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Nobelpreis für leuchtende Proteine

Nobelpreis. - Der in den USA lebende Japaner Osamu Shimomura sowie die US-Amerikaner Martin Chalfie und Roger Y. Tsien sind die diesjährigen Gewinner des Chemienobelpreises. Ausgezeichnet wurden sie für ihre Arbeiten zu grün fluoreszierenden Proteinen, die als Markierungsstoffe aus der Biochemie und Zellbiologie von heute nicht mehr wegzudenken sind. Der Wissenschaftsjournalist Volker Mrasek erläutert ihre Bedeutung im Gespräch mit Ralf Krauter.

08.10.2008
    Ralf Krauter: Nach Medizin und Physik war in Stockholm heute die Chemie dran: Gegen 11 Uhr tätigte das Nobel-Komitee von dort aus jene Anrufe, die Wissenschaftler auf einen Schlag zu Weltstars machen. Insgesamt dreimal griff man in Stockholm heute zum Hörer. Und die Vorwahl begann in allen Fällen mit 001 für die USA. Denn dort wohnen die drei heute ausgezeichneten Forscher, zwei sind Amerikaner, einer Japaner. Und ihre Arbeit ist im wahrsten Sinne des Wortes ein leuchtendes Beispiel dafür, wie Grundlagenforschung zu neuen Analysemethoden geführt hat -Analysemethoden, die eine neue Ära der biochemischen Forschung eingeläutet haben.

    Es geht dabei nämlich um molekulare Leuchtbojen, die ungeahnte Einblicke ins Innere lebender Zellen möglich machen. Osamu Shimomura, Martin Chalfie und Roger Y. Tsien, so heißen die diesjährigen Gewinner, die sich den Chemienobelpreis teilen. Der älteste, der in den USA lebende Japaner Shimomura, ist 80. Der jüngste, Roger Tsien, ist 56 Jahre alt. Frage an meinen Kollegen Volker Mrasek hier im Studio: Was weiß man über die drei?

    Mrasek: Man kann über die drei Forscher sagen, dass sie dazu beigetragen haben, dass eine neue Technologie erst ermöglicht, dann zur Anwendung gebracht und dann weiterentwickelt worden ist. Man kann fast sagen, da sind Generationen von Forschern geehrt worden. Fangen wir an mit dem Entdecker, wie man ihn vielleicht nennen könnte. Das ist der schon erwähnte Osamu Shimomura, ein Japaner. Er forschte schon Anfang der 60er Jahre in den USA. Dort hat Shimomura, als damals noch junger Wissenschaftler und als erster überhaupt, ein natürliches Protein isoliert, das grün leuchtet, wenn man es anregt, das also fluoresziert, und zwar in einer Quallenart. Dieses Biomolekül ist heute jedem Biochemiker und Zellbiologen geläufig als grün fluoreszierendes Protein, oder kurz GFP. Ein Naturleuchtmittel, das, kann man sagen, die Untersuchung von Zellprozessen revolutioniert hat. Der Japaner ist der Entdecker, kann man sagen. 80 Jahre alt, aber angeblich heute noch mit einem Schreibtisch an der Universität.

    Machen wir weiter mit dem Anwender. Da sind wir schon in den 90er Jahren gelandet und bei Martin Chalfie, einem US-Amerikaner, der zu dieser Zeit frisch an die Columbia University gekommen war. Chalfie arbeitete damals mit einem sehr beliebten Modellorganismus der Genetiker, das ein Fadenwurm namens Caenorhabditis elegans. Dessen Erbgut war zu dieser Zeit schon komplett entschlüsselt. Mit gentechnologischen Methoden brachte Chalfie dann diesen Fadenwurm dazu, dieses grüne Fluoreszenzprotein herzustellen. Das gleiche gelang dann auch noch mit einem Darmbakterium, Escherichia coli, auch kurz E-coli genannt. Damit hat er gezeigt, dass dieses GFP als universeller Marker oder Leuchtboje, wie Sie das so schön gesagt haben, in lebenden Zellen universell einsetzbar ist. Damit war die Tür zur Anwendung in der Zellbiologie offen. Also der Japaner, der Entdecker, Martin Chalfie, der Anwender - er ist übrigens heute 60 Jahre alt und Professor für biologische Wissenschaften an der Columbia University in den USA und ein fairer Sportsmann, wie man sagen könnte. Wir hatten heute Gelegenheit mit ihm zu sprechen, und im Moment der Preisverleihung denkt er an seinen Kollegen Douglas Prasher, auch ein US-Amerikaner, der damals ebenso viel über GFP veröffentlichte. Chalfie sagt hier, eigentlich hätte mein Kollege Prasher diesen Preis auch verdient gehabt, aber es ist nun mal so, es gibt höchstens drei, die den Nobelpreis bekommen.

    Am Ende unserer kleinen Chemienobelpreis-Geschichte landen wir schließlich beim Weiterentwickler, wie man ihn nennen könnte. Das ist Roger Tsien, ein US-Amerikaner, 56, wie sie sagten, er ist heute Professor für Pharmakologie an der Universität von Kalifornien in San Diego, der jüngste, heute noch sehr aktiv. Er hat diesen Typus des fluoreszierenden Proteins weiterentwickelt. Er hat also die molekulare Struktur dieser Naturmoleküle verändert, damit auch ihre optischen Eigenschaften, und das Ergebnis war eine größere Farbpalette. Es gibt jetzt zum Beispiel auch rot und gelb leuchtende Proteine, es gibt eine ganze Familie von GFP, wie man sagen könnte, sodass der Werkzeugkasten für die Untersuchung von Prozessen in lebenden Zellen noch mal stark erweitert worden ist. Auch er scheint ein eher bescheidener Wissenschaftler zu sein. Als wir heute mit ihm sprachen - wir haben ihn auch ans Telefon bekommen -, freute er sich vor allem für seinen Kollegen Osamu Shimomura. Tsien sagt da, er findet es schön, dass das Nobelpreiskomitee zumindest diesmal auch einen Entdecker aus früheren Jahren gewürdigt hat, und früher ist das wohl schon öfter mal vergessen worden.


    Krauter: Die Moleküle dieses Leuchtfarbstoffes, die leuchten immer dann intensiv grün, wenn man sie mit ultraviolettem Licht bestrahlt. Fluoreszenz heißt der zugrunde liegende Leuchtmechanismus im Fachjargon. Und daher hat das grün leuchtende Eiweißmolekül auch seinen Namen: GFP steht für grünes fluoreszierendes Protein. Bis es seinen Siegeszug in die Biolabors weltweit antreten konnte, sind dann noch mal rund 30 Jahre ins Land gegangen, eine erstaunlich lange Zeit. Volker Mrasek, was hat da solange gedauert von der Entdeckung und Isolierung 62 bis in die 90er Jahre, bis man das erstmals im Labor wirklich einsetzen konnte?

    Mrasek: Ja, das waren über 30 Jahre. Man muss sagen, dass dieser japanische Forscher, Shimomura, der diesen Organismus entdeckt hat, lange Zeit damit verbracht hat, überhaupt dieses Protein zu charakterisieren, zu schauen, wie es funktioniert. Interessant ist vor allen Dingen auch, dass diese Qualle einen doppelten Leuchtmechanismus hat, wenn man so sagen will. Der Herr Shimomura hat vor allen Dingen entdeckt, dass in der Qualle ein Fotoprotein steckt, das chemisch aktiv ist und das selbst blaues Licht ausstrahlt. Von diesem Protein, von der Strahlung dieses Proteins wird wiederum das grün fluoreszierende Protein angeregt.

    Krauter: Lichterzeugung um die Ecke sozusagen?

    Mrasek: Lichterzeugung um die Ecke, sehr vertrackte Sache. Am Anfang hat man sich sehr mit diesem blauen Molekül beschäftigt, und dann ist die Arbeitsgruppe von ihm ein bisschen umgeschwenkt und hat vor allen Dingen auch das Potenzial erkannt. Das heißt, mit einem Fluoreszenzfarbstoff, mit einem natürlichen, den man anschalten kann, kann man natürlich geschicktere Untersuchungen machen. Also wenn man solch ein Molekül in die Zelle einschleust und es dann quasi durch UV-Licht anschalten kann, hat man in dem Moment einen Leuchteffekt, der einem etwas nutzt. Man muss auch sagen: Wir hatten schon angesprochen zum Beispiel Caenorhabditis elegans,

    Krauter: Der Fadenwurm.

    Mrasek: Der Fadenwurm, der von den Genetikern bis heute so sehr geschätzt wird. Es dauerte eine Weile bis in die 90er Jahre, bis Organismen zur Verfügung standen, die man genetisch so gut kannte, dass man sie manipulieren konnte, dass man in der Lage war, dieses Fluoreszenzprotein an andere Proteine, die einen interessieren, zu koppeln und von den Proteinen herstellen zu lassen auf der genetischen Ebene. Das war eigentlich das Geniale an dieser Entwicklung, und das hat eben 30 Jahre gedauert.

    Krauter: Das heißt, man braucht diese Fortschritte in der Gentechnik. In den 60er Jahren wäre man einfach nicht dafür bereit gewesen, das nutzbar zu machen.

    Mrasek: Das hat sich gegenseitig befruchtet, kann man fast sagen.

    Krauter: Leuchtende Proteine als Leitsterne der Biologie. Die farbigen Leuchtbojen haben eine neue Ära eingeläutet und sind heute aus keinem Biolabor mehr weg zu denken. Dass die heute ausgezeichneten Entdeckungen preiswürdig sind, steht, glaube ich, außer Frage. Trotzdem hat mich ein bisschen gewundert, dass es dafür einen Chemienobelpreis gab und keinen für Medizin, weil eigentlich ist es ja ein sehr stark bio-lastiges Thema, oder?

    Mrasek: Muss ich Ihnen entgegnen: Hat mich nicht verwundert, weil das Nobelkomitee eine Tradition hat, mal so klassisch chemische Errungenschaften mit dem Chemienobelpreis zu würdigen, manchmal auch biochemisch oder zellbiologisch angehauchte. Es gab zum Beispiel einen Nobelpreis der Chemie auch für die Aufschlüsselung des photosynthetischen Apparates von Pflanzen. Das heißt, man muss das weiter sehen. Also der Nobelpreis für Chemie ist einer für Chemie in allen Sparten, da gehört die Biochemie dazu. Natürlich ist das so, dass man zum Beispiel mit diesem heute eingehend geschilderten Verfahren beobachten kann, wie sich Krebszellen ausbreiten oder wie sich Nervenzellen verzweigen. Aber diese Grundlagenforschung - und wir haben ja auch gehört, es geht um ein Werkzeug, das in der Zellbiologie, in der Biochemie angewendet wird -, das ist eher doch beim Chemienobelpreis zu Hause. Deswegen muss man sich nicht wundern.

    Krauter: Der Preis - aus Ihrer Sicht gerechtfertigt?

    Mrasek: Nach Aussage der Forscher, ja. Wobei man sagen muss, es gibt _Hunderte Wissenschaftler, die von Kollegen erzählen, die angeblich den Nobelpreis verdient haben.

    Krauter: Am schlimmsten sind dann die Forscher, die von sich selbst behaupten, sie hätten ihn verdient, oder?

    Mrasek: Da kennen wir ja keinen.