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Nominierung von der Leyens
"Der Kompromiss war eine gute Wahl"

Viele Bürger hätten sich betrogen gefühlt, als plötzlich Ursula von der Leyen als EU-Kommissionschefin vorgeschlagen wurde, sagte die Philosophin Véronique Zanetti im Dlf. Es habe aber dringend eine Entscheidung gebraucht. Ein Kompromiss sei immer besser als eine Blockade.

Véronique Zanetti im Gespräch mit Kathrin Hondl | 07.07.2019
Ursula von der Leyen, CDU, nimmt die Glückwünsche ihrer Kollegen an - sie wurde als EU-Kommissionspräsidentin nominiert.
Ein Kompromiss sei immer besser als eine Blockade, so Philosophin Véronique Zanetti (imago images / IPON)
Véronique Zanetti verwies im Interview auf die Aussagen des Staatrechtlers Hans Kelsen (1881 - 1973), der den Kompromiss in der Politik als den Weg der Demokratie gelobt habe. Er sei ein Zurückstellen dessen, was trennt, zugunsten dessen, was verbindet. Kompromiss bedeute, sich zu vertragen. Das Ansehen des Kompromisses verändere sich allerdings seit längerer Zeit. "Das populäre Ideal ist das scharfe Profil, vor allem in der Politik - klare Kante."
Der Kompromiss setze immer einen Konflikt voraus, "der nicht durch Meinungs- und Argumentationsaustausch lösbar ist. Sollte es eine Lösung geben, die alle Parteien zufriedenstellt, wäre ein Kompromiss nicht erforderlich." Er könne mehrere Dimensionen haben: einerseits könne er einen Verrat am eigenen Ideal darstellen, so Zanetti. Denn er sei ein Verlust. Er zeuge aber auch von einer Bereitschaft, anderen entgegenzukommen, wenn dadurch das Gemeinwohl gefördert werde.
"Eine Entscheidung musste getroffen werden"
Der Kompromiss, Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen als EU-Kommissionschefin vorzuschlagen, sei "ungeschickt kommuniziert" worden. "Bei der Wahl des Kommissionspräsidenten wurde kritisiert, dass die Kandidatin aus dem Hut gezaubert wurden und viele Bürger fühlten sich betrogen." Allerdings müsste man den Bürgern auch klar machen, sagte die Philosophin, dass die Entscheidung deshalb zustande gekommen sei, weil die Staats- und Regierungschefs sich nicht einigen konnten. "Eine Entscheidung musste getroffen werden und das ist genau die Bedingung für einen Kompromiss. (…) Und in dem Fall denke ich mir, dass der Kompromiss eine gute Wahl war." Aber nur langfristig zeige sich wirklich, ob es sich um einen guten, schlechten oder faulen Kompromiss gehandelt habe.
Seinen schlechten Ruf habe der Kompromiss nicht verdient. Er sei immer besser als eine Blockade - die immer Machtdemonstrationen nach sich ziehe. Das sehe man aktuell in der europäischen Flüchtlingspolitik und dem Handeln des italienischen Innenministers Matteo Salvini. "Weil Europa blockiert ist, sitzt er am längeren Hebel und das kann keine erwünschte Lösung sein."
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.