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Nora Gomringer
"Ein unkritisches Kreuz macht keinen Sinn"

Die Villa Concordia in Bamberg ist eine Einrichtung des Freistaats Bayern, deshalb müsste im Eingangsbereich des Künstlerhauses eigentlich ein Kreuz hängen. Davon hält die Leiterin und Lyrikerin Nora Gomringer jedoch nichts. Konsequenzen hatte diese Kreuz-Rebellion bislang nicht.

Von Christian Röther | 21.09.2018
    Die deutsch-schweizerische Lyrikerin Nora Gomringer auf der Terrasse der Villa Concordia
    Die deutsch-schweizerische Lyrikerin Nora Gomringer auf der Terrasse der Villa Concordia (picture-alliance / David Ebener)
    Die Villa Concordia in Bamberg – ein barockes Schlösschen, wie gemalt am Ende einer Fachwerkgasse. Doch wer das Künstlerhaus betritt und sich genau umschaut, stellt fest: Es fehlt etwas – zumindest ginge es hier nach dem Willen der bayerischen Landesregierung.
    "Die Villa Concordia an sich hat kein Kreuz im Eingangsbereich. Ich persönlich habe immer ein Kreuz an meinem Arbeitsbereich. Von daher fühle ich mich als Direktorin auch in der Möglichkeit sagen zu können: Wo ich arbeite, da ist immer ein Kreuz im Raum."
    Nora Gomringer ist Lyrikerin, 38 Jahre alt und leitet die Villa Concordia seit acht Jahren. Das Künstlerhaus beherbergt Kreative aus dem In- und Ausland. Es ist eine Einrichtung des Freistaats Bayern und damit von der Kreuzverordnung betroffen – eigentlich.
    "Keine einzige Dienststelle Bayerns wurde meines Wissens nach damit konfrontiert, jetzt wirklich ernst zu machen und eins aufzuhängen", erklärt Nora Gomringer im Garten der Villa Concordia, direkt am Fluss, dem linken Arm der Regnitz.
    Das ohnehin so pittoreske Städtchen Bamberg ist hier vielleicht am idyllischsten. Nora Gomringer arbeitet nicht nur hier, sie wohnt auch in der Villa Concordia. Doch die freistaatlich finanzierte Idylle hält die Lyrikerin nicht davon ab, sich politisch einzumischen.
    "Das Kreuz einzusetzen für die Spaltung derer, die im Moment eigentlich eine Zusammenführung brauchen, ist strategisch schrecklich."
    Zu wenig Humor in der Kreuzdebatte
    Nora Gomringer positioniert sich auch immer wieder offensiv als gläubige Katholikin. So in einem Artikel in der Tageszeitung "Die Welt", in dem sie die bayerische Kreuzverordnung kritisierte.
    "Ich hab mich ein bisschen angestachelt gefühlt bei der ganzen Debatte, weil es auch überhaupt keinen Humor in der Auseinandersetzung gab. Und wenn also Minister Söder – oder jetzt Staatsminister – Entschuldigung: Ministerpräsident – oh Gott – das Kreuz hochhält und es ist so ein quasi historisches Kunstwerk, dann wird auch die Chance vergeben darauf hinzuweisen, dass es sehr viele Künstlerinnen und Künstler des Jetzt gibt, die sich mit dem Zeichen des Kreuzes – und wofür es steht – auseinandersetzen. Und ein unkritisches Kreuz aufzuhängen, macht mir gar keinen Sinn."
    Falls Markus Söder also noch ernst machen sollte und seine Kreuzverordnung durchzusetzen versuchte, dann könnte Nora Gomringer sich unter Umständen dazu bewegen lassen, doch ein Kreuz in den Eingang der Villa Concordia zu montieren. Aber eben kein klassisches Kreuz, sondern ein künstlerisch-kreatives:
    "Kippenbergers Frosch, das ja auch klugerweise Selbstbildnis heißt, Selbstporträt."
    Gekreuzigte Frösche
    Martin Kippenberger schuf 1990 fünf Skulpturen, die gekreuzigte Frösche zeigen. Das seien Selbstporträts und keineswegs Jesus-Darstellungen, beschwichtigte der Künstler. Eine Replik eines dieser gekreuzigten Frösche könnte Nora Gomringer sich also vorstellen an der Künstler-Villa.
    "Alle anderen Kreuze, das würde ich mir sehr überlegen, wo und wie wir die dann hängen würden."
    "Füße zuerst" von Martin Kippenberger im Museum Hamburger Bahnhof in Berlin
    "Füße zuerst" von Martin Kippenberger im Museum Hamburger Bahnhof in Berlin (picture alliance / dpa / Hannibal Hanschke)
    So bleibt die Villa Concordia im Eingangsbereich also bis auf weiteres kreuzfreie Zone. Nora Gomringer kann der Kreuzdebatte trotzdem auch Positives abgewinnen.
    "Alle haben reagiert, als würde es sie betreffen, und das war gut. Es wurde über das Kreuz – wie ja zum Beispiel auch in der Debatte um das Gedicht von Eugen Gomringer 'avenidas' – gesprochen als ginge es den Einzelnen an. Und das war gut daran."
    "Das ist Gott nach der Schöpfung"
    Nora Gomringer spielt an auf das Gedicht ihres Vaters Eugen Gomringer. Ein Gedicht, das eine hitzige Feuilleton-Debatte entfacht hat. Ein Gedicht mit dem Titel "avenidas" - also Alleen. Ein spanischsprachiges Gedicht der Gattung "Konkrete Poesie". Dieses Gedicht war mehrere Jahre lang an der Fassade der Alice-Salomon-Hochschule in Berlin zu lesen, offenbar ohne dass des jemand gestört hätte. Doch dann setzte die Kritik ein. In deutscher Übersetzung lautet das Gedicht so:
    Alleen
    Alleen und Blumen

    Blumen
    Blumen und Frauen

    Alleen
    Alleen und Frauen

    Alleen und Blumen und Frauen und
    ein Bewunderer
    "Für mich persönlich, auch weil ich ja mit dem Text als Kind aufgewachsen bin, hab ich immer gedacht: Das ist Gott nach der Schöpfung, der es betrachtet und sagt: Es ist gut."
    Die Alice-Salomon-Hochschule in Berlin mit dem Gedicht von Eugen Gomringer "Avenidas"
    Die Alice-Salomon-Hochschule in Berlin mit dem Gedicht von Eugen Gomringer "Avenidas" (imago / Jürgen Ritter)
    Andere hingegen empfinden das Gedicht als sexistisch und frauenfeindlich, weil Frauen zu Objekten degradiert würden – wie zu bewundernde Blumen. 'Avenidas' soll deshalb an der Hochschul-Fassade durch ein anderes Gedicht ersetzt werden. Nora Gomringer hat vehement dagegen argumentiert.
    Zugleich ist sie sich bewusst, dass auch ihre theologische Lesart des Gedichts Angriffspunkte bietet "und eigentlich auch wieder den Gegnerinnen sehr zuspricht, weil sie sagen: Ja, Gott – und immer als männliches Wesen in unsere Gedanken gepflanzt und so. Und der sieht jetzt: Ach ja, habe ich gut gemacht die Frauen, die Straßen und die Blumen."
    "Der Bewunderer ist ja eigentlich sehr still"
    Aber – sagt Nora Gomringer, die sich als Feministin versteht: Das Gedicht lasse sich auch zulasten des Bewunderers auslegen – also zulasten des Mannes oder auch zulasten Gottes – und zugunsten der Frauen.
    "Sie sind die Schöpferinnen der Welt und der Welten. Auch die Kulturträgerinnen, die Kulturen im wahrsten Sinne weitertragen. Und ja, der Bewunderer ist ja eigentlich sehr still. Wenn man es mal ganz einfach lässt, ist es der, der betrachtet und sagt – oder vielleicht gar nichts sagt."
    Egal ob über Lyrik gestritten wird oder über das Kreuz: Die Künstlerin Nora Gomringer denkt und debattiert oft jenseits der üblichen Argumente.
    "Ich scheue mich nicht, Glaubensmuster auch auf meine Lesart zu legen, wenn ich Gedichte interpretiere."