Archiv


Noch keine Entwarnung im Nitrofen-Skandal

Remme: Die deutsche Biobranche atmet vorerst auf. Von dem Imageschaden durch den Nitrofen-Skandal schon angeschlagen, sah sie sich gestern mit der Möglichkeit eines EU-weiten Vermarktungsverbots konfrontiert. Doch nach einer Sitzung des EU-Lebensmittelausschusses teilte die Kommission gestern in Brüssel mit, es gebe keine Notwendigkeit für ein entsprechendes Verbot. Immerhin, am Freitag will der Ausschuss erneut beraten. Die belgische Regierung hat daraufhin ihre Sanktionen gegen deutsche Produkte aufgehoben. Am Telefon ist nun Dagmar Roth-Berendt, verbraucherpolitische Sprecherin der Sozialdemokraten im Europäischen Parlament. Guten Morgen, Frau Roth-Berendt.

    Roth-Berendt: Guten Morgen.

    Remme: Kommt diese Entwarnung nicht - so schön das auch für die Biobauern sein mag - bei so vielen offenen Fragen etwas früh?

    Roth-Berendt: Na ja, ich habe die Reaktion Belgiens für völlig überzogen gehalten und habe eigentlich nicht geglaubt, dass ein Exportverbot oder ein Verkaufsverbot angemessen wäre. Allerdings habe ich die Kommission verstehen können, dass sie gesagt hat: Deutschland muss die Hausaufgaben besser machen, das heißt, die Bundesländer müssen die Vermarktungswege besser erklären und müssen besser sagen: Wer hat wann, was von wem bezogen hat und wo ist wann kontrolliert worden. Das war ja einer der Hauptkritikpunkte der Kommission. Und die zweite Frage - wo kommt tatsächlich die Verunreinigung her, reicht Malchin dafür aus? -, das ist etwas, was Deutschland ohnehin jetzt in kürzester Zeit klären muss.

    Remme: Was war an der Reaktion Belgiens überzogen?

    Roth-Berendt: Na ja, dass Belgien alle Produkte tierischen Ursprungs - nicht nur ökologische Produkte meinetwegen - und alles Tierfutter mit einem Zertifikat versehen wollte, dass es nitrofenfrei sei, ist natürlich eine Mücke zerschlagen oder einen groben, wirklich riesigen Klotz auf etwas relativ Kleines draufschlagen. Die Belgier sagen es auch, hinter vorgehaltener Hand natürlich: Es ist ein bisschen eine Retourkutsche auf die sehr, sehr harte, schnelle, deutsche Reaktion 1999 beim Dioxin-Skandal in Belgien.

    Remme: Aber war es denn dann nicht vielleicht auch nur, um das Verbraucherinteresse in Belgien zu schützten, denn wenn man sich die Schlagzeilen zu Beginn dieses Skandals hier anschaut, dann gab es in der Tat offene Fragen, die weit über ökologische Produkte hinausgingen?

    Roth-Berendt: Ja, es ist schon richtig, dass es im Sinne des vorbeugenden Verbraucherschutzes immer richtig ist, erst einmal Verbraucher insgesamt zu schützen. Aber es gab aus Deutschland keinerlei Anhaltspunkte - und ich gehe davon aus, dass zumindest dann in allen Bundesländern ordentlich untersucht wurde -, dass andere als Bioprodukte - leider kann man dazu nur sagen - in diesem Fall betroffen waren. Deshalb war das, was die Kommission vorhatte, nur Produkte aus biologischem Anbau eventuell mit einem Zertifikat zu versehen meiner Meinung nach in diesem Fall die richtige Reaktion.

    Remme: Noch immer sind in Deutschland Höfe gesperrt und werden Tiere getötet und verbrannt. Entwarnung? Ist die Sache ausgestanden?

    Roth-Berendt: Ich kann es nicht sagen. Ich habe mit Kollegen, auch in Straßburg, darüber gesprochen, weil wir alle der Meinung sind, dass wir uns die intensive Verunreinigung durch die Stäube der Halle in Malchin alle nicht vorstellen können und deshalb wissen wir nicht, was tatsächlich dahinter steckt. Das ist das wirkliche Problem. Wir wissen nicht: Ist tatsächlich nur Malchin der Fall gewesen oder ist doch noch ein bisschen übrig gebliebenes Nitrofen irgendwo verwendet worden, um Schimmelbildung zu verhindern und ist vielleicht Weizen oder Getreide, das aus anderen Ländern eingeführt wurde, in denen Nitrofen noch legal außerhalb der Union verwendet werden kann, verschnitten worden? Wir wissen es nicht, und deshalb bin ich so ein bisschen abwartend. Ich würde mir wünschen, dass endlich, endlich, seit vielen Jahren die Kontrollwege in den Bundesländern besser funktionieren. Seitdem ich BSE-Ausschussvorsitzende war 1997, habe ich immer wieder gesagt, dass die Kontrollen in föderalistisch strukturierten Ländern nicht ordentlich funktionieren. Und die Mitteilungs- und Kommunikationswege sind nicht ordentlich. Und ob da in Deutschland mittlerweile viel passiert ist in den Bundesländern, da habe ich meine Zweifel. Das Kontrollbüro der Europäischen Union in Dublin, das untersucht, wie die Mitgliedsländer kontrollieren, hat ja bei seinen Stichproben in der vergangenen Zeit in Bayern und auch in anderen Bundesländern durchaus Mängel festgestellt.

    Remme: Nun ist Deutschland ja nicht das einzige EU-Land mit föderalen Strukturen. Ist das Problem in anderen Ländern auch augenscheinlich geworden?

    Roth-Berendt: Es ist nicht so offensichtlich geworden. Da kann man natürlich sagen: Da ist nicht kontrolliert worden und wer sucht, der findet auch was. Das weiß ich nicht. Österreich zum Beispiel, das eine ganz ähnliche Struktur, eine Bundeslandstruktur wie Deutschland hat, weiß auch, dass es intensiver an den Kontrollwegen arbeiten muss, aber ich glaube, dass es in Österreich besser funktioniert. Vielleicht gibt es auch mehr Kontrolleure? Ich weiß es nicht. Das ist ja das Interessante, dass niemand wirklich weiß, wie viele Kontrolleure es überhaupt irgendwo gibt. Wenn Sie in Deutschland jemanden Fragen - wie viele Kontrolleure haben denn die Bundesländer? -, dann wissen sie es jetzt vielleicht, aber vor vier, fünf Jahren war es das größte Geheimnis unter der Sonne. Spanien ist ebenfalls ein Land, das mit den verschiedenen föderalen Strukturen anders strukturiert ist als meinetwegen Frankreich, das sehr zentralistisch ist, oder auch Großbritannien zum Teil. Ich bin sicher: Wir müssen das verändern und wir müssen auch da mehr Transparenz schaffen. Ich habe auch immer gesagt: Man muss endlich in mehr Lebensmittelkontrolleure investieren. Das was wir den paar armen Menschen dort aufbürden, ist doch unzumutbar.

    Remme: Frau Roth-Berendt, Sie sind Verbraucherschützerin und haben gerade gesagt: Eigentlich weiß ich gar nichts und ich habe eine abwartende Haltung. Was bedeutet denn das für den Verbraucher, der sich den Bioprodukten im Regal gegenübersieht?

    Roth-Berendt: Dass es dieses Mal die Bioprodukte getroffen hat, ist der pure Zufall. Es hätte natürlich auch herkömmliche Produkte treffen können, und deshalb...

    Remme: Ob das so ist, wissen wir auch noch nicht.

    Roth-Berendt: Das hätte genau so gut sein können. Das ist wirklich Zufall, dass in Malchin dort zufällig dieser Weizen, dieses Getreide - hätte aber auch etwas anderes sein können - gelagert war. Zu glauben, dass es mit biologischem Landbau zu tun hat, das ist Unsinn. Allerdings habe ich auch immer wieder gesagt: Diese Unterscheidung zwischen biologischem Landbau - "sicher" - und herkömmlichem Landbau - "gefährlich" - halte ich für gefährlich. Jede Form des landwirtschaftlichen Produkts muss für uns sicher und ungefährlich sein. Dass wir bei unserer Art, Agrarchemikalien zu verwenden um eine hochindustrialisierte Landwirtschaft zu haben, auch immer mehr Rückstände produzieren als eigentlich zugelassen sind, ist überhaupt keine Frage. Das kann man nur durch Stichprobenkontrollen finden. Ich kann den Verbrauchern nur empfehlen, das zu tun, was ich auch tue: Ich versuche mich so standortnah wie möglich zu ernähren. Ich versuche mich dabei so traditionell wie möglich zu ernähren, das heißt, Produkte zu kaufen, die möglichst unverarbeitet sind, nicht weiterverarbeitet sind. Bei dem Fleisch mache ich es genauso: Ich kaufe organisches Fleisch, wann immer ich es kann und hoffe, dass es okay ist. Mehr kann man dabei leider nicht tun. Ein Restrisiko ist leider dabei mittlerweile nicht mehr auszuschließen.

    Remme: Die Süddeutsche Zeitung spricht heute von einer Entzauberung der Marke Öko. War die fällig?

    Roth-Berendt: Ach, ich weiß nicht, ob sie fällig war. Es ist zumindest richtig gewesen zu sagen, dass es nicht nur ökologische Produkte die gesunden und sicheren alleine sind und die anderen die gefährlichen. Das ist sicher nötig gewesen. Aber klar haben ökologische Produkte eine Menge Vorteile. Sie werden unter viel strengeren Auflagen produziert. Sie dürfen bestimmte Produkte, wie Agrarchemikalien nicht verwenden. Sie dürfen nur auf einem Hof erzeugt werden, der seit Jahren keine Chemikalien mehr verwendet hat, und das hat natürlich notwendigerweise die Gefahr von Rückständen viel weniger als andere Produkte.

    Remme: Ja, nur hat das alles in diesem Fall nichts genützt.

    Roth-Berendt: In diesem Fall hat es nicht genützt, weil Sie zum einen nie Schlamperei ausschließen können, allerdings auch nicht kriminelle Energie ausschließen können. Wenn jemand einen schnellen Umsatz machen möchte und dafür Produkte meinetwegen mit einem verbotenen Mittel behandelt oder mit Weizen, mit verbotenen Mitteln zerschneidet, einfach weil die Schimmelgefahr geringer ist, weil es nicht auskeimt, weil es sich besser hält oder so, dann ist das kriminell - das muss man auch so sagen - und dann gehören diese Leute auch ins Gefängnis und ihren Betrieben gehören die Betriebsgenehmigungen entzogen.

    Remme: Das war die verbraucherpolitische Sprecherin der Sozialdemokraten im Europäischen Parlament, Dagmar Roth-Berendt. Vielen Dank für das Gespräch.

    Link: Interview als RealAudio