr Mann fährt zur See und ist viele Monate von zu Hause weg. Sie ist arbeitslos und kümmert sich um die vier Monate alte Tochter, die im Kinderwagen liegt. Aber immerhin: Sie können von der Arbeit ihres Mannes leben, sagt sie.
    "Wir haben kein Geld für unsere Medikamente"
    Captain Nicolas, wie er sich nennt, sitzt ein paar Straßen weiter vor der Kneipe "Tsipouradiko" und flucht. Sag denen in Deutschland, sie hätten aus Griechenland ein Bordell gemacht. Alle hier strengten sich an, aber es reiche einfach nicht zum Leben, meint der 72-jährige Rentner:
    "Wir haben kein Geld für unsere Medikamente, wir können uns keinen Fisch leisten, und wenn, dann nur welchen für zwei, drei Euro das Kilo. Unsere Renten haben sie zehn Mal gekürzt."
    Nicolas war 30 Jahre lang auf den Weltmeeren unterwegs, als Kapitän von Handelsschiffen; er konnte sich Urlaubsreisen leisten, erzählt er. Heute habe er nicht einmal Geld für Benzin, um zu seinem Haus im 200 Kilometer entfernten Lamia zu fahren.
    Früher war alles einfacher
    Nur eine Handvoll Rentner sitzen im Tsipouradiko, früher sei der Laden voll gewesen, sagt der Wirt. 80 Prozent weniger nehme er jetzt ein. Er selbst möchte nichts ins Mikrofon sagen, aber dafür hat der alte Jiannis eine Botschaft, der am Tisch bei ein paar Frikadellen und hart gekochten Eiern sitzt. Angela Merkel und die anderen europäischen Regierungschefs müssten endlich etwas tun:
    "Ich gebe meinen vier Kindern von meiner Rente ab. Alle sind arbeitslos. Verstehst du, mein Junge? Deswegen sollen sie ihr Hirn anstrengen, um uns zu helfen, dass wir Arbeit haben. Damit sich etwas bewegt."
    Früher sei alles viel einfacher gewesen, sagt auch Bouzouki-Bauer Jiorgos. Man habe sich ein neues Paar Schuhe leisten können oder ein Auto.
    "Du musstest keine Angst haben, dass der Kühlschrank kaputtgeht. Jetzt wachst Du jeden Morgen auf und sagst: Heilige Mutter Gottes, lass bloß nichts kaputt gehen. Das Mofa oder eine Maschine in der Werkstatt. Das Geld zum Reparieren gibt es nämlich nicht."
    "Merkel bekommt ihr Geld zurück - nur später"
    Dennoch baut Jiorgos unverdrossen seine Instrumente weiter - zehn bis zwölf Bouzoukia schafft er im Monat. Die Bouzouki seines Freundes ist inzwischen gestimmt, und der spielt noch ein bisschen für den Besucher aus Deutschland. Sag der Merkel, dass sie die Schrauben etwas lockern soll für Griechenland, ruft er mir beim Abschied zu. Sie bekomme ihr Geld schon zurück, meint er und lacht. Nur später.