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Nobelpreis-Woche in Schweden
Im Schatten des ausgesetzten Literaturnobelpreis

Turbulente Zeiten für die Nobelpreise: Die Kategorie Literatur fällt in diesem Jahr aus, weil ein Skandal um sexuelle Belästigung die Schwedische Akademie überschattet. Ausgerechnet am Tag der Bekanntgabe des ersten Nobelpreises, dem für Medizin, fällt das Urteil gegen den Beschuldigten.

Von Carsten Schmiester | 01.10.2018
    Die Medaille zum Nobelpreis für Literatur zeigt seinen Stifter Alfred Nobel.
    Die Medaille zum Nobelpreis für Literatur wird in diesem Jahr nicht verliehen (dpa / picture alliance / Lovisa Engblom / The Nobel Foundation)
    Im Grunde steht die Nobel-Welt schon seit zwei Jahren Kopf:
    "Der Literaturnobelpreis 2016 geht an Bob Dylan", verkündete Sara Danius, damals Ständige Sekretärin der ehrwürdigen Schwedischen Akademie.
    Seither ist eine Menge passiert: Dylan schwänzte die Preisverleihung und kam erst mit Verspätung nach Stockholm, um wenigstens ein Konzert zu geben. Die Vorlesung, die alle Preisträger halten müssen, hatte er als Video und angeblich mit abgeschriebenen Textpassagen geliefert. Unterm Strich also keine Erneuerung des Preises, sondern einfach nur eine Enttäuschung.
    Der nächste Preisträger, der Japaner Kazuo Ishiguro, war keine Rettung, denn danach ging es erst so richtig los: Der Ehemann einer der nominell 18 Akademieangehörigen geriet in Verdacht, über Jahre Namen der Preisträger vor der offiziellen Bekanntgabe im kleinen Kreis ausgeplaudert und Gelder der Akademie für eigene Projekte bekommen zu haben. Vor allem aber wurde ihm im Zuge der #MeToo-Kampagne sexuelle Belästigung in mehreren Fällen vorgeworfen. Prominentestes Opfer war angeblich Kronprinzessin Viktoria.
    Akademie gilt nicht länger als "ehrwürdig"
    Das Ergebnis: Sara Danius trat als Ständige Sekretärin zurück, die Akademie gilt nicht länger als "ehrwürdig", sie ist nach weiteren Rücktritten nicht handlungsfähig, der Preis wurde für dieses Jahr ausgesetzt. Und ausgerechnet heute, kurz vor Bekanntgabe des Trägers oder der Träger des diesjährigen Medizinnobelpreises, soll im Prozess gegen Jean-Claude Arnault, das ist der Mann im Zentrum des Skandals, das Urteil fallen. Der sitzt seit ein paar Tagen in Untersuchungshaft. Warum, sagte Staatsanwältin Christina Voigt:
    "Das Gericht ist zur Überzeugung gekommen, dass der Angeklagte in wenigstens einem Fall eine Frau vergewaltigt haben könnte und deshalb ist er inhaftiert worden. Die Beweislage ist in den Augen des Gerichtes wohl so, dass der Angeklagte versuchen könnte, zu fliehen."
    Arnault war völlig überrascht. U-Haft, das heißt für ihn nichts Gutes. Björn Hurtig aus dem Verteidigerteam beschrieb die Verfassung seines Mandanten:
    "Er ist schockiert, er hat nicht damit gerechnet, verhaftet zu werden. Ich denke, das war auch nicht nötig, er hat sich schließlich allen Verhören gestellt. Aber gut, wenn jemandem für eine Vergewaltigung wenigstens zwei Jahre Gefängnis drohen, dann ist das hier normale Praxis. Es ist nicht falsch, dennoch sind wir enttäuscht."
    Akademie kommt nicht zur Ruhe
    Und die Schwedische Akademie kommt damit aus den schlechten Schlagzeilen einfach nicht heraus. Das hatte Gunnar Bolin, Kulturredakteur beim schwedischen Radio, von Anfang an gesagt. Es werde schwer, den ramponierten Ruf zu retten.
    "Die Akademie wird nicht zur Ruhe kommen. Weil der Streit nicht beendet ist. Nun soll es im kommenden Jahr vielleicht sogar zwei Preisträger geben? Aber: Will überhaupt noch jemand nachträglich die Auszeichnung für 2018, wenn es dann nicht doch schon die für 2019 gibt?"
    Immerhin gibt es in diesem Jahr einmalig einen alternativen Literaturnobelpreis. Mehr als 30.000 Menschen aus aller Welt haben in den vergangenen Wochen online abgestimmt und vier von ursprünglich 47 Autorinnen und Autoren auf die Shortlist gesetzt: Maryse Condé von Guadeloupe in der Karibik, die sich in ihren Büchern vor allem mit den Folgen des Kolonialismus‘ auseinandersetzt, die gebürtige Vietnamesin Kim Thúy, die als Zehnjährige nach Kanada kam und über das Leben als Flüchtling und über ihre Heimat schreibt und der britische Science-Fiction- und Fantasy-Autor Neil Gaiman. Haruki Murakami aus Japan, der in seinen Erzählungen Popkultur mit surrealistischen Elementen mischt, hatte sich von der Shortlist wieder streichen lassen, wohl, um seine Chancen auf den richtigen Preis nicht zu gefährden. Wer den alternativen Preis bekommt, wird am 12. Oktober bekannt gegeben.
    Heute geht es um den ersten "richtigen" Nobelpreis; den für Medizin. 2017 waren amerikanische Wissenschaftler für die Erforschung der Inneren Uhr des Menschen ausgezeichnet worden. Morgen und übermorgen verkündet dann die Schwedische Akademie der Wissenschaften Preisträger für Physik und Chemie. Und am Freitag sagt das Nobelkomitee im norwegischen Oslo, wer in diesem Jahr den Friedensnobelpreis bekommt.
    Umstrittene Vergaben des Friedensnobelpreises
    Vor einem Jahr hatte ihn ICAN erhalten, die Internationale Kampagne zur Abschaffung von Atomwaffen. Diesmal tippen viele auf Preisträger aus dem Umfeld der #MeToo-Debatte, etwa auf Denis Mukwege, einen Arzt aus dem Kongo, der gegen sexuelle Gewalt kämpft. Im Gespräch sind aber auch das Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen oder die Journalistenorganisation "Reporter ohne Grenzen". Vor dem Hintergrund umstrittener Preisvergaben, unter anderem an Ex-US-Präsident Obama oder Aung San Suu Kyi, ehemalige Freiheitskämpferin aus Myanmar, die als Regierungschefin des Landes lange zum Völkermord an den Rohingya geschwiegen hat, warnte Komiteemitglied Asle Toje:
    "Wir sollten den Preis nicht mit zu hohen Erwartungen betrachten. Manche denken, dass er Frieden schaffen kann. Das kann er nicht. Aber er kann Mut machen und ein Leuchtfeuer sein."
    Heute in einer Woche wird abschließend der Preisträger für Wirtschaft verkündet. Der Preis wurde zwar nachträglich von der schwedischen Reichsbank gestiftet, wird aber oft zu den Nobelpreisen gezählt. Sie alle sind in diesem Jahr mit je neun Millionen schwedischen Kronen dotiert, umgerechnet etwa 870 000 Euro, und werden traditionell am 10. Dezember, dem Todestag des Preisstifters, in Stockholm und in Oslo verliehen.