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"Noch ist die erste Bundedsliga nicht in den Skandal verwickelt"

Remme: Am Telefon Rainer Holzschuh, Chefredakteur der Zeitschrift "Kicker". Guten Morgen Herr Holzschuh.

Moderator: Klaus Remme |
    Holzschuh: Schönen guten Morgen.

    Remme: Herr Holzschuh, gestern ist in den Agenturen ein Name aufgetaucht, an den sich vor allem die älteren von uns noch erinnern. Hans Kindermann hat sich zu Wort gemeldet. Der ehemalige Chefankläger des DFB hat gesagt, der Schaden dieses Skandals ist so groß, wie damals 1971. Hat er recht?

    Holzschuh: Noch nicht, weil noch nicht die Bundesliga selbst involviert ist. Damals gab es ja einen Bundesligaskandal, die erste Bundesliga. Heute ist die Bundesliga fern davon. Damals waren eine Reihe von Bundesligavereinen ganz offiziell mit drin, mit ihren Präsidenten, mit ihren Managern und eine ganze Reihe von Spielern. Noch sind die Vereine und die Spieler der ersten Bundesliga außen. Aber es ist schlimm genug, was momentan passiert.

    Remme: Hat den dieser Skandal das Potenzial von damals?

    Holzschuh: Es ist ein Wettskandal, der hauptsächlich dadurch gestützt ist, dass ein Schiedsrichter Spiele verschoben hat. Bisher ist nur bekannt, dass Spieler für Siege Geld bekommen haben. Inwieweit sich das jetzt mit den anderen Namen und den anderen Vereinen in Vereinbarung bringen lässt mit Sieg oder Niederlage, das muss man abwarten. Damals sind in der Tat Spiele richtiggehend verschoben worden. Für Niederlagen haben Spieler Geld gekriegt.

    Remme: Der Wettanbieter Oddset behauptet weiterhin, der DFB sei vor Monaten mehrfach gewarnt worden. Medien wie die Bildzeitung sind in diesen Tagen offenbar ständig besser informiert, als der Deutsche Fußballbund. Auch der "Kicker" wird seine Informanten haben. Seit wann wussten denn Sie von diesen Vorgängen?

    Holzschuh: Vom Skandal habe ich vorletzte Woche Samstag erfahren, wie alle erst da erfahren haben, auch die Bildzeitung. Der DFB hatte drei Tage vorher, am Mittwoch, davon erfahren. Die ganze Geschichte mit Oddset und dem DFB scheint mir sehr, sehr dubios. Das sind zwei Partner. Oddset ist ja offizieller Sponsor der Weltmeisterschaft, damit zwar nicht direkt aber indirekt auch mit den DFB verbandelt. Wie das eigentlich ausgeht zwischen Oddset und dem DFB ist für mich eine Nebengeschichte, aber ganz interessant.

    Remme: Können Sie sich das denn im Alltag vorstellen, dass da drei unabhängige Stellen im August beim DFB per Telefax, per Telefon gewarnt wurden und niemand davon erfährt?

    Holzschuh: Es ist für mich ganz schwierig, das zu beurteilen. Goetz Eilers, der das bekommen hat und auch der Generalsekretär Horst R. Schmidt sind erfahrene Leute, die damals im Skandal 1970/71 schon sehr aktiv mit dabei gewesen sind. Insofern müssten sie sensibilisiert gewesen sein. Was mich stutzig macht bei der ganzen Geschichte. Oddset hat ja nicht nur den DFB, sondern auch die staatlichen Stellen in Berlin, sprich Kriminalpolizei, Staatsanwaltschaft informiert und von denen kam ja dann auch das Signal aus, da ist nichts dran. Und auf das hat sich der DFB dann zurückgezogen. Wie das ausgeht, ist wie gesagt nicht der entscheidende Aspekt des ganzen Skandals aber es ist ein Ansatz für eine Überlegung, der man nachgehen sollte. Wie wohl ich sage, damals konnte sich wahrscheinlich, wie wir alle, kaum jemand vorstellen, was sich da alles in nächsten Wochen, Monaten abspielen würde. Wir waren ja noch vor einer Woche auf einem ganz anderen Wissenstand und haben immer noch gehofft oder geglaubt oder waren überzeugt davon, dass das alles nicht stimmen würde. Insofern hat sich das natürlich entwickelt.

    Remme: Sie haben den Namen Goetz Eilers erwähnt. Er leitet die Kommission, die gestern Abend eingeleitet wurde, die sich diesen Dingen im DFB widmen soll. Gibt der DFB insgesamt eine gute Figur ab?

    Holzschuh: Ich glaube nicht, dass er eine schlechte Figur abgibt, weil er selber ganz offensiv mit dieser Sache umgegangen ist. Jetzt von Tag zu Tag stellt sich das ein bisschen anders da, weil verschiedene Leute im DFB wohl nicht den Informationsstand haben. Ich bin auch sehr überrascht zum Beispiel, dass die Staatsanwaltschaft gestern dem DFB Akteneinsicht verweigert hat. Da kann der DFB momentan auch nichts dafür. Mit welcher Begründung die Staatsanwaltschaft sich so verhalten hat, weiß ich auch noch nicht. Auch da scheint sich mir eine Situation abzuspielen, dass diese Staatsanwaltschaft viel zu spät eingegriffen hat. Man hat erst eine Razzia in diesem betroffenen Café veranstaltet, als normalerweise jeder Verdächtige längst alle Papiere, alle Verdachtsmomente hätte verbrennen oder, weiß ich was, wegbringen können. Da hat man auch geschlafen. Das ist ein Offizialdeliktenbetrug, insofern hätten die auch viel früher eingreifen müssen.

    Remme: FC Paderborn, Chemnitzer FC, ist das ein Trost, dass Vereine im Mittelpunkt stehen, die allenfalls regional von Interesse sind?

    Holzschuh: Ein Trost ist es nicht, aber ich habe vorhin schon gesagt, solange die Bundesliga selber noch nicht involviert ist, ist dieser Skandal nicht in dem Ausmaße betroffen, wie damals vor 30 Jahren. Aber schlimm genug ist das alles ohnehin.

    Remme: Aber könnte es nicht sein, dass eben deshalb die geringeren Spielklassen im Mittelpunkt stehen, weil geringere Gehälter empfänglicher machen für Bezahlungen von außerhalb?

    Holzschuh: Angefangen hat das mit einem Schiedsrichter, der ja recht gut bezahlt wird. Und wenn ein Schiedsrichter, der sicherlich nicht über einen geringen Lebensstandard klagen muss, dann auch empfänglich ist für so etwas, dann zeigt das, dass eigentlich der Mensch an sich, der eine Spielleidenschaft hat, dann grundsätzlich vielleicht sich von irgendwelchen wettmafiösen Leuten damit einfangen lässt. Wir wissen, dass es in andere Ländern genauso, wie in Deutschland ist. Wir wissen von fernöstlichen Betrugsspielen, die dem ja nun allem weit, weit voraus sind, was hier in Deutschland passiert. Oder selbst in Europa in verschiedenen Ländern hat es ja auch längst Überführungen gegeben. Insofern lebt der Fußball ja nicht auf einer Insel der Seeligen, sondern ist nur das Spiegelbild der Menschheit. Es gibt nun einmal Leute, die sind anfällig für so etwas und es gibt Leute, die sind weniger anfällig, egal in welchem Beruf, ob das im Sport ist oder in anderen Berufen genauso.

    Remme: Herr Holzschuh, wir haben hier in Deutschland keine professionellen Schiedsrichter, wie zum Beispiel in Italien. Und die Regelungen bei Wetten, die sind offenbar durchaus lockerer, als in anderen Staaten. Offenbart sich hier ein besonders deutsches Problem, dass wir uns vom Ideal des Spieles, von elf Freunden und so weiter, schlechter trennen können als andere?

    Holzschuh: Nein, ich glaube nicht. Zum einen haben wir auch semiprofessionelle Schiedsrichter, die verdienen auch ganz gutes Geld, zum Beispiel für ein Spiel in der Bundesliga mehr als 3.000 Euro. Und wenn sie im Jahr 20, 30 Spiele allein in der Bundesliga und etliche in der zweiten Liga oder in der Regionalliga pfeifen, können sie auch als Spitzenschiedsrichter auf 100.000 Euro neben ihrem normalen Beruf kommen. Ich glaube auch, dass wir in Deutschland längst nicht so wettanfällig sind, wie andere Länder, ich habe es vorhin auszuführen versucht, da ist die Wettleidenschaft ja wesentlich größer. Nur wir haben immer gedacht, wir sind ein bisschen auf einem hohen Ross und schauen auf die anderen Länder, wo immer die Meldungen rüberschwappen, da ist schon wieder ein Wettskandal passiert, und haben vielleicht auch innerlich gedacht, das kann uns nicht treffen, das kann uns nicht passieren. Jetzt sind wir mittendrin verstrickt. Das ist, glaube ich, die Überraschung, mit der wir erstmal fertig werden müssen.

    Remme: Noch kurz zum anderen Teil des Datums. Der erste Februar, der Beginn der Ticketbestellungen für die Weltmeisterschaft. Nur gut eine Million gehen in den freien Verkauf und der Großteil der Karten ist reserviert für Ehrengäste, Medienvertreter, Verbände, Sponsoren. Ist dieses Verhältnis für Sie in Ordnung?

    Holzschuh: Ich kenne die Zwänge, in denen die FIFA und das WM-OK leben. Natürlich ist es nicht in Ordnung, natürlich wissen wir von der letzten Weltmeisterschaft oder vorletzten Weltmeisterschaft, dass eine ganze Reihe von Plätzen frei geblieben ist, weil die Sponsoren ihr Kartenkontingent nicht ausgenutzt haben. Aber wir müssen auch damit leben, dass wir eine Weltmeisterschaft nur nach Deutschland bekommen, wenn wir uns den Anforderungen, den Aufforderungen der FIFA unterstellen, wenn wir sagen, wir machen das alles mit, und insofern müssen wir jetzt auch damit leben. Hauptsache, wir haben die Weltmeisterschaft.

    Remme: Sagt das jemand, der um seine Karten nicht bangen muss?

    Holzschuh: Ich habe eine Familie, ich habe viele, viele Freunde. Ich weiß nicht, wie viele mich schon gefragt haben, nach Karten für diese Weltmeisterschaft. Es geht bestimmt in die Hunderte hinein. Natürlich bekomme ich meine Pressekarte. Aber schauen Sie in die anderen Länder, in denen zuletzt die Weltmeisterschaft ausgetragen worden ist. Da hatte dies überhaupt kaum eine Rolle gespielt. Wir haben Karten und stellen Karten zur Verfügung. Es ist zu wenig, aber wenn jeder nun zu seinem Recht kommen würde, müssten wir Stadien mit einer Kapazität von Vier-, Fünfhunderttausend haben. Und das gibt es nun mal nicht.

    Remme: Noch ganz kurz, Herr Holzschuh. In einer Zeitung steht heute allen Kampfansagen zum trotz, gegen den Schwarzhandel, fünf Minuten vor dem Anpfiff kommt man immer rein. Stimmt das?

    Holzschuh: Diese Erfahrung habe ich in der Tat bei allen Welt- und Europameisterschaften bisher gemacht, dass dann ganz plötzlich wieder Karten auftauchten, dass Leute da standen, die sogar unter Preis verkauft haben. Ich bezweifle, dass es dieses Mal bei dieser Weltmeisterschaft der Fall sein wird. Aber ich bin sicher, allein von diesen vielen Sponsorenkarten, jeder große Sponsor verfügt ja über eine sechs oder siebenstellige Summe, da gibt es so viele, die in Wett - jetzt sage ich selber schon in Wettspielen - nein, die in Preisausschreiben die Karten wieder zurück auf den Markt werfen.

    Remme: Danke. Rainer Holzschuh war das, der Chefredakteur der Zeitschrift "Kicker".