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Nikita Chruschtschow
Vor 50 Jahren stürzte die KPdSU den Regierungschef

Es war vor allem die von ihm vorangetriebene Entstalinisierung, die den sowjetischen Partei- und Regierungsschef Nikita Chruschtschow bei den eigenen Genossen in Ungnade fallen ließ. Um zum bequemen Funktionärsdasein zurückkehren zu können, setzen sie Chruschtschow am 14. Oktober 1964 per Handstreich kurzerhand ab.

Von Klaus Kuntze | 14.10.2014
    Der frühere sowjetische Ministerpräsident Nikita Chruschtschow
    Er unterstützte erst den Terror Stalins, setzte sich später aber für die sogenannte Entstalinisierung ein: Nikita Chruschtschow. (dpa / picture-alliance / Votava)
    1917 hatten die Bolschewiki die Macht in Russland übernommen, ein Jahr später schloss sich ihnen Nikita Chruschtschow an – die einfachen Lehren und Lösungen der Kommunistischen Partei überzeugten ihn bis an sein Lebensende. Der Historiker Dmitrij Wolkogonow schreibt in seinem Buch über die sowjetische Führung.
    "Dieses elementare, strenge politische Denken und diese ideologische Primitivität, vereint mit angeborenem bäuerlichen Witz, unerschöpflicher Energie und simplem Optimismus, sicherten Chruschtschow einen festen Platz in der Spitze der Führungsriege."
    Er unterstützte den stalinschen Terror, bewährte sich unangefochten auf allen Posten und stand 1953 als allmächtiger Nachfolger Stalins vor der Aufgabe, das Erbe seines Meisters zu bewältigen. Der Befund des Historikers Manfred Hildermeier:
    "Was sozialer Kontrolle und Disziplinierung diente, hatte allgemeine Apathie und eine Furchtsamkeit hervorgerufen, die nicht nur das wirtschaftliche, sondern auch das soziale und politische Leben lähmte. Politik musste wieder an die Stelle von Gewalt treten."
    Nikita Chruschtschow, der lupenreine Stalinist, trat die Flucht nach vorn an: 1956 machte er in einer Geheimrede vor dem XX. Parteitag für die Verbrechen und Fehler der Vergangenheit ausschließlich Stalin als Person verantwortlich. Manfred Hildermeier zu dem Widerspruch der kapitalen Lücke in der sogenannten Entstalinisierungs-Rede:
    "Sie attackierte den Tyrannen, aber nicht die von ihm geschaffene Ordnung und erst recht nicht den sozialistischen Staat."
    Chruschtschow war gezwungen, wirtschaftliche Verbesserungen einzuleiten
    Der Staats- und Parteiapparat konnte also ungeschoren in der alten Ordnung verharren, während Chruschtschow mit nüchternem Blick für die Mängel im sowjetischen Leben notgedrungen versuchen musste, vor allem wirtschaftliche Veränderungen und Verbesserungen einzuleiten. Er kümmerte sich um Landwirtschaft, Rente und Lohn, um Schulorganisation, Gebrauchsgüter und Rüstung. Chruschtschow trieb an, mutig, impulsiv - und inkonsequent. "Tauwetter" wurde zum treffenden Begriff für die Atmosphäre jener Jahre. Michail Gorbatschow, damals Anfang 30, erinnerte sich.
    "Wie viele andere teilte ich die Erwartungen, empfand sie als eine neue Lebenschance für mich und meine Altersgenossen."
    Diese Saat wird jedoch erst nach 1986 in der Perestroika aufgehen. Der Westen begrüßte zwar die Entstalinisierung, aber Chruschtschow diskreditierte die von ihm behauptete "friedliche Koexistenz" im Kalten Krieg, wo er durch grobe Aktionen sowjetische Interessen verdeutlichte.
    Er lässt in Ungarn und Polen Aufstände blutig niederschlagen, pokert bis an den Rand eines Atomwaffenkriegs 1962 um die Stationierung sowjetischer Raketen auf Kuba, er pocht vor der UNO-Vollversammlung, um die diplomatische Heuchelei bloßzustellen, mit einem Schuh aufs Rednerpult und er lässt Berlin durch die Mauer trennen. Kennedy habe sie missfallen, sagt er,
    "Sie hat ihm ganz und gar nicht gefallen. Aber mir, mir gefällt sie außerordentlich."
    Mit Erstaunen und Verunsicherung reagiert der Westen am 4. Oktober 1957. Die Sowjetunion bringt erfolgreich den Sputnik, einen ersten unbemannten Mini-Satelliten, ins Weltall. Und vier Jahre später ein weiterer Triumph: Der erste Mensch im Weltraum, Jurij Gagarin, meldet sich nach dem Flug auf sowjetischem Boden zurück.
    Trotz solcher Erfolge wuchs ab 1962 unter den Kadern an der Parteispitze der Unmut über Chruschtschows politische Alleingänge, und da sich trotz vieler Neuerungen der Lebensstandard nicht spürbar änderte, wurde auch die Bevölkerung unzufrieden. Der Name Stalins bekam nostalgischen Klang.
    An der Parteispitze gelingt es Leonid Breschnew, die ewig Gestrigen für eine Absetzung Chruschtschows zu gewinnen. Am Ende des abgekarteten Spiels wird Chruschtschow aus dem Urlaub nach Moskau zitiert, wo er von den Obersten Parteigremien am 14. Oktober 1964 über seine Absetzung informiert wird. Resigniert hatte der 70-Jährige eingewilligt. Leonid Breschnew sorgte an der Parteispitze in den folgenden 18 Jahren für eine Ruhe im Lande, die der eines Friedhofs glich.