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Noch zehn Schritte vor dem Abgrund

Die deutschen Kommunen stecken in der Finanzklemme und so müssen Städte und Gemeinden einerseits sparen und andererseits die Einkünfte vergrößern - dabei brauchen sie aber auch Hilfe von Bund und Ländern.

Von Michael Kuhlmann | 13.04.2010
    Im Stadtzentrum von Hannover prägen heute moderne Gebäude das Bild. Die etwas nichtssagende Architektur der letzten 60 Jahre. Um so mehr springt am Rande der Innenstadt das Rathaus ins Auge. Ein Monumentalbau aus dem Kaiserreich, imposant wie der Berliner Reichstag. Dieser Rathauskoloss zeigt, wie reich Hannover einmal war. Wenn Oberbürgermeister Stephan Weil dort im ersten Stock an seinem Schreibtisch sitzt, sieht er sich heute allerdings in einer ganz anderen Lage.
    "Ich kümmere mich seit 13 Jahren um die Kasse in Hannover – zuerst zehn Jahre als Stadtkämmerer und jetzt seit drei Jahren als Oberbürgermeister –, und ich muss wirklich sagen: So schlimm war es noch nie, und ohne Aussicht auf Perspektive ist es auch noch nie in dem Maße gewesen wie derzeit – also, alle Kommunen blicken derzeit in Abgründe."
    Hannover hat gerade ein neues Konsolidierungsprogramm aufgelegt. 55 Millionen Euro will die Stadt bis zum übernächsten Jahr sparen. Ein Bündel aus Einzelmaßnahmen, erklärt Stephan Weil.

    "Im Prinzip aus allem – Erhöhung von Bäderpreisen, von Parkgebühren, von kleineren Steuern, massive Einschränkungen beim Personal der Stadt, eine Mischung von Ausgabenreduzierung und Einnahmenerhöhung."
    Denn das Finanzproblem der deutschen Kommunen ist ein doppeltes, weiß auch der Politikwissenschaftler Prof. Stephan Bajohr von der Universität Düsseldorf.

    "Ich denke, es gibt zwei ganz wichtige Ursachen; und zwar ist das zum einen eine unzureichende Steuereinnahmepolitik. Wenn wir heute noch das Steuerrecht unter Bundeskanzler Helmut Schmidt hätten, hätten wir keine Probleme mit der Neuverschuldung – das zweite Ursachenbündel ist sicher, dass die Kommunen auch über die Jahre unwirtschaftlich gearbeitet haben, sich zu viel geleistet haben oder meinten, sich leisten zu können, sie haben zu viele Dinge unternommen, an deren Folgekosten sie heute schwer zu tragen haben."
    Die Wirtschaftskrise hat nun auch die gleichmütigsten Beobachter aufgeschreckt: Die deutschen Kommunen stecken in der Finanzklemme – und das seit Jahrzehnten. Dort müssen sie endlich heraus. Ähnlich wie Hannover muss jede Kommune ein Bündel von Maßnahmen initiieren. Aber sie braucht auch Hilfe von Bund und Ländern. Zunächst auf der Ausgabenseite – vor allem bei den Soziallasten. Der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städte- und Gemeindebundes, Gerd Landsberg:

    "Immer wieder haben Bund und Länder in großer Einigkeit zusätzliche soziale Leistungen beschlossen und die Kommunen verpflichtet, dieses auszuführen."

    "Von Sozialausgaben von 26 Milliarden im Jahr 1999 sind wir dieses Jahr bundesweit auf fast 40 Milliarden – darunter fallen vor allem die Kosten der Unterkunft für Hartz-IV-Empfänger, aber auch die Eingliederungshilfe oder die Grundsicherung fürs Alter steigen beständig."

    Erklärt die Kommunalexpertin der FDP im Bundestag, Birgit Reinemund. Der Bund übertrug zwar den Kommunen diese sogenannten Pflichtaufgaben; genug Geld dafür gab er ihnen nicht. Jüngstes Beispiel: der Kindergartenplatz für die Unter-drei-Jährigen. Gerd Landsberg bejaht dieses Projekt. Allerdings müsse künftig das Geld mitkommen.

    "Ich verweise da gerne auf das Vorbild Österreich. Dort hat man das in die Verfassung hineingeschrieben, man hat gesagt: Wenn der Bund dort ein Gesetz macht und die Kommunen dadurch finanziell belastet werden, dann muss geklärt werden im Gesetzgebungsverfahren, wer das bezahlt. Und wenn man sich nicht einigen kann, zahlt derjenige, der das Gesetz veranlasst hat."
    Der Bund also. Das Ganze hat noch einen heilsamen Nebeneffekt:

    "Das hat dazu geführt, dass die Zahl der Gesetze abgenommen hat – und das würde ich mir für Deutschland auch wünschen!"
    Ein erster Schritt, wenn man die Haushalte der Kommunen sanieren will: Sie brauchen entweder so viel Geld, dass sie ihre Pflichtaufgaben bestreiten können. Oder man muss ihnen Aufgaben abnehmen. Der Politikwissenschaftler Prof. Manfred Junkernheinrich von der Universität Kaiserslautern:

    "Wir müssen uns trauen, an die Aufgaben ranzugehen, das können die Kommunen – und da ist ein Unterschied zu Land und Bund – nur dann machen, wenn Aufgabenstandards gesenkt werden!"
    Das wiederum können nur Bund und Länder veranlassen: Sie müssen entscheiden, wie hell eine Straßenlaterne leuchten muss, oder über welche Zusatztechnik ein Kanalsystem verfügen soll. Teilweise hilft aber auch Kreativität vor Ort weiter. Frank Schneider, Bürgermeister im rheinischen Langenfeld.

    "Wir haben die Hausmeister für die Schulen zu stellen. Jede Schule hatte ein Hausmeisterehepaar. Und davon sind wir runter. Wir haben alle Schulen in einen Pool zusammengepackt, wir haben einen Pool von Hausmeistern – und da betreut ein Hausmeister durchaus mal drei oder vier Schulen! Wir haben dann natürlich auch von der Profession entsprechend Hausmeister eingestellt, die nämlich eine Ausbildung haben im Installateurhandwerk, im Elektrohandwerk – die reparieren! Der Toilettentopf, der da abgetreten wird in der Schule – dafür müssen wir keinen Handwerker mehr rufen, das haben wir auf Lager stehen, innerhalb von einer Stunde ist das Ding hier repariert – und natürlich zu einem günstigeren Kurs als dem, den uns eine Handwerksfirma hier in Rechnung stellen wird."
    Ein bis zwei Millionen spart Langenfeld jedes Jahr mit dieser Maßnahme. Und für andere Aufgaben, wie etwa ein Omnibusnetz oder die Pflege von Grünanlagen, gibt es einen Trick. Die bündnisgrüne Kommunalexpertin Britta Haßelmann und ihr christdemokratischer Kollege Peter Götz:

    "Es geht um regionale Kooperation, es geht um Zusammenarbeit."

    "Wir müssen darüber nachdenken, meines Erachtens auch gerade im kommunalen Bereich, ob wirklich jede Kommune jede Aufgabe selbst wahrnehmen muss in Zukunft noch, oder ob es nicht Sinn macht, mit Nachbargemeinden oder im Verbund mehrere Aufgaben stärker zu bündeln durch interkommunale Zusammenarbeit – das heißt, da liegen noch Potenziale, die unter dem Strich durchaus zu Einsparungen führen werden."
    Sofern nicht noch jemand querschießt: nämlich Brüssel. Gerd Landsberg.

    "Wir sehen zum Beispiel ein Problem in der Frage: Muss ich europaweit ausschreiben? Wenn also die Kommune A mit der Kommune B zusammen die Wasserversorgung organisieren will, ist das aus unserer Sicht nicht ausschreibungspflichtig."
    Ist diese Frage geklärt, stehen die Gemeinden vor Punkt zwei der Sanierung: Sie müssen ihre Schulden abbauen. Vor allem die sogenannten Kassenkredite, eigentlich nur für kurze Notzeiten gedacht, eine Art kommunaler Dispo. Heute betragen sie 32 Milliarden Euro. Bis 2015 könnte es doppelt soviel sein. Sollten dann noch die Zinsen steigen, stehen viele Kommunen am Abgrund. Manfred Junkernheinrich plädiert deshalb bei den Kassenkrediten für den Einstieg in den Ausstieg. Und zwar jetzt – so unmöglich es auch scheint.

    "Preiswerter wird der Einstieg nicht mehr werden! Es kann nur erheblich teurer werden!"
    Junkernheinrich hat die Finanzen zahlreicher Kommunen untersucht. Seine Ergebnisse referierte er im Februar im Rahmen einer Konferenz, auf der Kommunen aus Nordrhein-Westfalen von Bund und Ländern Unterstützung forderten. Junkernheinrich umriss schon grundsätzliche Unterschiede:

    "Ist ein Kämmerer, ein Oberbürgermeister mal in seinem Vorleben Steuerberater gewesen, dann geht er anders mit dem Geld um, als wenn er vorher bei der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft war."

    Oder wenn er unter dem Druck von Bürgern und Ratsfraktionen steht. Johannes Winkel, Abteilungsleiter im nordrhein-westfälischen Innenministerium, kennt allerdings ein positives Beispiel.

    "Nicht weit von Düsseldorf gibt es die etwas kleinere Kommune Langenfeld. Die es nach vielen Jahrzehnten der Verschuldung geschafft hat, im Jahre 2008 alle Schulden abzubauen, schuldenfrei dazustehen."
    Langenfeld ist eine Stadt von 60.000 Einwohnern, das Zentrum wirkt beschaulich und aufgeräumt. Anfang der 80er-Jahre hat Langenfeld den ökonomischen GAU erlebt: Alle großen Firmen am Ort machten dicht. Im Handumdrehen gab es 4000 Arbeitslose, und die wichtigen Steuerquellen waren versiegt.

    "Das war erst mal ein Riesenschock," sagt Bürgermeister Frank Schneider.

    "Nur, das war für uns so der heilbringende Moment, wo wir dann gesagt haben: So kann es nicht weitergehen!"
    Die Langenfelder gingen überlegt vor: Sie kürzten den Haushalt mit Augenmaß. Sie verkauften nicht – wie Dresden – ihr Tafelsilber. Sie setzten alles daran, neue Firmen anzulocken. Den Mittelstand; und zwar eine breite Mischung von Branchen. Heute residieren 1800 Unternehmen in Langenfeld. Und die Gewerbesteuer – die sich 2009 anderswo halbiert hat – sie blieb hier fast konstant. Den Altschuldenberg abzutragen war freilich eine Herkulesaufgabe. Über 20 Jahre zogen die Langenfelder das konsequent durch.

    "Sobald die Finanzen wieder sprudeln, ist es natürlich immer schwer, die Leute davon zu überzeugen, trotzdem zu sparen – und nicht eben Sachen, die man gerne hätte, dann umzusetzen! Es war damals so eine Zeit, jede Stadt musste irgendwo ein Spaßbad haben, wir haben gesagt, das kostet viel zu viel Geld, das können wir uns nicht erlauben, das wollen wir uns auch von den Folgekosten nicht erlauben, also bauen wir so was nicht."
    Als die Schulden erst einmal weg waren, konnte Langenfeld die Steuern merklich senken.

    "Dann ist auch irgendwo das Bewusstsein noch stärker verankert worden in der Bevölkerung: Sparen lohnt sich! Die Langenfelder sind stolz darauf, dass sie keine Schulden haben."
    Somit ein dritter Punkt bei der Sanierung:

    "Wenn wirklich konsolidiert werden soll, dann geht es nur mit dem Bürger!"
    So wie zum Beispiel im bergischen Solingen. Stadtkämmerer Ralf Weeke schnürte dort im Februar ein Sparpaket mit Dutzenden Einzelpunkten: von der Verwaltungsreform bis zur erhöhten Parkgebühr.

    "Geplant ist, dass ab dem 4.3. für einen Zeitraum von drei Wochen im Wege einer Onlineplattform, die zur Verfügung gestellt wird, jedem Menschen dieser Stadt die Möglichkeit eingeräumt wird, seine Meinung zu sagen zu den Sparvorschlägen, die die Stadtverwaltung unterbreitet hat."
    Und auch eigene Anregungen können die Solinger geben. Ein Schritt ganz auf der Linie des Politikwissenschaftlers Stefan Bajohr.

    "Wichtig ist, dass die Bürgerinnen und Bürger ihre Kommune als das begreifen, was sie ist: Die Stadt gehört den Bürgerinnen und Bürgern. Und sie müssen sich für dieses Gemeinwesen stärker engagieren, diese Möglichkeiten muss aber auch die Stadt dann bieten und darf nicht sagen: Lasst mal Leute, das machen wir alles schon selbst."
    Bajohr regt beispielsweise an, dass ein Theater als Genossenschaft der Bürger betrieben werden könnte, unter Beteiligung der örtlichen Unternehmen. In der Schweiz, in Liechtenstein und Italien wird das bereits praktiziert. Die Bürger sind allerdings auf lange Sicht noch mehr gefordert. Jeder muss zu spüren bekommen, dass es Geld kostet, wenn im Winter die Straßen gestreut sind, wenn im Frühjahr die Grünanlagen in Schuss gebracht werden. Der Kommunalwissenschaftler Prof. Janbernd Oebbecke von der Universität Münster.

    "Was wir brauchen, ist eine Regel, nach der der fehlende Haushaltsausgleich, wenn es nicht anders geht, über die Grundsteuer zum Beispiel hergestellt wird."
    Wenn also am Jahresende eine Million fehlt, weil eben doch noch eine Straße vierspurig ausgebaut werden soll, dann müsste jeder Einwohner – auch jeder Mieter – über seine Grundsteuer das Finanzloch mit stopfen.

    "In dem Moment kippt die ganze Argumentationssituation um, dann ist nicht mehr der begründungspflichtig, der sparen will, sondern der ist begründungspflichtig, der nicht sparen will!"
    Der also die neue Halle für den Einhockeyklub immer noch bauen möchte. Auf der Ausgabenseite gibt es also eine ganze Palette von Sparideen. Und auch auf der Einnahmenseite gibt es Potenziale: bei den Steuern, der Hauptgeldquelle der Kommunen. Johannes Winkel:

    "Die Kommunen finanzieren sich zum einen aus der Gewerbesteuer, zum anderen aus der Grundsteuer – das sind beides Steuern, die sie über die Hebesätze in der Höhe beeinflussen können – , sie bekommen daneben aber auch Teile der Umsatzsteuer und Teile der Einkommensteuer."
    Die wichtigste von allen ist die Gewerbesteuer – sie allerdings ist in diesen Wochen in die Diskussion geraten. Birgit Reinemund:

    "Wir hatten ja einen Konjunktureinbruch von fünf Prozent, und gleichzeitig ist die Gewerbesteuer um 17,4 Prozent eingebrochen, in Baden-Württemberg sogar fast 25 Prozent – das Bundesland, aus dem ich stamme – , es gibt Kommunen, die einen Einbruch von über 40 Prozent hatten."

    "Eine Steuer, die so stark schwankt, die ist für die Finanzierung der Kommunen – die ja permanent Aufgaben erfüllen müssen und zuverlässig Aufgaben erfüllen müssen – eigentlich nicht geeignet."

    Sagt Kommunalwissenschaftler Janbernd Oebbecke. Womit wir bei Punkt vier der Sanierung wären: Die Gemeinden brauchen verlässliche Einkünfte. Wie man die gewährleistet, ist allerdings umstritten. Birgit Reinemund plädiert für das Modell ihrer Partei, der FDP.

    "Die stark konjunkturanfällige Gewerbesteuer müsste man ersetzen durch einen größeren Anteil an der Einkommensteuer und an der Körperschaftsteuer, mit einem eigenen Hebesatzrecht für die Gemeinde, und einem größeren Anteil an der Umsatzsteuer oder Mehrwertsteuer – die ja selbst in der Krise noch relativ stabil war, teilweise sogar zugenommen hat."
    Die Körperschaftsteuer allerdings brach unlängst dreimal so stark ein wie die Gewerbesteuer. So ist die für die meisten Fachleute immer noch das kleinere Übel. Der Kommunalexperte der SPD-Fraktion, Bernd Scheelen:

    "Alle Modelle zur Abschaffung der Gewerbesteuer – die sind ja nicht neu – alle Modelle leiden unter verschiedenen Webfehlern, ich sag nur mal zwei: Alle Modelle führen zu einer Stadtflucht, das heißt, in den Städten wird es noch dusterer, weil natürlich die Steuerlasten im Umland geringer sein werden als in den Städten – die Städte sind die Zentren mit den hohen Soziallasten – die müssten dann noch höhere Steuern nehmen, um sich überhaupt finanzieren zu können, mit der Folge, dass die Gutverdiener dann abwandern – und der zweite Webfehler ist: Die Belastungen werden verlagert von der Wirtschaft zu den Arbeitnehmern. Auch das finden wir den falschen Weg."
    Und so plädieren Scheelen und seine Parteifreunde für eine Reform der Gewerbesteuer. Die Kommunen stimmen zu. Stephan Weil:

    "Die Bemessungsgrundlage für diese Steuer muss erweitert werden, es ist meines Erachtens gar nicht einzusehen, warum ein Malermeister Gewerbesteuer zahlen muss, aber sein Rechtsanwalt und sein Steuerberater, die müssen keine Gewerbesteuer zahlen – die Einbeziehung von freien Berufen würde die Bemessungsgrundlage deutlich erweitern, damit würde diese Steuer wesentlich weniger krisenanfällig werden, und ganz nebenbei würde ihr Aufkommen auch nachhaltig gestärkt werden."
    Um 20 Prozent, schätzt Weil. Die Verfechter der Gewerbesteuer betonen: Diese Steuer zwinge die Kommunen, der Wirtschaft gute Rahmenbedingungen zu bieten.

    "Wenn die Gewerbesteuer wegfällt, haben Kommunen eigentlich kein Interesse mehr, Unternehmen anzusiedeln – die beispielsweise auch Lärm machen, die beispielsweise Verkehre erzeugen, die Staub emittieren oder andere Emissionen haben – dann würden Kommunen eher darauf setzen, ihre Anteile an der Einkommensteuer zu erhöhen, indem sie Neubaugebiete ausweisen. Dann können wir in Deutschland nur noch wohnen, aber nicht mehr arbeiten."

    Reinemund: "Gut, denselben Anreiz kann ich ja setzen, indem ich ein Hebesatzrecht der Kommune einräume auf die Körperschaftsteuer! Auch hier haben wir ja die Wirtschaft einbezogen und haben den Anreiz, hier gute Rahmenbedingungen zu schaffen."
    Bei einem Ausstieg aus der Gewerbesteuer stünden allerdings gigantische Rechenspiele ins Haus. Und die Kommunen müssten erfahrungsgemäß fürchten, dabei von Bund und Ländern übervorteilt zu werden. So zeigt sich auch Christdemokrat Peter Götz vorsichtig:
    "Ich glaube, niemand will die Gewerbesteuer abschaffen. Dem Grunde nach brauchen wir ein elementares Band zwischen Wirtschaft und Kommune – weniger Konjunkturabhängigkeit, aber trotzdem mit dem kommunalen Heberecht versehen – das brauchen wir auf jeden Fall, sonst findet kommunale Selbstverwaltung nicht mehr statt; die Gewerbesteuer ist ein Element auf der Einnahmenseite, wie wirklich kommunale Selbstverwaltung gelebt werden kann."
    Und so richten einige Berliner Politiker ihren Blick auf andere Steuern. Britta Haßelmann:

    "Hier, glaube ich, wäre es richtig, die Grundsteuer zu reformieren – dahingehend, dass man sagt: Wir müssen über andere Bodenwerte sprechen, über eine Aktualisierung von Bodenwerten sprechen, und wir müssen uns auch Gedanken machen, ob wir die Frage von ökologischen Faktoren – Flächenverbrauch, Flächenversiegelung – auch in eine Reform der Grundsteuer praktisch miteinbeziehen könnten."
    Politikwissenschaftler Stefan Bajohr wäre bereit, noch weiter zu gehen.
    "Beispielsweise eine Erhöhung des Spitzensteuersatzes in der Einkommensteuer, die Wiedereinführung der Vermögensteuer und die Einführung einer Börsenumsatzsteuer – dies könnte den Kommunen ganz gewaltig helfen."
    Bis auf Weiteres dürften solche Modelle freilich Theorie bleiben. Peter Götz plädiert eher für eine wirtschaftsfreundliche Politik.
    "Ich glaube, es müssen alle Anstrengungen unternommen werden, um wieder zu Wachstum zu kommen. Mehr Wachstum heißt ja auch gleichzeitig mehr Beschäftigung – mehr Beschäftigung bedeutet weniger Soziallasten, weniger Kosten der Unterkunft, die die Kommunen zu tragen haben und vieles andere mehr – sodass dann im Ausgabenbereich und im Aufgabenbereich eine spürbare Entlastung dann auch zustande kommt!"
    In vielen Gemeinden hat das bis zur Finanzkrise tatsächlich geklappt. Und es dürfte auch danach wieder funktionieren. Daran hängt aber der fünfte Punkt der Sanierung: Wenn das Geld wieder fließt, dann muss eine Stadt teure Steckenpferde zügeln und stattdessen Schulden abtragen. Sobald erst die Finanzkrise überwunden ist, ist es dafür höchste Zeit, findet Stefan Bajohr:

    "Eines darf nicht sein: dass die Kommunen auf Dauer ihren Gläubigern, das heißt, auf deutsch: den Banken, ausgeliefert werden."
    Die Bundesregierung will das Problem der Gemeindefinanzen nun – ähnlich wie die Regierung Schröder – mit einer Kommission angehen. Ein Hauptthema ist dort die Gewerbesteuer. Peter Götz hofft allerdings auch noch auf Anregungen zu einem weiteren, bislang zu Unrecht vernachlässigten Punkt.

    "Das Beteiligungsrecht der Kommunen am Gesetzgebungsverfahren und solche Dinge sollen da in dieser Kommission ebenfalls diskutiert werden, und nach den Informationen, die ich habe, wird diese Kommission zügig arbeiten!"
    Bei den Kommunen selbst war der Sanierungswille wohl noch nie so groß wie heute. Auch Frank Schneider hat seinem Kommunalparlament klargemacht, dass in der Finanzkrise wieder Sparsamkeit gefordert ist.

    "Aber das ist in Langenfeld gar kein Problem, da haben sowohl Bürger wie auch Politik sich sehr schnell wieder dran erinnert, und dann haben wir ein, zwei Stufen zurückgefahren, und jetzt müssen wir mal gucken, wie es läuft."
    So kann ein Bürgermeister planen, dessen Stadt keine Schulden mehr hat. Mit Unterstützung von Bund und Ländern könnten bald auch noch mehr Gemeinden so weit kommen – sobald die Wirtschaft wieder läuft. Dann allerdings mahnt Hannovers Oberbürgermeister Stephan Weil eine Grundsatzdebatte an:

    "Das ist es, was mir im Moment dringend notwendig zu sein scheint: Eine Generaldiskussion in unserem Land über die Frage, wie unser Staat eigentlich in Zukunft finanziert werden soll – die Kommunen sind ein Teil dieses Problems, aber das Problem ist viel größer!"