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"No End in Sight"

Die Sommerpause ist für viele Mitarbeiter des Weißen Hauses mal wieder gestrichen. Denn Mitte September wird US-General David Petraeus seinen lange erwarteten Bericht zur Lage im Irak vorlegen, und ganze Heerscharen von Regierungsmitarbeitern werkeln bereits daran, seine Ergebnisse in jedem Fall als frohe Botschaft zu verkaufen. Sie soll lauten, dass angesichts kleiner Fortschritte im Irak der Einsatz dort eben keine unendliche Geschichte ist, sondern ein siegreiches Ende nach wie vor möglich bleibt.

Von Gregor Peter Schmitz | 13.08.2007
    Da passt es schlecht ins Bild, dass seit einigen Tagen ein neuer Dokumentarfilm in Washington Furore macht, dessen Titel bereits das Gegenteil verkündet. "No End in Sight" - Kein Ende in Sicht - heißt das Werk des Regisseurs Charles Ferguson, in dem der die Fehler des Irak-Abenteuers haarklein analysiert und einen glücklichen Ausgang der Invasion so gut wie ausschließt. Ferguson reiht sich damit ein in eine lange Liste illustrer Filmemacher, die sich des Sujets angenommen haben - und setzt sich doch ab. Denn Ferguson (ein erfolgreicher Software-Unternehmer, der die Irak-Intervention einst lebhaft unterstützte) hat sein Werk nicht als Polemik oder als politische Abrechnung angelegt. In einer furiosen Aneinanderreihung von Interviews und Doku-Szenen blickt der Selfmade-Millionär auf die Militärintervention eher mit dem kühlen Auge eines Firmenchefs - und kommt aus dem Staunen nicht mehr heraus über den Abgrund an Ineffizienz, Planungsmängel und Ressourcenverschwendung.

    Dabei ist es dem bestens vernetzten Ferguson gelungen, eine ganze Reihe von Leuten für Interviews vor die Kameras zu locken, die an diesem Prozess aktiv beteiligt waren. Zwar verweigerten Hauptverantwortliche wie der ehemalige Verteidigungsminister Donald Rumsfeld, sein Stellvertreter Paul Wolfowitz oder Vizepräsident Dick Cheney jede Stellungnahme. Sie kommen höchstens in für sie verheerenden Archiv-Einspielungen vor, etwa wenn Rumsfeld das Chaos der ersten Wochen im Irak mit einem lapidaren "So was passiert" abtut. Doch in die Kamera sprechen immerhin Schlüsselfiguren wie Richard Armitage, damals Vize-Außenminister, oder Barbara Bodine, die kurz nach der Invasion für den Zentralirak zuständig war. Wenn diese Leute, die sich damals zwangen, die Befehle von oben trotz früher Zweifel auszuführen, nun reumütig Fehler wälzen, verleiht dies dem Film eine Authentizität, die bislang noch keine Dokumentation zum Thema erreicht hat.

    Die Fülle amerikanischer Planungsfehler direkt nach dem Einmarsch im Irak ist ja mittlerweile hinlänglich bekannt, wenn auch "No End in Sight" verblüffende Details ergänzt. Wie etwa die ersten US-Koordinatoren in Bagdad feststellen mussten, die Telefone vergessen zu haben. Wie der Irak-Statthalter Paul Bremer - ähnlich wie Cheney, Rumsfeld, Bush oder Wolfowitz kaum mit militärischer Erfahrung ausgestattet - sich in Bagdad statt mit erfahrenen Diplomaten mit frischgebackenen College-Absolventen umgab, deren einzige Qualifikation oft darin bestand, dass ihr Vater für den Bush-Wahlkampf gespendet hatte. Ferguson zeigt den Fall eines solchen "Bagdad-Kid", das sich auf einmal für die gesamte Verkehrsplanung der Hauptstadt verantwortlich sieht - ohne irgendeinen Schimmer von Verkehrsregelung zu haben.

    Authentisch wirkt der Film auch dadurch, dass einen der Regisseur regelrecht mitnimmt auf seinen persönlichen Ernüchterungsprozess. Selbst wenn er über die Legitimation der Invasion nach wie vor streiten mag; für deren Durchführung hat Ferguson am Ende des Films keinen Funken Verständnis mehr übrig, gerade aus der Sicht eines Firmenchefs: Denn Ideologie zählte für das Weiße Haus mehr als Kompetenz, und wer Einwände wagte, wurde lächerlich oder mundtot gemacht. So stellte es früh die Weichen auf Niederlage im Irak, glaubt der Filmemacher.

    An der Taktik scheint sich wenig geändert zu haben. Bushs Mannschaft - voll Sorge um die erwähnte "September-PR-Offensive" - hat höchst gereizt auf den Film reagiert. Dies insbesondere, weil enge Mitarbeiter des ehemaligen Außenministers Colin Powell zu Interviews bereit waren. Powell hatte zwar offiziell die Kriegspläne der Regierung mitgetragen, doch intern immer wieder vor der Invasion gewarnt. Seit seinem Ausscheiden aus dem Amt hat er sich mit öffentlicher Kritik zurückgehalten. Das Auftreten seiner Vertrauten auf der Leinwand werten viele Bush-Vertraute nun als deutliches Zeichen, dass Powell diese Zurückhaltung bald aufgeben wird - auch um seine eigene Reputation wieder aufzubessern. Und natürlich gibt es aus dem Weißen Haus deshalb bereits die ersten Breitseiten gegen den abtrünnigen Ex-General. Powells Leute sollten den Mund halten, soll sinngemäß Bushs Sicherheitsberater Stephen Hadley als Reaktion auf den Start von "No End in Sight" gesagt haben. Offensichtlich ist der Krieg für diese Administration immer noch in erster Linie ein Wahlkampf.